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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848.

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Kraft aus, Kohlensäure und Ammoniakgas der Luft zu entziehen und
gleichsam zu sammeln; auch in dieser Beziehung kommt ihm keine
feste Substanz des Erdbodens gleich und nur das Wasser steht ihm
darin am nächsten. Der Humus enthält somit unter allen Umständen
stets ein mit Kohlensäure und Ammoniak geschwängertes Wasser,
und so wie ihm dasselbe durch die Wurzeln der Pflanzen entzogen
wird, ersetzt er den Verlust wieder aus der Atmosphäre. Sicher ist
dies der hauptsächlichste Weg, auf welchem den Pflanzen das Wasser
zugeführt wird, höchst wahrscheinlich der wesentlichste Canal, durch
welchen sie mit Ammoniak gespeist werden, und gewiß wird ihnen
dadurch wenigstens ein großer Theil der Kohlensäure zugeführt.
Sehen wir eine kürzlich blosgelegte Fläche eines Granitblocks z. B.
auf der Spitze des Brockens an, so finden wir, daß, ernährt von der
geringen Menge von kohlensaurem, mit Ammoniak geschwängerten
atmosphärischen Wasser sich bald eine Vegetation einer kleinen zarten,
nur unterm Microscop erkennbaren Pflanze auf demselben entwickelt.
Dieß ist der sogen. Veilchenstein, ein scharlachrother, pulverförmiger
Ueberzug des nackten Gesteins, welcher durch seinen besonders beim
Reiben hervortretenden Veilchengeruch eine fleißig gesuchte Merkwür-
digkeit für den sinnigen Brockenwanderer geworden ist. Durch das
allmälige Absterben und Verwesen dieser kleinen Pflänzchen bildet sich
nach und nach ein ganz dünner Ueberzug von Humus, der schon ein
Paar großen schwarzbraunen Flechten die nöthige Nahrung aus der
Atmosphäre zuführen kann. Diese Flechten, welche die Halden um
die Tagöffnungen der Bergwerke von Fahlun und Dannemora in
Schweden dicht überziehen und durch ihre düstre Farbe, die sie der
ganzen Gegend aufprägen, jene Pingen oder Tagfahrten als die fin-
stern Schlünde des Todes erscheinen lassen, haben die Botaniker tref-
fend die stygische und die Fahluner Flechte genannt. Aber sie sind
hier keine Boten des Todes; ihr Absterben vielmehr bereitet den
Boden für das kleine zierliche Alpenmoos, dessen Vernichtung bald
grünere und üppigere Moose folgen, bis sich hinreichender Boden für die
Rauschbeere, für den Wachholder und endlich für die Fichte gebil-

Kraft aus, Kohlenſäure und Ammoniakgas der Luft zu entziehen und
gleichſam zu ſammeln; auch in dieſer Beziehung kommt ihm keine
feſte Subſtanz des Erdbodens gleich und nur das Waſſer ſteht ihm
darin am nächſten. Der Humus enthält ſomit unter allen Umſtänden
ſtets ein mit Kohlenſäure und Ammoniak geſchwängertes Waſſer,
und ſo wie ihm daſſelbe durch die Wurzeln der Pflanzen entzogen
wird, erſetzt er den Verluſt wieder aus der Atmoſphäre. Sicher iſt
dies der hauptſächlichſte Weg, auf welchem den Pflanzen das Waſſer
zugeführt wird, höchſt wahrſcheinlich der weſentlichſte Canal, durch
welchen ſie mit Ammoniak geſpeiſt werden, und gewiß wird ihnen
dadurch wenigſtens ein großer Theil der Kohlenſäure zugeführt.
Sehen wir eine kürzlich blosgelegte Fläche eines Granitblocks z. B.
auf der Spitze des Brockens an, ſo finden wir, daß, ernährt von der
geringen Menge von kohlenſaurem, mit Ammoniak geſchwängerten
atmoſphäriſchen Waſſer ſich bald eine Vegetation einer kleinen zarten,
nur unterm Microſcop erkennbaren Pflanze auf demſelben entwickelt.
Dieß iſt der ſogen. Veilchenſtein, ein ſcharlachrother, pulverförmiger
Ueberzug des nackten Geſteins, welcher durch ſeinen beſonders beim
Reiben hervortretenden Veilchengeruch eine fleißig geſuchte Merkwür-
digkeit für den ſinnigen Brockenwanderer geworden iſt. Durch das
allmälige Abſterben und Verweſen dieſer kleinen Pflänzchen bildet ſich
nach und nach ein ganz dünner Ueberzug von Humus, der ſchon ein
Paar großen ſchwarzbraunen Flechten die nöthige Nahrung aus der
Atmoſphäre zuführen kann. Dieſe Flechten, welche die Halden um
die Tagöffnungen der Bergwerke von Fahlun und Dannemora in
Schweden dicht überziehen und durch ihre düſtre Farbe, die ſie der
ganzen Gegend aufprägen, jene Pingen oder Tagfahrten als die fin-
ſtern Schlünde des Todes erſcheinen laſſen, haben die Botaniker tref-
fend die ſtygiſche und die Fahluner Flechte genannt. Aber ſie ſind
hier keine Boten des Todes; ihr Abſterben vielmehr bereitet den
Boden für das kleine zierliche Alpenmoos, deſſen Vernichtung bald
grünere und üppigere Mooſe folgen, bis ſich hinreichender Boden für die
Rauſchbeere, für den Wachholder und endlich für die Fichte gebil-

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[151/0167] Kraft aus, Kohlenſäure und Ammoniakgas der Luft zu entziehen und gleichſam zu ſammeln; auch in dieſer Beziehung kommt ihm keine feſte Subſtanz des Erdbodens gleich und nur das Waſſer ſteht ihm darin am nächſten. Der Humus enthält ſomit unter allen Umſtänden ſtets ein mit Kohlenſäure und Ammoniak geſchwängertes Waſſer, und ſo wie ihm daſſelbe durch die Wurzeln der Pflanzen entzogen wird, erſetzt er den Verluſt wieder aus der Atmoſphäre. Sicher iſt dies der hauptſächlichſte Weg, auf welchem den Pflanzen das Waſſer zugeführt wird, höchſt wahrſcheinlich der weſentlichſte Canal, durch welchen ſie mit Ammoniak geſpeiſt werden, und gewiß wird ihnen dadurch wenigſtens ein großer Theil der Kohlenſäure zugeführt. Sehen wir eine kürzlich blosgelegte Fläche eines Granitblocks z. B. auf der Spitze des Brockens an, ſo finden wir, daß, ernährt von der geringen Menge von kohlenſaurem, mit Ammoniak geſchwängerten atmoſphäriſchen Waſſer ſich bald eine Vegetation einer kleinen zarten, nur unterm Microſcop erkennbaren Pflanze auf demſelben entwickelt. Dieß iſt der ſogen. Veilchenſtein, ein ſcharlachrother, pulverförmiger Ueberzug des nackten Geſteins, welcher durch ſeinen beſonders beim Reiben hervortretenden Veilchengeruch eine fleißig geſuchte Merkwür- digkeit für den ſinnigen Brockenwanderer geworden iſt. Durch das allmälige Abſterben und Verweſen dieſer kleinen Pflänzchen bildet ſich nach und nach ein ganz dünner Ueberzug von Humus, der ſchon ein Paar großen ſchwarzbraunen Flechten die nöthige Nahrung aus der Atmoſphäre zuführen kann. Dieſe Flechten, welche die Halden um die Tagöffnungen der Bergwerke von Fahlun und Dannemora in Schweden dicht überziehen und durch ihre düſtre Farbe, die ſie der ganzen Gegend aufprägen, jene Pingen oder Tagfahrten als die fin- ſtern Schlünde des Todes erſcheinen laſſen, haben die Botaniker tref- fend die ſtygiſche und die Fahluner Flechte genannt. Aber ſie ſind hier keine Boten des Todes; ihr Abſterben vielmehr bereitet den Boden für das kleine zierliche Alpenmoos, deſſen Vernichtung bald grünere und üppigere Mooſe folgen, bis ſich hinreichender Boden für die Rauſchbeere, für den Wachholder und endlich für die Fichte gebil-

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Zitationshilfe: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig, 1848, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schleiden_pflanze_1848/167>, abgerufen am 02.06.2024.