Die Hegauer Vettern aber schöpften ein Beispiel löblicher Anre- gung aus dem ungewohnten Tanz. Es mag sein, daß Mancher später sich nähere Unterweisung drin erbat, denn aus fernem Mittelalter klingt noch die Sage herüber von den "sieben Sprüng" oder dem "hun- nischen Hupfauf", der als Abwechslung vom einförmigen Drehen des Schwäbischen und als Krone der Feste seit jenen Tagen dort land- üblich ward.
Wo ist Ekkehard? fragte die Herzogin, nachdem sie, vom Zelter gestiegen, die Reihen ihrer Leute durchwandelt hatte. Praxedis deu- tete hinüber nach einem schattigen Rain. Eine riesige Tanne wiegte ihre schwarzgrünen Wipfel, ihr zu Füßen im verschlungenen Wurzel- werk saß der Mönch. Lauter Jubel und Menschengewühl preßte ihm beklemmend die Brust, er wußte nicht weßhalb -- er hatte sich seitab gewandt und schaute hinaus über die waldigen Rücken in die Alpenferne.
Es war einer jener duftigen Abende, wie sie hernachmals Herr Burkart von Hohenvels auf seinem riesigen Thurm über'm See be- lauscht hat, "da die Luft mit Sonnenfeuer getempert und gemischet." 204) Die Ferne schwamm in leisem Glanz. Wer einmal hinausgeschaut von jenen stillen Berggipfeln, wenn bei blauem Himmel die Sonne glutstrahlend zur Rüste geht, purpurne Schatten die Tiefen der Thäler füllen und flüssiges Gold den Schnee der Alpen umsäumt, dem muß noch spät im Nebeldunst seiner vier Wände die Erinnerung tönen und klingen, lieblich wie ein Sang in den schmelzenden Lauten des Südens.
Ekkehard aber saß ernst, das Haupt gestützt in der Rechten.
Er ist nicht mehr wie früher, sagte Frau Hadwig zur Griechin.
Er ist nicht mehr wie früher! sprach Praxedis gedankenlos ihr nach. Sie hatte auf die hegauischen Weiber zu schauen und ihren Festschmuck, und überlegte an diesen hohen Miedern und faßartig ge- steiften Röcken und der unnennbaren Haltung beim Tanz, ob der Genius guten Geschmackes händeringend für immer dies Land ver- lassen oder ob sein Fuß es noch gar nie betreten habe.
Frau Hadwig trat vor Ekkehard. Er fuhr auf seinem Moossitz empor, als wär' ihm ein Geist erschienen.
Einsam und fern von den Fröhlichen? frug sie. Was treibet Ihr?
Ich denke drüber nach, wo das Glück sei, sprach Ekkehard.
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 15
Die Hegauer Vettern aber ſchöpften ein Beiſpiel löblicher Anre- gung aus dem ungewohnten Tanz. Es mag ſein, daß Mancher ſpäter ſich nähere Unterweiſung drin erbat, denn aus fernem Mittelalter klingt noch die Sage herüber von den „ſieben Sprüng“ oder dem „hun- niſchen Hupfauf“, der als Abwechslung vom einförmigen Drehen des Schwäbiſchen und als Krone der Feſte ſeit jenen Tagen dort land- üblich ward.
Wo iſt Ekkehard? fragte die Herzogin, nachdem ſie, vom Zelter geſtiegen, die Reihen ihrer Leute durchwandelt hatte. Praxedis deu- tete hinüber nach einem ſchattigen Rain. Eine rieſige Tanne wiegte ihre ſchwarzgrünen Wipfel, ihr zu Füßen im verſchlungenen Wurzel- werk ſaß der Mönch. Lauter Jubel und Menſchengewühl preßte ihm beklemmend die Bruſt, er wußte nicht weßhalb — er hatte ſich ſeitab gewandt und ſchaute hinaus über die waldigen Rücken in die Alpenferne.
Es war einer jener duftigen Abende, wie ſie hernachmals Herr Burkart von Hohenvels auf ſeinem rieſigen Thurm über'm See be- lauſcht hat, „da die Luft mit Sonnenfeuer getempert und gemiſchet.“ 204) Die Ferne ſchwamm in leiſem Glanz. Wer einmal hinausgeſchaut von jenen ſtillen Berggipfeln, wenn bei blauem Himmel die Sonne glutſtrahlend zur Rüſte geht, purpurne Schatten die Tiefen der Thäler füllen und flüſſiges Gold den Schnee der Alpen umſäumt, dem muß noch ſpät im Nebeldunſt ſeiner vier Wände die Erinnerung tönen und klingen, lieblich wie ein Sang in den ſchmelzenden Lauten des Südens.
Ekkehard aber ſaß ernſt, das Haupt geſtützt in der Rechten.
Er iſt nicht mehr wie früher, ſagte Frau Hadwig zur Griechin.
Er iſt nicht mehr wie früher! ſprach Praxedis gedankenlos ihr nach. Sie hatte auf die hegauiſchen Weiber zu ſchauen und ihren Feſtſchmuck, und überlegte an dieſen hohen Miedern und faßartig ge- ſteiften Röcken und der unnennbaren Haltung beim Tanz, ob der Genius guten Geſchmackes händeringend für immer dies Land ver- laſſen oder ob ſein Fuß es noch gar nie betreten habe.
Frau Hadwig trat vor Ekkehard. Er fuhr auf ſeinem Moosſitz empor, als wär' ihm ein Geiſt erſchienen.
Einſam und fern von den Fröhlichen? frug ſie. Was treibet Ihr?
Ich denke drüber nach, wo das Glück ſei, ſprach Ekkehard.
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 15
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0247"n="225"/><p>Die Hegauer Vettern aber ſchöpften ein Beiſpiel löblicher Anre-<lb/>
gung aus dem ungewohnten Tanz. Es mag ſein, daß Mancher ſpäter<lb/>ſich nähere Unterweiſung drin erbat, denn aus fernem Mittelalter<lb/>
klingt noch die Sage herüber von den „ſieben Sprüng“ oder dem „hun-<lb/>
niſchen Hupfauf“, der als Abwechslung vom einförmigen Drehen des<lb/>
Schwäbiſchen und als Krone der Feſte ſeit jenen Tagen dort land-<lb/>
üblich ward.</p><lb/><p>Wo iſt Ekkehard? fragte die Herzogin, nachdem ſie, vom Zelter<lb/>
geſtiegen, die Reihen ihrer Leute durchwandelt hatte. Praxedis deu-<lb/>
tete hinüber nach einem ſchattigen Rain. Eine rieſige Tanne wiegte<lb/>
ihre ſchwarzgrünen Wipfel, ihr zu Füßen im verſchlungenen Wurzel-<lb/>
werk ſaß der Mönch. Lauter Jubel und Menſchengewühl preßte ihm<lb/>
beklemmend die Bruſt, er wußte nicht weßhalb — er hatte ſich ſeitab<lb/>
gewandt und ſchaute hinaus über die waldigen Rücken in die Alpenferne.</p><lb/><p>Es war einer jener duftigen Abende, wie ſie hernachmals Herr<lb/>
Burkart von Hohenvels auf ſeinem rieſigen Thurm über'm See be-<lb/>
lauſcht hat, „da die Luft mit Sonnenfeuer getempert und gemiſchet.“<notexml:id="ed204"next="#edt204"place="end"n="204)"/><lb/>
Die Ferne ſchwamm in leiſem Glanz. Wer einmal hinausgeſchaut<lb/>
von jenen ſtillen Berggipfeln, wenn bei blauem Himmel die Sonne<lb/>
glutſtrahlend zur Rüſte geht, purpurne Schatten die Tiefen der Thäler<lb/>
füllen und flüſſiges Gold den Schnee der Alpen umſäumt, dem muß<lb/>
noch ſpät im Nebeldunſt ſeiner vier Wände die Erinnerung tönen und<lb/>
klingen, lieblich wie ein Sang in den ſchmelzenden Lauten des Südens.</p><lb/><p>Ekkehard aber ſaß ernſt, das Haupt geſtützt in der Rechten.</p><lb/><p>Er iſt nicht mehr wie früher, ſagte Frau Hadwig zur Griechin.</p><lb/><p>Er iſt nicht mehr wie früher! ſprach Praxedis gedankenlos ihr<lb/>
nach. Sie hatte auf die hegauiſchen Weiber zu ſchauen und ihren<lb/>
Feſtſchmuck, und überlegte an dieſen hohen Miedern und faßartig ge-<lb/>ſteiften Röcken und der unnennbaren Haltung beim Tanz, ob der<lb/>
Genius guten Geſchmackes händeringend für immer dies Land ver-<lb/>
laſſen oder ob ſein Fuß es noch gar nie betreten habe.</p><lb/><p>Frau Hadwig trat vor Ekkehard. Er fuhr auf ſeinem Moosſitz<lb/>
empor, als wär' ihm ein Geiſt erſchienen.</p><lb/><p>Einſam und fern von den Fröhlichen? frug ſie. Was treibet<lb/>
Ihr?</p><lb/><p>Ich denke drüber nach, wo das Glück ſei, ſprach Ekkehard.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">D. B. <hirendition="#aq"><hirendition="#b">VII.</hi></hi> Scheffel, Ekkehard. 15</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[225/0247]
Die Hegauer Vettern aber ſchöpften ein Beiſpiel löblicher Anre-
gung aus dem ungewohnten Tanz. Es mag ſein, daß Mancher ſpäter
ſich nähere Unterweiſung drin erbat, denn aus fernem Mittelalter
klingt noch die Sage herüber von den „ſieben Sprüng“ oder dem „hun-
niſchen Hupfauf“, der als Abwechslung vom einförmigen Drehen des
Schwäbiſchen und als Krone der Feſte ſeit jenen Tagen dort land-
üblich ward.
Wo iſt Ekkehard? fragte die Herzogin, nachdem ſie, vom Zelter
geſtiegen, die Reihen ihrer Leute durchwandelt hatte. Praxedis deu-
tete hinüber nach einem ſchattigen Rain. Eine rieſige Tanne wiegte
ihre ſchwarzgrünen Wipfel, ihr zu Füßen im verſchlungenen Wurzel-
werk ſaß der Mönch. Lauter Jubel und Menſchengewühl preßte ihm
beklemmend die Bruſt, er wußte nicht weßhalb — er hatte ſich ſeitab
gewandt und ſchaute hinaus über die waldigen Rücken in die Alpenferne.
Es war einer jener duftigen Abende, wie ſie hernachmals Herr
Burkart von Hohenvels auf ſeinem rieſigen Thurm über'm See be-
lauſcht hat, „da die Luft mit Sonnenfeuer getempert und gemiſchet.“
²⁰⁴⁾
Die Ferne ſchwamm in leiſem Glanz. Wer einmal hinausgeſchaut
von jenen ſtillen Berggipfeln, wenn bei blauem Himmel die Sonne
glutſtrahlend zur Rüſte geht, purpurne Schatten die Tiefen der Thäler
füllen und flüſſiges Gold den Schnee der Alpen umſäumt, dem muß
noch ſpät im Nebeldunſt ſeiner vier Wände die Erinnerung tönen und
klingen, lieblich wie ein Sang in den ſchmelzenden Lauten des Südens.
Ekkehard aber ſaß ernſt, das Haupt geſtützt in der Rechten.
Er iſt nicht mehr wie früher, ſagte Frau Hadwig zur Griechin.
Er iſt nicht mehr wie früher! ſprach Praxedis gedankenlos ihr
nach. Sie hatte auf die hegauiſchen Weiber zu ſchauen und ihren
Feſtſchmuck, und überlegte an dieſen hohen Miedern und faßartig ge-
ſteiften Röcken und der unnennbaren Haltung beim Tanz, ob der
Genius guten Geſchmackes händeringend für immer dies Land ver-
laſſen oder ob ſein Fuß es noch gar nie betreten habe.
Frau Hadwig trat vor Ekkehard. Er fuhr auf ſeinem Moosſitz
empor, als wär' ihm ein Geiſt erſchienen.
Einſam und fern von den Fröhlichen? frug ſie. Was treibet
Ihr?
Ich denke drüber nach, wo das Glück ſei, ſprach Ekkehard.
D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 15
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/247>, abgerufen am 17.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.