zwei Fingern fassen konnte, und schickte das Übrige zurück.
Jn seinem hohen Alter verließ Lukas Kranach Alles, was er in der Welt besaß, um freiwillig das Gefängniß seines unglücklichen Herrn mit diesem zu theilen. Seine Frau war schon vor sechs Jahren gestorben, aber er hatte in Wittenberg Kinder und Enkel, Freunde und Verwandte, Haus und Hof. Alles dieß achtete er nicht, sein ganzes Leben war jetzt einzig dem Bestreben geweiht, das unglückliche Loos des von Allen verlaßnen Kurfürsten nach Kräf- ten zu erleichtern. Er verließ ihn von nun an nie, ließ sich mit ihm von einem Gefängniß zum andern schleppen, betete mit ihm, las mit ihm die Bibel oder Luthers Schriften, und führte ihn in heitern Stunden durch Übung seiner Kunst weit über die beengenden Mauern hinaus, die Beide umschlossen hielten. So führten sie ihr stilles frommes trübes Leben unzertrennlich mit einander fort, bis im Jahr 1552 ihr Kerker geöffnet ward und Lukas Kranach an der Seite seines fürstlichen Freundes und dessen ältesten Sohnes in Weimar einzog.
zwei Fingern faſſen konnte, und ſchickte das Übrige zurück.
Jn ſeinem hohen Alter verließ Lukas Kranach Alles, was er in der Welt beſaß, um freiwillig das Gefängniß ſeines unglücklichen Herrn mit dieſem zu theilen. Seine Frau war ſchon vor ſechs Jahren geſtorben, aber er hatte in Wittenberg Kinder und Enkel, Freunde und Verwandte, Haus und Hof. Alles dieß achtete er nicht, ſein ganzes Leben war jetzt einzig dem Beſtreben geweiht, das unglückliche Loos des von Allen verlaßnen Kurfürſten nach Kräf- ten zu erleichtern. Er verließ ihn von nun an nie, ließ ſich mit ihm von einem Gefängniß zum andern ſchleppen, betete mit ihm, las mit ihm die Bibel oder Luthers Schriften, und führte ihn in heitern Stunden durch Übung ſeiner Kunſt weit über die beengenden Mauern hinaus, die Beide umſchloſſen hielten. So führten ſie ihr ſtilles frommes trübes Leben unzertrennlich mit einander fort, bis im Jahr 1552 ihr Kerker geöffnet ward und Lukas Kranach an der Seite ſeines fürſtlichen Freundes und deſſen älteſten Sohnes in Weimar einzog.
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zwei Fingern faſſen konnte, und ſchickte das Übrige
zurück.
Jn ſeinem hohen Alter verließ Lukas Kranach
Alles, was er in der Welt beſaß, um freiwillig
das Gefängniß ſeines unglücklichen Herrn mit dieſem
zu theilen. Seine Frau war ſchon vor ſechs Jahren
geſtorben, aber er hatte in Wittenberg Kinder und
Enkel, Freunde und Verwandte, Haus und Hof.
Alles dieß achtete er nicht, ſein ganzes Leben war
jetzt einzig dem Beſtreben geweiht, das unglückliche
Loos des von Allen verlaßnen Kurfürſten nach Kräf-
ten zu erleichtern. Er verließ ihn von nun an nie,
ließ ſich mit ihm von einem Gefängniß zum andern
ſchleppen, betete mit ihm, las mit ihm die Bibel
oder Luthers Schriften, und führte ihn in heitern
Stunden durch Übung ſeiner Kunſt weit über die
beengenden Mauern hinaus, die Beide umſchloſſen
hielten. So führten ſie ihr ſtilles frommes trübes
Leben unzertrennlich mit einander fort, bis im
Jahr 1552 ihr Kerker geöffnet ward und Lukas
Kranach an der Seite ſeines fürſtlichen Freundes
und deſſen älteſten Sohnes in Weimar einzog.
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/129>, abgerufen am 15.06.2024.
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