Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 1. Wien, 1746.
"Ein arm verlaßnes Weib mit ihrer Kinder-Schaar "Sizt in dem Elend dort; weint, heulet, krazt im Haar; "Schreyt, ächzet, rufft um Brod; du wirst sie freundlich grüssen, 380"Was lässest aber du sie bey der Qual geniessen? "Des Winters Grimm und Schaur raßt, wüttet: es erstarrt "Ein armer Kinder-Schwarm, der sich im Schnee verscharrt. "Dort fährest du vorbey; du lächelst auf die Kinder; "Wird Hunger, Frost und Schmerz für sie dadurch gelinder? 385"Hold, freundlich, angenehm ist deiner Wercke Macht! "Verzeih! wann dich mein Herz in Freundlichkeit verlacht! "Bey jener Wasser-Noth bin ich nach Hof geloffen, "Wo ich die Königinn noch schlaffend angetroffen; 387. "Jch 387. [Spaltenumbruch]
Welche den 5. 6. 7. und 8. Merz-Monat 1744. die Rossau/ die Leopold-Stadt/ und alle an der Do- [Spaltenumbruch] nau herum ligende Gegenden auf et- liche Meilen überschwemmte. U 3
„Ein arm verlaßnes Weib mit ihrer Kinder-Schaar „Sizt in dem Elend dort; weint, heulet, krazt im Haar; „Schreyt, aͤchzet, rufft um Brod; du wirſt ſie freundlich gruͤſſen, 380„Was laͤſſeſt aber du ſie bey der Qual genieſſen? „Des Winters Grimm und Schaur raßt, wuͤttet: es erſtarꝛt „Ein armer Kinder-Schwarm, der ſich im Schnee verſcharꝛt. „Dort faͤhreſt du vorbey; du laͤchelſt auf die Kinder; „Wird Hunger, Froſt und Schmerz fuͤr ſie dadurch gelinder? 385„Hold, freundlich, angenehm iſt deiner Wercke Macht! „Verzeih! wann dich mein Herz in Freundlichkeit verlacht! „Bey jener Waſſer-Noth bin ich nach Hof geloffen, „Wo ich die Koͤniginn noch ſchlaffend angetroffen; 387. „Jch 387. [Spaltenumbruch]
Welche den 5. 6. 7. und 8. Merz-Monat 1744. die Roſſau/ die Leopold-Stadt/ und alle an der Do- [Spaltenumbruch] nau herum ligende Gegenden auf et- liche Meilen uͤberſchwem̃te. U 3
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Fuͤnftes Buch.
„Gezwungener Beweis! Jch ſez’, und es geſchicht,
„Daß aufgehaͤuftes Eis den Damm des Strohms erbricht:
„Wodurch der Waͤſſer Macht ein halbes Land verſchlinge,
„Wald, Gaͤrten, Dorff und Feld in ihren Wirbel bringe.
„Sag an Leutſaͤligkeit! du ſteigeſt auf den Wall,
„Du ſchaueſt freundlich zu wie dieſer Waſſer-Schwall
„Viel tauſend Menſchen ſchreckt? wie viele gar ertrincken?
„Wie mancher in dem Schlam muß Beyſtand-loß verſincken.
„Ein arm verlaßnes Weib mit ihrer Kinder-Schaar
„Sizt in dem Elend dort; weint, heulet, krazt im Haar;
„Schreyt, aͤchzet, rufft um Brod; du wirſt ſie freundlich gruͤſſen,
„Was laͤſſeſt aber du ſie bey der Qual genieſſen?
„Des Winters Grimm und Schaur raßt, wuͤttet: es erſtarꝛt
„Ein armer Kinder-Schwarm, der ſich im Schnee verſcharꝛt.
„Dort faͤhreſt du vorbey; du laͤchelſt auf die Kinder;
„Wird Hunger, Froſt und Schmerz fuͤr ſie dadurch gelinder?
„Hold, freundlich, angenehm iſt deiner Wercke Macht!
„Verzeih! wann dich mein Herz in Freundlichkeit verlacht!
„Bey jener Waſſer-Noth bin ich nach Hof geloffen,
„Wo ich die Koͤniginn noch ſchlaffend angetroffen;
„Jch
387.
387.
Welche den 5. 6. 7. und 8.
Merz-Monat 1744. die Roſſau/ die
Leopold-Stadt/ und alle an der Do-
nau herum ligende Gegenden auf et-
liche Meilen uͤberſchwem̃te.
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Zitationshilfe: | Scheyb, Franz Christoph von: Theresiade. Bd. 1. Wien, 1746, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheyb_theresiade01_1746/164>, abgerufen am 17.06.2024. |