Im Psalm 16, 4 heisst es: "Aber Jene, die einem Andern nacheilen, werden grosses Herzeleid haben: ich will ihres Trankopfers mit dem Blute nicht opfern, noch ihren Namen in meinem Munde führen." Aus dieser Stelle des Psalmisten erhellt, dass Opfer von Wein und Blut gemischt dargebracht wurden, an welchen heidnischen Opfern der Psalmist keinen Antheil nehmen will. Nach dem Evangelium Matthäi 16, 27 u. 28 nahm bei dem letzten Abendessen mit seinen Jüngern Jesus, nachdem er das Brod gebrochen und seinen Jüngern zu essen gegeben hatte, auch den Kelch und gab ihnen denselben, damit sie alle daraus trinken möchten, mit den Worten: Das ist mein Blut des neuen Testamentes, welches vergossen wird, für Viele zur Vergebung der Sünden." - Die Heiden haben, indem sie die Christen des Kindermords und des Bluttrinkens anklagten, die Worte der Abendmahlslehre missverstanden und den Gebrauch des Blutes als eine Weihung der christlichen Brüderschaft ausgelegt.1) Spätere gelehrte christliche Ausleger haben denselben alten Gebrauch im Sinne, wenn sie sagen, dass mit Bezug auf ihn Christus den Kelch erhoben und mit jenem Tranke den neuen Bund der Völker eingewiesen habe; er habe sich ihrer Sitte accommodirt: mori et captui accommodavit gentium in foedus exoptandarum.
Der tiefere Grund der altasiatischen Sitte, dass die als treue Freunde und Brüder im Leben und im Tod sich Verbündenden ihr Blut gegenseitig mischten und tranken, besteht wohl darin, dass das Blut als der Sitz des Lebens und der Seele galt,2) so dass also Diejenigen, welche ihr Blut gemischt und getheilt hatten, auch das Leben und die Seelen ausgetauscht und zusammenverschmolzen hatten, nur noch Ein Leben und Eine Seele ausmachten. Freunde, Brüder im wahren und höchsten Sinne, im Sinne des Alterthums sind demnach Diejenigen, welche Herz und Seele getheilt haben, welche nur Ein Herz und Eine Seele ausmachen, gerade wie treue Ehe-
1) Weimarisches Jahrbuch, a. a. O., Anm. 31.
2) Vergl. auch Mülhause, Urreligion, S. 324.
Im Psalm 16, 4 heisst es: „Aber Jene, die einem Andern nacheilen, werden grosses Herzeleid haben: ich will ihres Trankopfers mit dem Blute nicht opfern, noch ihren Namen in meinem Munde führen.“ Aus dieser Stelle des Psalmisten erhellt, dass Opfer von Wein und Blut gemischt dargebracht wurden, an welchen heidnischen Opfern der Psalmist keinen Antheil nehmen will. Nach dem Evangelium Matthäi 16, 27 u. 28 nahm bei dem letzten Abendessen mit seinen Jüngern Jesus, nachdem er das Brod gebrochen und seinen Jüngern zu essen gegeben hatte, auch den Kelch und gab ihnen denselben, damit sie alle daraus trinken möchten, mit den Worten: Das ist mein Blut des neuen Testamentes, welches vergossen wird, für Viele zur Vergebung der Sünden.“ – Die Heiden haben, indem sie die Christen des Kindermords und des Bluttrinkens anklagten, die Worte der Abendmahlslehre missverstanden und den Gebrauch des Blutes als eine Weihung der christlichen Brüderschaft ausgelegt.1) Spätere gelehrte christliche Ausleger haben denselben alten Gebrauch im Sinne, wenn sie sagen, dass mit Bezug auf ihn Christus den Kelch erhoben und mit jenem Tranke den neuen Bund der Völker eingewiesen habe; er habe sich ihrer Sitte accommodirt: mori et captui accommodavit gentium in foedus exoptandarum.
Der tiefere Grund der altasiatischen Sitte, dass die als treue Freunde und Brüder im Leben und im Tod sich Verbündenden ihr Blut gegenseitig mischten und tranken, besteht wohl darin, dass das Blut als der Sitz des Lebens und der Seele galt,2) so dass also Diejenigen, welche ihr Blut gemischt und getheilt hatten, auch das Leben und die Seelen ausgetauscht und zusammenverschmolzen hatten, nur noch Ein Leben und Eine Seele ausmachten. Freunde, Brüder im wahren und höchsten Sinne, im Sinne des Alterthums sind demnach Diejenigen, welche Herz und Seele getheilt haben, welche nur Ein Herz und Eine Seele ausmachen, gerade wie treue Ehe-
1) Weimarisches Jahrbuch, a. a. O., Anm. 31.
2) Vergl. auch Mülhause, Urreligion, S. 324.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0074"n="54"/><p>
Im Psalm 16, 4 heisst es: „Aber Jene, die einem Andern nacheilen, werden grosses Herzeleid haben: ich will ihres Trankopfers mit dem Blute nicht opfern, noch ihren Namen in meinem Munde führen.“ Aus dieser Stelle des Psalmisten erhellt, dass Opfer von Wein und Blut gemischt dargebracht wurden, an welchen heidnischen Opfern der Psalmist keinen Antheil nehmen will. Nach dem Evangelium Matthäi 16, 27 u. 28 nahm bei dem letzten Abendessen mit seinen Jüngern Jesus, nachdem er das Brod gebrochen und seinen Jüngern zu essen gegeben hatte, auch den Kelch und gab ihnen denselben, damit sie alle daraus trinken möchten, mit den Worten: Das ist mein Blut des neuen Testamentes, welches vergossen wird, für Viele zur Vergebung der Sünden.“– Die Heiden haben, indem sie die Christen des Kindermords und des Bluttrinkens anklagten, die Worte der Abendmahlslehre missverstanden und den Gebrauch des Blutes <hirendition="#g">als eine Weihung der christlichen Brüderschaft ausgelegt</hi>.<noteplace="foot"n="1)">Weimarisches Jahrbuch, a. a. O., Anm. 31.<lb/></note> Spätere gelehrte christliche Ausleger haben denselben alten Gebrauch im Sinne, wenn sie sagen, dass mit Bezug auf ihn Christus den Kelch erhoben und mit jenem Tranke den neuen Bund der Völker eingewiesen habe; er habe sich ihrer Sitte accommodirt: mori et captui accommodavit gentium in foedus exoptandarum.</p><p>
Der tiefere Grund der altasiatischen Sitte, dass die als treue Freunde und Brüder im Leben und im Tod sich Verbündenden ihr Blut gegenseitig mischten und tranken, besteht wohl darin, dass das Blut als der Sitz des Lebens und der Seele galt,<noteplace="foot"n="2)">Vergl. auch Mülhause, Urreligion, S. 324.<lb/></note> so dass also Diejenigen, welche ihr Blut gemischt und getheilt hatten, auch das Leben und die Seelen ausgetauscht und zusammenverschmolzen hatten, nur noch Ein Leben und Eine Seele ausmachten. Freunde, Brüder im wahren und höchsten Sinne, im Sinne des Alterthums sind demnach Diejenigen, welche Herz und Seele getheilt haben, welche nur Ein Herz und Eine Seele ausmachen, gerade wie treue Ehe-
</p></div></body></text></TEI>
[54/0074]
Im Psalm 16, 4 heisst es: „Aber Jene, die einem Andern nacheilen, werden grosses Herzeleid haben: ich will ihres Trankopfers mit dem Blute nicht opfern, noch ihren Namen in meinem Munde führen.“ Aus dieser Stelle des Psalmisten erhellt, dass Opfer von Wein und Blut gemischt dargebracht wurden, an welchen heidnischen Opfern der Psalmist keinen Antheil nehmen will. Nach dem Evangelium Matthäi 16, 27 u. 28 nahm bei dem letzten Abendessen mit seinen Jüngern Jesus, nachdem er das Brod gebrochen und seinen Jüngern zu essen gegeben hatte, auch den Kelch und gab ihnen denselben, damit sie alle daraus trinken möchten, mit den Worten: Das ist mein Blut des neuen Testamentes, welches vergossen wird, für Viele zur Vergebung der Sünden.“ – Die Heiden haben, indem sie die Christen des Kindermords und des Bluttrinkens anklagten, die Worte der Abendmahlslehre missverstanden und den Gebrauch des Blutes als eine Weihung der christlichen Brüderschaft ausgelegt. 1) Spätere gelehrte christliche Ausleger haben denselben alten Gebrauch im Sinne, wenn sie sagen, dass mit Bezug auf ihn Christus den Kelch erhoben und mit jenem Tranke den neuen Bund der Völker eingewiesen habe; er habe sich ihrer Sitte accommodirt: mori et captui accommodavit gentium in foedus exoptandarum.
Der tiefere Grund der altasiatischen Sitte, dass die als treue Freunde und Brüder im Leben und im Tod sich Verbündenden ihr Blut gegenseitig mischten und tranken, besteht wohl darin, dass das Blut als der Sitz des Lebens und der Seele galt, 2) so dass also Diejenigen, welche ihr Blut gemischt und getheilt hatten, auch das Leben und die Seelen ausgetauscht und zusammenverschmolzen hatten, nur noch Ein Leben und Eine Seele ausmachten. Freunde, Brüder im wahren und höchsten Sinne, im Sinne des Alterthums sind demnach Diejenigen, welche Herz und Seele getheilt haben, welche nur Ein Herz und Eine Seele ausmachen, gerade wie treue Ehe-
1) Weimarisches Jahrbuch, a. a. O., Anm. 31.
2) Vergl. auch Mülhause, Urreligion, S. 324.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Internetloge: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-08-21T13:44:32Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-08-21T13:44:32Z)
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-08-21T13:44:32Z)
Maxi Grubert: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-08-21T13:44:32Z)
Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 2. Schaffhausen, 1861, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei02_1861/74>, abgerufen am 18.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.