Reichenau, grünendes Eiland, wie bist du vor Andern gesegnet, Reich an Schätzen des Wissens und heiligem Sinn der Bewohner, Reich an des Obstbaums Frucht und schwellender Traube des Weinbergs: Immerdar blüht es auf dir, und spiegelt im See sich die Lilie, Weithin schallet dein Ruhm bis in's neblige Land der Britannen.
hatte schon in Ludwig des Deutschen Tagen der gelahrte Mönch Er- menrich93) gesungen, da ihn auf seiner Abtei Ellwangen Heimweh nach den schimmernden Fluthen des Bodensee beschlich.
Ekkehard beschloß dieser Nebenbuhlerin seines Klosters einen Be- such abzustatten. Am weißsandigen Gestad von Ermatingen stand ein Fischer im Kahn und schöpfte das Wasser aus. Da deutete Ekkehard mit seinem Stab nach dem Eiland: Führt mich hinüber, guter Freund!
Mönchshabit verlieh damals jeder Aufforderung Nachdruck. Der Fischer aber schüttelte verdrossen das Haupt: Ich fahre Keinen mehr von euch, seit ihr mich am letzten Ruggericht um einen Schilling ge- büßt ...
Warum haben sie Euch gebüßt?
Wegen dem Kreuzmann!
Wer ist der Kreuzmann?
Der Allmann.
Auch der ist mir unbekannt, sprach Ekkehard, wie sieht er aus?
Aus Erz ist er gegossen, brummte der Fischer, von zweier Span- nen Höhe, und hält drei Seerosen in der Hand. Der stund im alten Weidenbaum zu Allmannsdorf, und 's war gut, daß er dort stund, aber seit dem letzten Ruggericht haben sie ihn aus dem Baum gehauen und in's Kloster verschleppt. Jetzt steht er auf des welschen Bischofs Grab in Niederzell, was soll er dort? Todten Heiligen Fische fangen helfen?! ...94)
Da merkte Ekkehard, daß des Fischers Christenglaube noch nicht felsenfest stand und mochte sich erklären, warum das eherne Götzenbild ihm die Schillingsbuße eingetragen -- er hatte ihm ein Zicklein nächt- lich als Opfer geschlachtet, damit seine Fischzüge mit Felchen, Forellen und Braxmannen gesegnet würden, und die Rugmänner hatten nach kaiserlicher Verordnung solch heidnisch Rückerinnern geahndet.
Reichenau, grünendes Eiland, wie biſt du vor Andern geſegnet, Reich an Schätzen des Wiſſens und heiligem Sinn der Bewohner, Reich an des Obſtbaums Frucht und ſchwellender Traube des Weinbergs: Immerdar blüht es auf dir, und ſpiegelt im See ſich die Lilie, Weithin ſchallet dein Ruhm bis in's neblige Land der Britannen.
hatte ſchon in Ludwig des Deutſchen Tagen der gelahrte Mönch Er- menrich93) geſungen, da ihn auf ſeiner Abtei Ellwangen Heimweh nach den ſchimmernden Fluthen des Bodenſee beſchlich.
Ekkehard beſchloß dieſer Nebenbuhlerin ſeines Kloſters einen Be- ſuch abzuſtatten. Am weißſandigen Geſtad von Ermatingen ſtand ein Fiſcher im Kahn und ſchöpfte das Waſſer aus. Da deutete Ekkehard mit ſeinem Stab nach dem Eiland: Führt mich hinüber, guter Freund!
Mönchshabit verlieh damals jeder Aufforderung Nachdruck. Der Fiſcher aber ſchüttelte verdroſſen das Haupt: Ich fahre Keinen mehr von euch, ſeit ihr mich am letzten Ruggericht um einen Schilling ge- büßt ...
Warum haben ſie Euch gebüßt?
Wegen dem Kreuzmann!
Wer iſt der Kreuzmann?
Der Allmann.
Auch der iſt mir unbekannt, ſprach Ekkehard, wie ſieht er aus?
Aus Erz iſt er gegoſſen, brummte der Fiſcher, von zweier Span- nen Höhe, und hält drei Seeroſen in der Hand. Der ſtund im alten Weidenbaum zu Allmannsdorf, und 's war gut, daß er dort ſtund, aber ſeit dem letzten Ruggericht haben ſie ihn aus dem Baum gehauen und in's Kloſter verſchleppt. Jetzt ſteht er auf des welſchen Biſchofs Grab in Niederzell, was ſoll er dort? Todten Heiligen Fiſche fangen helfen?! ...94)
Da merkte Ekkehard, daß des Fiſchers Chriſtenglaube noch nicht felſenfeſt ſtand und mochte ſich erklären, warum das eherne Götzenbild ihm die Schillingsbuße eingetragen — er hatte ihm ein Zicklein nächt- lich als Opfer geſchlachtet, damit ſeine Fiſchzüge mit Felchen, Forellen und Braxmannen geſegnet würden, und die Rugmänner hatten nach kaiſerlicher Verordnung ſolch heidniſch Rückerinnern geahndet.
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Reichenau, grünendes Eiland, wie biſt du vor Andern geſegnet,
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Reich an des Obſtbaums Frucht und ſchwellender Traube des Weinbergs:
Immerdar blüht es auf dir, und ſpiegelt im See ſich die Lilie,
Weithin ſchallet dein Ruhm bis in's neblige Land der Britannen.
hatte ſchon in Ludwig des Deutſchen Tagen der gelahrte Mönch Er-
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geſungen, da ihn auf ſeiner Abtei Ellwangen Heimweh
nach den ſchimmernden Fluthen des Bodenſee beſchlich.
Ekkehard beſchloß dieſer Nebenbuhlerin ſeines Kloſters einen Be-
ſuch abzuſtatten. Am weißſandigen Geſtad von Ermatingen ſtand ein
Fiſcher im Kahn und ſchöpfte das Waſſer aus. Da deutete Ekkehard
mit ſeinem Stab nach dem Eiland: Führt mich hinüber, guter
Freund!
Mönchshabit verlieh damals jeder Aufforderung Nachdruck. Der
Fiſcher aber ſchüttelte verdroſſen das Haupt: Ich fahre Keinen mehr
von euch, ſeit ihr mich am letzten Ruggericht um einen Schilling ge-
büßt ...
Warum haben ſie Euch gebüßt?
Wegen dem Kreuzmann!
Wer iſt der Kreuzmann?
Der Allmann.
Auch der iſt mir unbekannt, ſprach Ekkehard, wie ſieht er aus?
Aus Erz iſt er gegoſſen, brummte der Fiſcher, von zweier Span-
nen Höhe, und hält drei Seeroſen in der Hand. Der ſtund im alten
Weidenbaum zu Allmannsdorf, und 's war gut, daß er dort ſtund,
aber ſeit dem letzten Ruggericht haben ſie ihn aus dem Baum gehauen
und in's Kloſter verſchleppt. Jetzt ſteht er auf des welſchen Biſchofs
Grab in Niederzell, was ſoll er dort? Todten Heiligen Fiſche fangen
helfen?! ...
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Da merkte Ekkehard, daß des Fiſchers Chriſtenglaube noch nicht
felſenfeſt ſtand und mochte ſich erklären, warum das eherne Götzenbild
ihm die Schillingsbuße eingetragen — er hatte ihm ein Zicklein nächt-
lich als Opfer geſchlachtet, damit ſeine Fiſchzüge mit Felchen, Forellen
und Braxmannen geſegnet würden, und die Rugmänner hatten nach
kaiſerlicher Verordnung ſolch heidniſch Rückerinnern geahndet.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/83>, abgerufen am 16.06.2024.
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