stürzt -- eben diese geahndete Vollkommenheit der Dinge. Wäre nicht alles so in sich beschlossen, säh' ich auch nur einen einzigen verunstaltenden Split¬ ter aus diesem schönen Kreise herausragen, so würde mir das die Unsterblichkeit beweisen. Aber alles, alles was ich sehe und bemerke, fällt zu die¬ sem sichtbaren Mittelpunkt zurück, und unsre edelste Geistigkeit ist eine so ganz unentbehrliche Maschine, dieses Rad der Vergänglichkeit zu treiben."
Ich begreife Sie nicht, gnädigster Prinz. Ihre eigne Philosophie spricht Ihnen das Urtheil: wahr¬ lich, Sie sind dem reichen Manne gleich, der bey allen seinen Schätzen darbet. Sie gestehen, daß der Mensch alles in sich schließe, um glücklich zu seyn, daß er seine Glückseligkeit nur allein durch das erhalten könne, was er besitzet, und Sie selbst wollen die Quelle ihres Unglücks außer Sich suchen. Sind Ihre Schlüsse wahr, so ist es ja nicht mög¬ lich, daß Sie auch nur mit einem Wunsche über diesen Ring hinausstreben, in welchem Sie den Menschen gefangen halten.
"Das eben ist das Schlimme, daß wir nur moralisch vollkommen, nur glückselig sind, um brauchbar zu seyn, daß wir unsern Fleiß, aber nicht unsre Werke genießen. Hunderttausend arbeitsame Hände trugen die Steine zu den Pyra¬ miden zusammen -- aber nicht die Pyramide war ihr Lohn. Die Pyramide ergötzte das Auge der Könige, und die fleißigen Sklaven fand man mit
dem
ſtürzt — eben dieſe geahndete Vollkommenheit der Dinge. Wäre nicht alles ſo in ſich beſchloſſen, ſäh' ich auch nur einen einzigen verunſtaltenden Split¬ ter aus dieſem ſchönen Kreiſe herausragen, ſo würde mir das die Unſterblichkeit beweiſen. Aber alles, alles was ich ſehe und bemerke, fällt zu die¬ ſem ſichtbaren Mittelpunkt zurück, und unſre edelſte Geiſtigkeit iſt eine ſo ganz unentbehrliche Maſchine, dieſes Rad der Vergänglichkeit zu treiben.“
Ich begreife Sie nicht, gnädigſter Prinz. Ihre eigne Philoſophie ſpricht Ihnen das Urtheil: wahr¬ lich, Sie ſind dem reichen Manne gleich, der bey allen ſeinen Schätzen darbet. Sie geſtehen, daß der Menſch alles in ſich ſchließe, um glücklich zu ſeyn, daß er ſeine Glückſeligkeit nur allein durch das erhalten könne, was er beſitzet, und Sie ſelbſt wollen die Quelle ihres Unglücks außer Sich ſuchen. Sind Ihre Schlüſſe wahr, ſo iſt es ja nicht mög¬ lich, daß Sie auch nur mit einem Wunſche über dieſen Ring hinausſtreben, in welchem Sie den Menſchen gefangen halten.
„Das eben iſt das Schlimme, daß wir nur moraliſch vollkommen, nur glückſelig ſind, um brauchbar zu ſeyn, daß wir unſern Fleiß, aber nicht unſre Werke genießen. Hunderttauſend arbeitſame Hände trugen die Steine zu den Pyra¬ miden zuſammen — aber nicht die Pyramide war ihr Lohn. Die Pyramide ergötzte das Auge der Könige, und die fleißigen Sklaven fand man mit
dem
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ſtürzt — eben dieſe geahndete Vollkommenheit der
Dinge. Wäre nicht alles ſo in ſich beſchloſſen, ſäh'
ich auch nur einen einzigen verunſtaltenden Split¬
ter aus dieſem ſchönen Kreiſe herausragen, ſo
würde mir das die Unſterblichkeit beweiſen. Aber
alles, alles was ich ſehe und bemerke, fällt zu die¬
ſem ſichtbaren Mittelpunkt zurück, und unſre
edelſte Geiſtigkeit iſt eine ſo ganz unentbehrliche
Maſchine, dieſes Rad der Vergänglichkeit zu
treiben.“
Ich begreife Sie nicht, gnädigſter Prinz. Ihre
eigne Philoſophie ſpricht Ihnen das Urtheil: wahr¬
lich, Sie ſind dem reichen Manne gleich, der bey
allen ſeinen Schätzen darbet. Sie geſtehen, daß
der Menſch alles in ſich ſchließe, um glücklich zu
ſeyn, daß er ſeine Glückſeligkeit nur allein durch
das erhalten könne, was er beſitzet, und Sie ſelbſt
wollen die Quelle ihres Unglücks außer Sich ſuchen.
Sind Ihre Schlüſſe wahr, ſo iſt es ja nicht mög¬
lich, daß Sie auch nur mit einem Wunſche über
dieſen Ring hinausſtreben, in welchem Sie den
Menſchen gefangen halten.
„Das eben iſt das Schlimme, daß wir nur
moraliſch vollkommen, nur glückſelig ſind, um
brauchbar zu ſeyn, daß wir unſern Fleiß, aber
nicht unſre Werke genießen. Hunderttauſend
arbeitſame Hände trugen die Steine zu den Pyra¬
miden zuſammen — aber nicht die Pyramide war
ihr Lohn. Die Pyramide ergötzte das Auge der
Könige, und die fleißigen Sklaven fand man mit
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Schiller, Friedrich: Der Geisterseher. Leipzig, 1789, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schiller_geisterseher_1789/170>, abgerufen am 18.06.2024.
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