es zweifelhaft geworden, ob auch die auf obligatorischen Verträgen beruhenden Schenkungen durch den Tod bestä- tigt werden möchten, und er selbst bejahte diese Frage in der Novelle 162. Sicherlich war der Zweifel entstanden eben aus der L. 23 cit., denn die Juristen jener Zeit hat- ten ja dieselben Digesten, wie wir, als Gesetzbuch vor sich. -- Man könnte glauben, dadurch sey aller Streit geschlichtet, allein unglücklicherweise ist jene Novelle un- glossirt. Nun sagen die Gegner, da Justinian nöthig ge- funden habe, dieses durch ein neues Gesetz einzuführen, so sey das gerade ein Zeichen, daß bis dahin, also nach unsren Digesten, das entgegengesetzte Recht gegolten ha- ben müsse. Dieses würde richtig seyn, wenn jene Novelle als neues Gesetz aufträte. Allein Justinian will darin blos belehren, er argumentirt blos aus den schon beste- henden Gesetzen, und so ist die Novelle ganz entscheidend für die hier vertheidigte Meynung, zwar nicht als Gesetz (da sie nicht glossirt ist), wohl aber als die vollwichtigste Autorität.
Sehr merkwürdig ist das Benehmen der praktischen Schriftsteller bey dieser Streitfrage. Diese sind ganz ent- schieden für die unbeschränkteste Ausdehnung des Senats- schlusses, und zwar berufen sie sich dabey auf die No- velle 162 (bb). Gewiß nicht, als ob sie überhaupt den unglossirten Novellen Gesetzeskraft beylegen wollten, son-
(bb)Lauterbach h. t. § 14. Huber h. t. § 5. Struy. Exerc. 30 § 30. Cocceji h. t. quaest. 2.
es zweifelhaft geworden, ob auch die auf obligatoriſchen Verträgen beruhenden Schenkungen durch den Tod beſtä- tigt werden möchten, und er ſelbſt bejahte dieſe Frage in der Novelle 162. Sicherlich war der Zweifel entſtanden eben aus der L. 23 cit., denn die Juriſten jener Zeit hat- ten ja dieſelben Digeſten, wie wir, als Geſetzbuch vor ſich. — Man könnte glauben, dadurch ſey aller Streit geſchlichtet, allein unglücklicherweiſe iſt jene Novelle un- gloſſirt. Nun ſagen die Gegner, da Juſtinian nöthig ge- funden habe, dieſes durch ein neues Geſetz einzuführen, ſo ſey das gerade ein Zeichen, daß bis dahin, alſo nach unſren Digeſten, das entgegengeſetzte Recht gegolten ha- ben müſſe. Dieſes würde richtig ſeyn, wenn jene Novelle als neues Geſetz aufträte. Allein Juſtinian will darin blos belehren, er argumentirt blos aus den ſchon beſte- henden Geſetzen, und ſo iſt die Novelle ganz entſcheidend für die hier vertheidigte Meynung, zwar nicht als Geſetz (da ſie nicht gloſſirt iſt), wohl aber als die vollwichtigſte Autorität.
Sehr merkwürdig iſt das Benehmen der praktiſchen Schriftſteller bey dieſer Streitfrage. Dieſe ſind ganz ent- ſchieden für die unbeſchränkteſte Ausdehnung des Senats- ſchluſſes, und zwar berufen ſie ſich dabey auf die No- velle 162 (bb). Gewiß nicht, als ob ſie überhaupt den ungloſſirten Novellen Geſetzeskraft beylegen wollten, ſon-
(bb)Lauterbach h. t. § 14. Huber h. t. § 5. Struy. Exerc. 30 § 30. Cocceji h. t. quaest. 2.
IV. 13
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[193/0207]
§. 164. Schenkung. Einſchränkungen. 1. Ehe. (Fortſetzung.)
es zweifelhaft geworden, ob auch die auf obligatoriſchen
Verträgen beruhenden Schenkungen durch den Tod beſtä-
tigt werden möchten, und er ſelbſt bejahte dieſe Frage in
der Novelle 162. Sicherlich war der Zweifel entſtanden
eben aus der L. 23 cit., denn die Juriſten jener Zeit hat-
ten ja dieſelben Digeſten, wie wir, als Geſetzbuch vor
ſich. — Man könnte glauben, dadurch ſey aller Streit
geſchlichtet, allein unglücklicherweiſe iſt jene Novelle un-
gloſſirt. Nun ſagen die Gegner, da Juſtinian nöthig ge-
funden habe, dieſes durch ein neues Geſetz einzuführen,
ſo ſey das gerade ein Zeichen, daß bis dahin, alſo nach
unſren Digeſten, das entgegengeſetzte Recht gegolten ha-
ben müſſe. Dieſes würde richtig ſeyn, wenn jene Novelle
als neues Geſetz aufträte. Allein Juſtinian will darin
blos belehren, er argumentirt blos aus den ſchon beſte-
henden Geſetzen, und ſo iſt die Novelle ganz entſcheidend
für die hier vertheidigte Meynung, zwar nicht als Geſetz
(da ſie nicht gloſſirt iſt), wohl aber als die vollwichtigſte
Autorität.
Sehr merkwürdig iſt das Benehmen der praktiſchen
Schriftſteller bey dieſer Streitfrage. Dieſe ſind ganz ent-
ſchieden für die unbeſchränkteſte Ausdehnung des Senats-
ſchluſſes, und zwar berufen ſie ſich dabey auf die No-
velle 162 (bb). Gewiß nicht, als ob ſie überhaupt den
ungloſſirten Novellen Geſetzeskraft beylegen wollten, ſon-
(bb) Lauterbach h. t. § 14. Huber h. t. § 5. Struy. Exerc. 30
§ 30. Cocceji h. t. quaest. 2.
IV. 13
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Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 4. Berlin, 1841, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system04_1841/207>, abgerufen am 14.06.2024.
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