Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800.gehört, als diese. Wie man über einen eigentlich wissenschaftlichen Gegenstand in dieser Manier nicht reden, und auch nur mit viel Kunst und Mühe zu reden scheinen kann, ist in den Betrachtungen über die Sittenlehre zu sehen. Die Moral ist Garven eine Wissenschaft, worin über Erfahrungen reflectirt wird, die allgemein anerkannten moralischen Vorschriften sind diese Erfahrungen, und die Principien der Philosophen sind den Hypothesen der Physik ähnlich. Von einem System, welches auf einem andern, zum Beispiel dem entgegengesetzten Wege construirt würde, weiß er nichts, und das um so weniger, da ihm zu Folge die Philosophen nur Jdeen ableiten, Jdeen willkührlich zu combiniren aber ein Werk der Dichtkunst ist. Hier haben wir jenen Realismus des Raisonnements in seiner höchsten Vollkommenheit. Ohne sich durch den Sextus Empiricus irre machen zu laßen, setzt er die apodiktische Gewißheit in die gemein geltenden Aussprüche, und sucht eine allgemeine Erklärung dazu, nicht als Triebfeder, sondern als Formel. Was er im Verstehen Anderer leisten konnte, hat er durch die Uebersetzung des Aristoteles und der verschiedenen Moralsysteme dargethan -- denn die Darstellung derselben ist ebenfalls eine Uebersetzung in seine eigne Denkart. Die Systeme hat er als Erscheinungen angesehn, zerlegt und darüber reflectirt; aber sie zu combiniren hat er nicht verstanden; sie stehen neben einander aufs Ohngefähr. Ueberhaupt ist auch hier das Einzelne die große Losung; er will und kann nur das Einzelne verstehn und wiedergeben, und hält den Styl und den gehoͤrt, als diese. Wie man uͤber einen eigentlich wissenschaftlichen Gegenstand in dieser Manier nicht reden, und auch nur mit viel Kunst und Muͤhe zu reden scheinen kann, ist in den Betrachtungen uͤber die Sittenlehre zu sehen. Die Moral ist Garven eine Wissenschaft, worin uͤber Erfahrungen reflectirt wird, die allgemein anerkannten moralischen Vorschriften sind diese Erfahrungen, und die Principien der Philosophen sind den Hypothesen der Physik aͤhnlich. Von einem System, welches auf einem andern, zum Beispiel dem entgegengesetzten Wege construirt wuͤrde, weiß er nichts, und das um so weniger, da ihm zu Folge die Philosophen nur Jdeen ableiten, Jdeen willkuͤhrlich zu combiniren aber ein Werk der Dichtkunst ist. Hier haben wir jenen Realismus des Raisonnements in seiner hoͤchsten Vollkommenheit. Ohne sich durch den Sextus Empiricus irre machen zu laßen, setzt er die apodiktische Gewißheit in die gemein geltenden Ausspruͤche, und sucht eine allgemeine Erklaͤrung dazu, nicht als Triebfeder, sondern als Formel. Was er im Verstehen Anderer leisten konnte, hat er durch die Uebersetzung des Aristoteles und der verschiedenen Moralsysteme dargethan — denn die Darstellung derselben ist ebenfalls eine Uebersetzung in seine eigne Denkart. Die Systeme hat er als Erscheinungen angesehn, zerlegt und daruͤber reflectirt; aber sie zu combiniren hat er nicht verstanden; sie stehen neben einander aufs Ohngefaͤhr. Ueberhaupt ist auch hier das Einzelne die große Losung; er will und kann nur das Einzelne verstehn und wiedergeben, und haͤlt den Styl und den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0145" n="137"/> gehoͤrt, als diese. Wie man uͤber einen eigentlich wissenschaftlichen Gegenstand in dieser Manier nicht reden, und auch nur mit viel Kunst und Muͤhe zu reden scheinen kann, ist in den Betrachtungen uͤber die Sittenlehre zu sehen. Die Moral ist Garven eine Wissenschaft, worin uͤber Erfahrungen reflectirt wird, die allgemein anerkannten moralischen Vorschriften sind diese Erfahrungen, und die Principien der Philosophen sind den Hypothesen der Physik aͤhnlich. Von einem System, welches auf einem andern, zum Beispiel dem entgegengesetzten Wege construirt wuͤrde, weiß er nichts, und das um so weniger, da ihm zu Folge die Philosophen nur Jdeen ableiten, Jdeen willkuͤhrlich zu combiniren aber ein Werk der Dichtkunst ist. Hier haben wir jenen Realismus des Raisonnements in seiner hoͤchsten Vollkommenheit. Ohne sich durch den Sextus Empiricus irre machen zu laßen, setzt er die apodiktische Gewißheit in die gemein geltenden Ausspruͤche, und sucht eine allgemeine Erklaͤrung dazu, nicht als Triebfeder, sondern als Formel.</p><lb/> <p>Was er im Verstehen Anderer leisten konnte, hat er durch die Uebersetzung des Aristoteles und der verschiedenen Moralsysteme dargethan — denn die Darstellung derselben ist ebenfalls eine Uebersetzung in seine eigne Denkart. Die Systeme hat er als Erscheinungen angesehn, zerlegt und daruͤber reflectirt; aber sie zu combiniren hat er nicht verstanden; sie stehen neben einander aufs Ohngefaͤhr. Ueberhaupt ist auch hier das Einzelne die große Losung; er will und kann nur das Einzelne verstehn und wiedergeben, und haͤlt den Styl und den </p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [137/0145]
gehoͤrt, als diese. Wie man uͤber einen eigentlich wissenschaftlichen Gegenstand in dieser Manier nicht reden, und auch nur mit viel Kunst und Muͤhe zu reden scheinen kann, ist in den Betrachtungen uͤber die Sittenlehre zu sehen. Die Moral ist Garven eine Wissenschaft, worin uͤber Erfahrungen reflectirt wird, die allgemein anerkannten moralischen Vorschriften sind diese Erfahrungen, und die Principien der Philosophen sind den Hypothesen der Physik aͤhnlich. Von einem System, welches auf einem andern, zum Beispiel dem entgegengesetzten Wege construirt wuͤrde, weiß er nichts, und das um so weniger, da ihm zu Folge die Philosophen nur Jdeen ableiten, Jdeen willkuͤhrlich zu combiniren aber ein Werk der Dichtkunst ist. Hier haben wir jenen Realismus des Raisonnements in seiner hoͤchsten Vollkommenheit. Ohne sich durch den Sextus Empiricus irre machen zu laßen, setzt er die apodiktische Gewißheit in die gemein geltenden Ausspruͤche, und sucht eine allgemeine Erklaͤrung dazu, nicht als Triebfeder, sondern als Formel.
Was er im Verstehen Anderer leisten konnte, hat er durch die Uebersetzung des Aristoteles und der verschiedenen Moralsysteme dargethan — denn die Darstellung derselben ist ebenfalls eine Uebersetzung in seine eigne Denkart. Die Systeme hat er als Erscheinungen angesehn, zerlegt und daruͤber reflectirt; aber sie zu combiniren hat er nicht verstanden; sie stehen neben einander aufs Ohngefaͤhr. Ueberhaupt ist auch hier das Einzelne die große Losung; er will und kann nur das Einzelne verstehn und wiedergeben, und haͤlt den Styl und den
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Zitationshilfe: | Schlegel, August Wilhelm von; Schlegel, Friedrich von (Hrsg.): Athenaeum. Bd. 3. Berlin, 1800, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schlegel_athenaeum_1800/145>, abgerufen am 13.06.2024. |