Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

gelauffen kam, doch da meine Mitschüler, wie
die Ratzen, schlieffen, wolte ich mich auch nicht
melden, konte aber doch nicht unterlassen, durch
das Schlüssel-Loch zu gucken, da ich denn gar bald
mit Erstaunen sahe, wie die Bedienten dem Herrn
Praeceptor halb todt aus der nächtlichen Privat-
Schule heraus schleppten. Hierauf wurde alles
stille, der Amtmann ging in seine Schreibe-Stube,
hergegen zeigte sich die Frau Amtmännin mit blu-
tigen Gesichte, verwirrten Haaren, hinckenden
Füssen, ein groß Messer in der Hand haltend auf
dem Saale, und schrye: Wo ist der Schlüssel
Albert muß sterben, dem verfluchten Albert will
ich dieses Messer in die Kaldaunen stossen.

Mir wurde grün und gelb vor den Augen, da
ich diese höllische Furie also reden hörete, jedoch
der Amtmann kam, einen tüchtigen Prügel in der
rechten, einen blossen Degen aber in der lincken
Hand haltend, und jagte das verteuffelte Weib
zurück in ihre Cammer. Dem ohngeacht schrye
sie doch ohn Unterlaß: Albert muß sterben, ja der
Bastard Albert muß sterben, ich will ihn entweder
selbst ermorden, oder demjenigen hundert Thaler
geben, wer dem Hunde Gifft eingiebt.

Jch meines Orts gedachte: Sapienti sat! klei-
dete mich so hurtig an, als Zeit meines Lebens
noch nicht geschehen war, und schlich in aller Stil-
le zum Hause hinaus.

Das Glücke führte mich blindlings auf eine
grosse Heer-Strasse, meine Füsse aber hielten sich
so hurtig, daß ich folgenden Morgen um 8. Uhr die
Stadt Braunschweig vor mir liegen sahe. Hun-

ger
H 2

gelauffen kam, doch da meine Mitſchuͤler, wie
die Ratzen, ſchlieffen, wolte ich mich auch nicht
melden, konte aber doch nicht unterlaſſen, durch
das Schluͤſſel-Loch zu gucken, da ich denn gar bald
mit Erſtaunen ſahe, wie die Bedienten dem Herrn
Præceptor halb todt aus der naͤchtlichen Privat-
Schule heraus ſchleppten. Hierauf wurde alles
ſtille, der Amtmann ging in ſeine Schreibe-Stube,
hergegen zeigte ſich die Frau Amtmaͤnnin mit blu-
tigen Geſichte, verwirrten Haaren, hinckenden
Fuͤſſen, ein groß Meſſer in der Hand haltend auf
dem Saale, und ſchrye: Wo iſt der Schluͤſſel
Albert muß ſterben, dem verfluchten Albert will
ich dieſes Meſſer in die Kaldaunen ſtoſſen.

Mir wurde gruͤn und gelb vor den Augen, da
ich dieſe hoͤlliſche Furie alſo reden hoͤrete, jedoch
der Amtmann kam, einen tuͤchtigen Pruͤgel in der
rechten, einen bloſſen Degen aber in der lincken
Hand haltend, und jagte das verteuffelte Weib
zuruͤck in ihre Cammer. Dem ohngeacht ſchrye
ſie doch ohn Unterlaß: Albert muß ſterben, ja der
Baſtard Albert muß ſterben, ich will ihn entweder
ſelbſt ermorden, oder demjenigen hundert Thaler
geben, wer dem Hunde Gifft eingiebt.

Jch meines Orts gedachte: Sapienti ſat! klei-
dete mich ſo hurtig an, als Zeit meines Lebens
noch nicht geſchehen war, und ſchlich in aller Stil-
le zum Hauſe hinaus.

Das Gluͤcke fuͤhrte mich blindlings auf eine
groſſe Heer-Straſſe, meine Fuͤſſe aber hielten ſich
ſo hurtig, daß ich folgenden Morgen um 8. Uhr die
Stadt Braunſchweig vor mir liegen ſahe. Hun-

ger
H 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0129" n="115"/>
gelauffen kam, doch da meine Mit&#x017F;chu&#x0364;ler, wie<lb/>
die Ratzen, &#x017F;chlieffen, wolte ich mich auch nicht<lb/>
melden, konte aber doch nicht unterla&#x017F;&#x017F;en, durch<lb/>
das Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el-Loch zu gucken, da ich denn gar bald<lb/>
mit Er&#x017F;taunen &#x017F;ahe, wie die Bedienten dem Herrn<lb/><hi rendition="#aq">Præceptor</hi> halb todt aus der na&#x0364;chtlichen <hi rendition="#aq">Privat-</hi><lb/>
Schule heraus &#x017F;chleppten. Hierauf wurde alles<lb/>
&#x017F;tille, der Amtmann ging in &#x017F;eine Schreibe-Stube,<lb/>
hergegen zeigte &#x017F;ich die Frau Amtma&#x0364;nnin mit blu-<lb/>
tigen Ge&#x017F;ichte, verwirrten Haaren, hinckenden<lb/>
Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, ein groß Me&#x017F;&#x017F;er in der Hand haltend auf<lb/>
dem Saale, und &#x017F;chrye: Wo i&#x017F;t der Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el<lb/><hi rendition="#aq">Albert</hi> muß &#x017F;terben, dem verfluchten <hi rendition="#aq">Albert</hi> will<lb/>
ich die&#x017F;es Me&#x017F;&#x017F;er in die Kaldaunen &#x017F;to&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Mir wurde gru&#x0364;n und gelb vor den Augen, da<lb/>
ich die&#x017F;e ho&#x0364;lli&#x017F;che <hi rendition="#aq">Furie</hi> al&#x017F;o reden ho&#x0364;rete, jedoch<lb/>
der Amtmann kam, einen tu&#x0364;chtigen Pru&#x0364;gel in der<lb/>
rechten, einen blo&#x017F;&#x017F;en Degen aber in der lincken<lb/>
Hand haltend, und jagte das verteuffelte Weib<lb/>
zuru&#x0364;ck in ihre Cammer. Dem ohngeacht &#x017F;chrye<lb/>
&#x017F;ie doch ohn Unterlaß: <hi rendition="#aq">Albert</hi> muß &#x017F;terben, ja der<lb/><hi rendition="#aq">Ba&#x017F;tard Albert</hi> muß &#x017F;terben, ich will ihn entweder<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ermorden, oder demjenigen hundert Thaler<lb/>
geben, wer dem Hunde Gifft eingiebt.</p><lb/>
        <p>Jch meines Orts gedachte: <hi rendition="#aq">Sapienti &#x017F;at!</hi> klei-<lb/>
dete mich &#x017F;o hurtig an, als Zeit meines Lebens<lb/>
noch nicht ge&#x017F;chehen war, und &#x017F;chlich in aller Stil-<lb/>
le zum Hau&#x017F;e hinaus.</p><lb/>
        <p>Das Glu&#x0364;cke fu&#x0364;hrte mich blindlings auf eine<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;e Heer-Stra&#x017F;&#x017F;e, meine Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e aber hielten &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;o hurtig, daß ich folgenden Morgen um 8. Uhr die<lb/>
Stadt Braun&#x017F;chweig vor mir liegen &#x017F;ahe. Hun-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 2</fw><fw place="bottom" type="catch">ger</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0129] gelauffen kam, doch da meine Mitſchuͤler, wie die Ratzen, ſchlieffen, wolte ich mich auch nicht melden, konte aber doch nicht unterlaſſen, durch das Schluͤſſel-Loch zu gucken, da ich denn gar bald mit Erſtaunen ſahe, wie die Bedienten dem Herrn Præceptor halb todt aus der naͤchtlichen Privat- Schule heraus ſchleppten. Hierauf wurde alles ſtille, der Amtmann ging in ſeine Schreibe-Stube, hergegen zeigte ſich die Frau Amtmaͤnnin mit blu- tigen Geſichte, verwirrten Haaren, hinckenden Fuͤſſen, ein groß Meſſer in der Hand haltend auf dem Saale, und ſchrye: Wo iſt der Schluͤſſel Albert muß ſterben, dem verfluchten Albert will ich dieſes Meſſer in die Kaldaunen ſtoſſen. Mir wurde gruͤn und gelb vor den Augen, da ich dieſe hoͤlliſche Furie alſo reden hoͤrete, jedoch der Amtmann kam, einen tuͤchtigen Pruͤgel in der rechten, einen bloſſen Degen aber in der lincken Hand haltend, und jagte das verteuffelte Weib zuruͤck in ihre Cammer. Dem ohngeacht ſchrye ſie doch ohn Unterlaß: Albert muß ſterben, ja der Baſtard Albert muß ſterben, ich will ihn entweder ſelbſt ermorden, oder demjenigen hundert Thaler geben, wer dem Hunde Gifft eingiebt. Jch meines Orts gedachte: Sapienti ſat! klei- dete mich ſo hurtig an, als Zeit meines Lebens noch nicht geſchehen war, und ſchlich in aller Stil- le zum Hauſe hinaus. Das Gluͤcke fuͤhrte mich blindlings auf eine groſſe Heer-Straſſe, meine Fuͤſſe aber hielten ſich ſo hurtig, daß ich folgenden Morgen um 8. Uhr die Stadt Braunſchweig vor mir liegen ſahe. Hun- ger H 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/129
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/129>, abgerufen am 01.11.2024.