Minuten lang und in seinem Blick lag Etwas, wie tiefes Mitleid; dann sagte er:
-- "Sie haben Recht, mich zu fürchten, armes Kind! Jch bin ein gefährlicher Mensch: hüthen Sie sich vor mir!"
-- "Wie, Sie könnten mich verderben, mich un- glücklich machen wollen?" rief ich von Entsetzen er- griffen aus.
Er antwortete mir nicht und versank in Nach- sinnen. Vielleicht regte sich in diesem Augenblick Mit- leid gegen mich, die ihm völlig wehrlos Hingegebene, in seiner Seele; vielleicht kämpfte er mit dem Ent- schlusse, mich loszulassen, deren Unschuld, deren Hülflosigkeit und Unkenntniß ihrer selbst und aller Verhältnisse, ihn, ja selbst ihn, rühren mußten. Denn wie er mit mir daran war, das wußte er be- reits. Er hatte sich nach den Verhältnissen, in denen ich aufgewachsen, erkundigt, und durfte so nicht daran zweifeln, daß er kein bereits verderbtes, sondern viel- mehr ein völlig unschuldiges Mädchen vor sich habe, ein Wesen, über das den Sieg davon zu tragen nicht einmal eines Kraftaufwandes von seiner Seite bedurfte.
-- "Dina," fragte er dann plötzlich, "Dina, könnten Sie mich auf immer von sich scheiden sehen, ohne daß es Jhnen Schmerz machte? Bejahen Sie diese Frage und ich gehe, um nicht wieder zu kehren!"
Minuten lang und in ſeinem Blick lag Etwas, wie tiefes Mitleid; dann ſagte er:
— „Sie haben Recht, mich zu fürchten, armes Kind! Jch bin ein gefährlicher Menſch: hüthen Sie ſich vor mir!“
— „Wie, Sie könnten mich verderben, mich un- glücklich machen wollen?“ rief ich von Entſetzen er- griffen aus.
Er antwortete mir nicht und verſank in Nach- ſinnen. Vielleicht regte ſich in dieſem Augenblick Mit- leid gegen mich, die ihm völlig wehrlos Hingegebene, in ſeiner Seele; vielleicht kämpfte er mit dem Ent- ſchluſſe, mich loszulaſſen, deren Unſchuld, deren Hülfloſigkeit und Unkenntniß ihrer ſelbſt und aller Verhältniſſe, ihn, ja ſelbſt ihn, rühren mußten. Denn wie er mit mir daran war, das wußte er be- reits. Er hatte ſich nach den Verhältniſſen, in denen ich aufgewachſen, erkundigt, und durfte ſo nicht daran zweifeln, daß er kein bereits verderbtes, ſondern viel- mehr ein völlig unſchuldiges Mädchen vor ſich habe, ein Weſen, über das den Sieg davon zu tragen nicht einmal eines Kraftaufwandes von ſeiner Seite bedurfte.
— „Dina,“ fragte er dann plötzlich, „Dina, könnten Sie mich auf immer von ſich ſcheiden ſehen, ohne daß es Jhnen Schmerz machte? Bejahen Sie dieſe Frage und ich gehe, um nicht wieder zu kehren!“
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Minuten lang und in ſeinem Blick lag Etwas, wie
tiefes Mitleid; dann ſagte er:
— „Sie haben Recht, mich zu fürchten, armes
Kind! Jch bin ein gefährlicher Menſch: hüthen Sie
ſich vor mir!“
— „Wie, Sie könnten mich verderben, mich un-
glücklich machen wollen?“ rief ich von Entſetzen er-
griffen aus.
Er antwortete mir nicht und verſank in Nach-
ſinnen. Vielleicht regte ſich in dieſem Augenblick Mit-
leid gegen mich, die ihm völlig wehrlos Hingegebene,
in ſeiner Seele; vielleicht kämpfte er mit dem Ent-
ſchluſſe, mich loszulaſſen, deren Unſchuld, deren
Hülfloſigkeit und Unkenntniß ihrer ſelbſt und aller
Verhältniſſe, ihn, ja ſelbſt ihn, rühren mußten.
Denn wie er mit mir daran war, das wußte er be-
reits. Er hatte ſich nach den Verhältniſſen, in denen
ich aufgewachſen, erkundigt, und durfte ſo nicht daran
zweifeln, daß er kein bereits verderbtes, ſondern viel-
mehr ein völlig unſchuldiges Mädchen vor ſich habe,
ein Weſen, über das den Sieg davon zu tragen nicht
einmal eines Kraftaufwandes von ſeiner Seite bedurfte.
— „Dina,“ fragte er dann plötzlich, „Dina,
könnten Sie mich auf immer von ſich ſcheiden ſehen,
ohne daß es Jhnen Schmerz machte? Bejahen Sie dieſe
Frage und ich gehe, um nicht wieder zu kehren!“
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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/117>, abgerufen am 18.06.2024.
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