der Industrie- und Bergwerkscentren, die stillstehende oder gar abnehmende Land- bevölkerung, die Zunahme der Wanderungen, die wachsende geographische und sonstige Arbeitsteilung erscheinen als zusammenhängende Ergebnisse des Maschinenzeitalters, auf die wir anderwärts kommen. --
Als dritte Folge heben wir die Verschiebung hervor, welche zwischen den Haupt- organen des volkswirtschaftlichen Lebens und ihren Funktionen stattfand, nämlich zwischen Familie, Gebietskörperschaft (Gemeinde, Provinz, Staat) und Unternehmung. Familie und Unternehmung fiel früher noch meist zusammen. Vor allem die neuere Technik schied sie, machte einen steigenden Teil der Unternehmungen zu selbständigen, technisch- geschäftlichen Anstalten, trennte Familienwirtschaft und Werkstatt. Und dieselben Ursachen, die steigende Kapital- und Maschinenanwendung, der technische Vorteil, welchen größere Anstalten gaben, begünstigten mehr und mehr den Großbetrieb.
Er lag zuerst im 17. und 18. Jahrhundert vielfach in fürstlichen Händen, dann löste er sich von der bureaukratischen Schwerfälligkeit, die damit gegeben war, los. Der private Großbetrieb, neuerdings der in Aktien- oder Kartellhänden, schien als der voll- kommenste, weil in der freien Hand hochstehender kaufmännisch-technischer Führer liegend. Aber seit den letzten Jahrzehnten hat auch die Großtechnik der Gemeinden, Provinzen und Staaten nicht bloß im Straßen- und Wasserbau, in der modernen Kriegstechnik, sondern gerade auch in specifisch wirtschaftlichen Funktionen, im Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen, in öffentlichen Bauten aller Art erhebliche Triumphe gefeiert. Und schon kann man hören: gerade die moderne Technik nötige zu einer Vergesellschaftung ihrer Anwendung. Dem Vorwurf, daß unsere Städte aus einem Organismus verbundener Wohnhäuser ein anarchischer Haufen von Werkstätten, Fabriken und Bahnhöfen geworden, könnte man, optimistisch übertreibend, heute schon den Satz entgegenstellen: die moderne Stadt werde eine technische Gesamtbauanlage werden, in welcher durch Straßen- und Bau- polizei den Wohnungen und Werkstätten, den Parks und den Schulen, den Markthallen und Bahnhöfen ihr Platz angewiesen sei, und alle diese Stätten durch einheitliche Wasser- und Abzugs-, Gas- und elektrische Leitungen, durch den gemeinsamen Dienst der Straßen, der Verkehrsanstalten, der Krankenhäuser und Theater und all der weiteren, auf die Kommune gehäuften Funktionen verbunden seien.
Man hat den technischen Fortschritt schon danach einteilen wollen, ob er mehr den Individuen und Familien oder mehr den größeren socialen Körpern zufalle oder diene. Es ist kein falscher Gedanke. Der Pflug diente der Wirtschaft der Familie, die Bewässerungsanlage war stets Sache der Gemeinde; die Flinte kam in die Hand des Individuums, die Kanone in die des Staates. Aber doch können viele technische Fort- schritte je nach ihrer gesellschaftlichen Ausgestaltung, je nach den Institutionen von dem Individuum wie von der Gesamtheit gehandhabt werden. Und es wäre schwer, von den heutigen technischen Fortschritten mehr zu sagen als das, daß viele derselben zu einer Großtechnik hindrängen; vor allem gilt dies vom Dampf, der Elektricität, von vielen Teilen unseres Bauwesens. Aber specifisch technische Ursachen entscheiden nicht, ob die Gasanstalt in Privat- oder Gemeindehänden zu liegen habe, ob die Eisenbahn dem Staate gehören solle oder nicht. Hobsons halb socialistischer Schluß, alle Großtechnik gehöre in die Hände der öffentlichen Korporation, weil diese Technik, von der Maschine beherrscht, Mechanisierung der Arbeitsprozesse, Uniformierung der Bedürfnisse und zur Ausbeutung verführende Monopolbildung bedeute, schießt übers Ziel hinaus; er übersieht, daß die Maschinenindustrie auch sehr wechselnden Bedürfnissen dient und insoweit also der privaten kaufmännischen Leitung nicht wohl entraten kann. Die sociale Ausgestaltung der Großtechnik ist je nach Rasse, volkswirtschaftlichen Traditionen, Staatseinrichtungen, sehr verschiedenartig möglich. So viel aber ist richtig, daß sie unserer heutigen Volks- wirtschaft gegenüber der früher überwiegenden Haus- und Kleinbetriebstechnik einen ganz neuen Stempel aufgedrückt hat, freilich ohne die Hauswirtschaft aufzuheben und ohne den Klein- und Mittelbetrieb ganz zu beseitigen; besonders in der Landwirtschaft besteht er technisch umgebildet, aber social unverändert fort. --
Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
der Induſtrie- und Bergwerkscentren, die ſtillſtehende oder gar abnehmende Land- bevölkerung, die Zunahme der Wanderungen, die wachſende geographiſche und ſonſtige Arbeitsteilung erſcheinen als zuſammenhängende Ergebniſſe des Maſchinenzeitalters, auf die wir anderwärts kommen. —
Als dritte Folge heben wir die Verſchiebung hervor, welche zwiſchen den Haupt- organen des volkswirtſchaftlichen Lebens und ihren Funktionen ſtattfand, nämlich zwiſchen Familie, Gebietskörperſchaft (Gemeinde, Provinz, Staat) und Unternehmung. Familie und Unternehmung fiel früher noch meiſt zuſammen. Vor allem die neuere Technik ſchied ſie, machte einen ſteigenden Teil der Unternehmungen zu ſelbſtändigen, techniſch- geſchäftlichen Anſtalten, trennte Familienwirtſchaft und Werkſtatt. Und dieſelben Urſachen, die ſteigende Kapital- und Maſchinenanwendung, der techniſche Vorteil, welchen größere Anſtalten gaben, begünſtigten mehr und mehr den Großbetrieb.
Er lag zuerſt im 17. und 18. Jahrhundert vielfach in fürſtlichen Händen, dann löſte er ſich von der bureaukratiſchen Schwerfälligkeit, die damit gegeben war, los. Der private Großbetrieb, neuerdings der in Aktien- oder Kartellhänden, ſchien als der voll- kommenſte, weil in der freien Hand hochſtehender kaufmänniſch-techniſcher Führer liegend. Aber ſeit den letzten Jahrzehnten hat auch die Großtechnik der Gemeinden, Provinzen und Staaten nicht bloß im Straßen- und Waſſerbau, in der modernen Kriegstechnik, ſondern gerade auch in ſpecifiſch wirtſchaftlichen Funktionen, im Eiſenbahn-, Poſt- und Telegraphenweſen, in öffentlichen Bauten aller Art erhebliche Triumphe gefeiert. Und ſchon kann man hören: gerade die moderne Technik nötige zu einer Vergeſellſchaftung ihrer Anwendung. Dem Vorwurf, daß unſere Städte aus einem Organismus verbundener Wohnhäuſer ein anarchiſcher Haufen von Werkſtätten, Fabriken und Bahnhöfen geworden, könnte man, optimiſtiſch übertreibend, heute ſchon den Satz entgegenſtellen: die moderne Stadt werde eine techniſche Geſamtbauanlage werden, in welcher durch Straßen- und Bau- polizei den Wohnungen und Werkſtätten, den Parks und den Schulen, den Markthallen und Bahnhöfen ihr Platz angewieſen ſei, und alle dieſe Stätten durch einheitliche Waſſer- und Abzugs-, Gas- und elektriſche Leitungen, durch den gemeinſamen Dienſt der Straßen, der Verkehrsanſtalten, der Krankenhäuſer und Theater und all der weiteren, auf die Kommune gehäuften Funktionen verbunden ſeien.
Man hat den techniſchen Fortſchritt ſchon danach einteilen wollen, ob er mehr den Individuen und Familien oder mehr den größeren ſocialen Körpern zufalle oder diene. Es iſt kein falſcher Gedanke. Der Pflug diente der Wirtſchaft der Familie, die Bewäſſerungsanlage war ſtets Sache der Gemeinde; die Flinte kam in die Hand des Individuums, die Kanone in die des Staates. Aber doch können viele techniſche Fort- ſchritte je nach ihrer geſellſchaftlichen Ausgeſtaltung, je nach den Inſtitutionen von dem Individuum wie von der Geſamtheit gehandhabt werden. Und es wäre ſchwer, von den heutigen techniſchen Fortſchritten mehr zu ſagen als das, daß viele derſelben zu einer Großtechnik hindrängen; vor allem gilt dies vom Dampf, der Elektricität, von vielen Teilen unſeres Bauweſens. Aber ſpecifiſch techniſche Urſachen entſcheiden nicht, ob die Gasanſtalt in Privat- oder Gemeindehänden zu liegen habe, ob die Eiſenbahn dem Staate gehören ſolle oder nicht. Hobſons halb ſocialiſtiſcher Schluß, alle Großtechnik gehöre in die Hände der öffentlichen Korporation, weil dieſe Technik, von der Maſchine beherrſcht, Mechaniſierung der Arbeitsprozeſſe, Uniformierung der Bedürfniſſe und zur Ausbeutung verführende Monopolbildung bedeute, ſchießt übers Ziel hinaus; er überſieht, daß die Maſchineninduſtrie auch ſehr wechſelnden Bedürfniſſen dient und inſoweit alſo der privaten kaufmänniſchen Leitung nicht wohl entraten kann. Die ſociale Ausgeſtaltung der Großtechnik iſt je nach Raſſe, volkswirtſchaftlichen Traditionen, Staatseinrichtungen, ſehr verſchiedenartig möglich. So viel aber iſt richtig, daß ſie unſerer heutigen Volks- wirtſchaft gegenüber der früher überwiegenden Haus- und Kleinbetriebstechnik einen ganz neuen Stempel aufgedrückt hat, freilich ohne die Hauswirtſchaft aufzuheben und ohne den Klein- und Mittelbetrieb ganz zu beſeitigen; beſonders in der Landwirtſchaft beſteht er techniſch umgebildet, aber ſocial unverändert fort. —
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Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
der Induſtrie- und Bergwerkscentren, die ſtillſtehende oder gar abnehmende Land-
bevölkerung, die Zunahme der Wanderungen, die wachſende geographiſche und ſonſtige
Arbeitsteilung erſcheinen als zuſammenhängende Ergebniſſe des Maſchinenzeitalters, auf
die wir anderwärts kommen. —
Als dritte Folge heben wir die Verſchiebung hervor, welche zwiſchen den Haupt-
organen des volkswirtſchaftlichen Lebens und ihren Funktionen ſtattfand, nämlich zwiſchen
Familie, Gebietskörperſchaft (Gemeinde, Provinz, Staat) und Unternehmung. Familie
und Unternehmung fiel früher noch meiſt zuſammen. Vor allem die neuere Technik
ſchied ſie, machte einen ſteigenden Teil der Unternehmungen zu ſelbſtändigen, techniſch-
geſchäftlichen Anſtalten, trennte Familienwirtſchaft und Werkſtatt. Und dieſelben Urſachen,
die ſteigende Kapital- und Maſchinenanwendung, der techniſche Vorteil, welchen größere
Anſtalten gaben, begünſtigten mehr und mehr den Großbetrieb.
Er lag zuerſt im 17. und 18. Jahrhundert vielfach in fürſtlichen Händen, dann
löſte er ſich von der bureaukratiſchen Schwerfälligkeit, die damit gegeben war, los. Der
private Großbetrieb, neuerdings der in Aktien- oder Kartellhänden, ſchien als der voll-
kommenſte, weil in der freien Hand hochſtehender kaufmänniſch-techniſcher Führer liegend.
Aber ſeit den letzten Jahrzehnten hat auch die Großtechnik der Gemeinden, Provinzen
und Staaten nicht bloß im Straßen- und Waſſerbau, in der modernen Kriegstechnik,
ſondern gerade auch in ſpecifiſch wirtſchaftlichen Funktionen, im Eiſenbahn-, Poſt- und
Telegraphenweſen, in öffentlichen Bauten aller Art erhebliche Triumphe gefeiert. Und
ſchon kann man hören: gerade die moderne Technik nötige zu einer Vergeſellſchaftung
ihrer Anwendung. Dem Vorwurf, daß unſere Städte aus einem Organismus verbundener
Wohnhäuſer ein anarchiſcher Haufen von Werkſtätten, Fabriken und Bahnhöfen geworden,
könnte man, optimiſtiſch übertreibend, heute ſchon den Satz entgegenſtellen: die moderne
Stadt werde eine techniſche Geſamtbauanlage werden, in welcher durch Straßen- und Bau-
polizei den Wohnungen und Werkſtätten, den Parks und den Schulen, den Markthallen
und Bahnhöfen ihr Platz angewieſen ſei, und alle dieſe Stätten durch einheitliche Waſſer-
und Abzugs-, Gas- und elektriſche Leitungen, durch den gemeinſamen Dienſt der Straßen,
der Verkehrsanſtalten, der Krankenhäuſer und Theater und all der weiteren, auf die
Kommune gehäuften Funktionen verbunden ſeien.
Man hat den techniſchen Fortſchritt ſchon danach einteilen wollen, ob er mehr
den Individuen und Familien oder mehr den größeren ſocialen Körpern zufalle oder
diene. Es iſt kein falſcher Gedanke. Der Pflug diente der Wirtſchaft der Familie, die
Bewäſſerungsanlage war ſtets Sache der Gemeinde; die Flinte kam in die Hand des
Individuums, die Kanone in die des Staates. Aber doch können viele techniſche Fort-
ſchritte je nach ihrer geſellſchaftlichen Ausgeſtaltung, je nach den Inſtitutionen von dem
Individuum wie von der Geſamtheit gehandhabt werden. Und es wäre ſchwer, von
den heutigen techniſchen Fortſchritten mehr zu ſagen als das, daß viele derſelben zu
einer Großtechnik hindrängen; vor allem gilt dies vom Dampf, der Elektricität, von
vielen Teilen unſeres Bauweſens. Aber ſpecifiſch techniſche Urſachen entſcheiden nicht,
ob die Gasanſtalt in Privat- oder Gemeindehänden zu liegen habe, ob die Eiſenbahn
dem Staate gehören ſolle oder nicht. Hobſons halb ſocialiſtiſcher Schluß, alle Großtechnik
gehöre in die Hände der öffentlichen Korporation, weil dieſe Technik, von der Maſchine
beherrſcht, Mechaniſierung der Arbeitsprozeſſe, Uniformierung der Bedürfniſſe und zur
Ausbeutung verführende Monopolbildung bedeute, ſchießt übers Ziel hinaus; er überſieht,
daß die Maſchineninduſtrie auch ſehr wechſelnden Bedürfniſſen dient und inſoweit alſo der
privaten kaufmänniſchen Leitung nicht wohl entraten kann. Die ſociale Ausgeſtaltung
der Großtechnik iſt je nach Raſſe, volkswirtſchaftlichen Traditionen, Staatseinrichtungen,
ſehr verſchiedenartig möglich. So viel aber iſt richtig, daß ſie unſerer heutigen Volks-
wirtſchaft gegenüber der früher überwiegenden Haus- und Kleinbetriebstechnik einen
ganz neuen Stempel aufgedrückt hat, freilich ohne die Hauswirtſchaft aufzuheben und
ohne den Klein- und Mittelbetrieb ganz zu beſeitigen; beſonders in der Landwirtſchaft
beſteht er techniſch umgebildet, aber ſocial unverändert fort. —
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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/238>, abgerufen am 15.06.2024.
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