Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sagte ich und ging gegen die Thür. -- Herr Brink! rief sie mir nach. -- Was verlangen Sie, Gretchen? -- Er hat mir entsagt, und ich ihm, sagte sie, still weinend. -- Gute Nacht, Gretchen! 18. Still ging ich an Paul vorbei, in mein Cabinet. Der Alte kam in einer Weile nach, und da er sah, daß ich in der Abendkühle ausgekleidet da stand, nöthigte er mir schweigend meinen Schlafrock auf. -- Soll ich Ihnen Ihre Pfeife bringen, Herr? -- Nein, Paul! -- Ist Ihnen nicht wohl, lieber Herr? -- Ich bin nicht krank, Paul; aber bringe mir ein Glas Wein, und sage den Kindern, wenn sie ins Speisezimmer kommen, sie möchten nur allein essen. -- Ach Gott! seufzte Paul fortgehend; ich dachte wohl, daß es nicht gut enden würde. Er hat ihr das Leben gerettet, sagte ich zu mir selbst; und doch ist's nicht das, wodurch er sie mir abgewann: seine Jugend ist's, und eine Entfernung von drei Tagen! -- So wenig gilt der Mensch, der innere. -- Deine Jahre, Samuel, -- warum vergaßest du deine Jahre! -- Ich setzte mich an mein Schreibepult. Gretchens Papiere fielen mir in die Hände; ihr Taufschein, die Eheverschreibung und die Dispense. Ich schämte mich vor mir selbst. -- Was man ein Kind ist! sagte ich, und wie die Natur uns verlockt und täuscht, bis an den Rand des Grabes! sagte ich und ging gegen die Thür. — Herr Brink! rief sie mir nach. — Was verlangen Sie, Gretchen? — Er hat mir entsagt, und ich ihm, sagte sie, still weinend. — Gute Nacht, Gretchen! 18. Still ging ich an Paul vorbei, in mein Cabinet. Der Alte kam in einer Weile nach, und da er sah, daß ich in der Abendkühle ausgekleidet da stand, nöthigte er mir schweigend meinen Schlafrock auf. — Soll ich Ihnen Ihre Pfeife bringen, Herr? — Nein, Paul! — Ist Ihnen nicht wohl, lieber Herr? — Ich bin nicht krank, Paul; aber bringe mir ein Glas Wein, und sage den Kindern, wenn sie ins Speisezimmer kommen, sie möchten nur allein essen. — Ach Gott! seufzte Paul fortgehend; ich dachte wohl, daß es nicht gut enden würde. Er hat ihr das Leben gerettet, sagte ich zu mir selbst; und doch ist's nicht das, wodurch er sie mir abgewann: seine Jugend ist's, und eine Entfernung von drei Tagen! — So wenig gilt der Mensch, der innere. — Deine Jahre, Samuel, — warum vergaßest du deine Jahre! — Ich setzte mich an mein Schreibepult. Gretchens Papiere fielen mir in die Hände; ihr Taufschein, die Eheverschreibung und die Dispense. Ich schämte mich vor mir selbst. — Was man ein Kind ist! sagte ich, und wie die Natur uns verlockt und täuscht, bis an den Rand des Grabes! <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="17"> <p><pb facs="#f0090"/> sagte ich und ging gegen die Thür. — Herr Brink! rief sie mir nach. — Was verlangen Sie, Gretchen? — Er hat mir entsagt, und ich ihm, sagte sie, still weinend. — Gute Nacht, Gretchen!</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="18"> <head>18.</head> <p>Still ging ich an Paul vorbei, in mein Cabinet. Der Alte kam in einer Weile nach, und da er sah, daß ich in der Abendkühle ausgekleidet da stand, nöthigte er mir schweigend meinen Schlafrock auf. — Soll ich Ihnen Ihre Pfeife bringen, Herr? — Nein, Paul! — Ist Ihnen nicht wohl, lieber Herr? — Ich bin nicht krank, Paul; aber bringe mir ein Glas Wein, und sage den Kindern, wenn sie ins Speisezimmer kommen, sie möchten nur allein essen. — Ach Gott! seufzte Paul fortgehend; ich dachte wohl, daß es nicht gut enden würde.</p><lb/> <p>Er hat ihr das Leben gerettet, sagte ich zu mir selbst; und doch ist's nicht das, wodurch er sie mir abgewann: seine Jugend ist's, und eine Entfernung von drei Tagen! — So wenig gilt der Mensch, der innere. — Deine Jahre, Samuel, — warum vergaßest du deine Jahre! — Ich setzte mich an mein Schreibepult. Gretchens Papiere fielen mir in die Hände; ihr Taufschein, die Eheverschreibung und die Dispense. Ich schämte mich vor mir selbst. — Was man ein Kind ist! sagte ich, und wie die Natur uns verlockt und täuscht, bis an den Rand des Grabes!</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0090]
sagte ich und ging gegen die Thür. — Herr Brink! rief sie mir nach. — Was verlangen Sie, Gretchen? — Er hat mir entsagt, und ich ihm, sagte sie, still weinend. — Gute Nacht, Gretchen!
18. Still ging ich an Paul vorbei, in mein Cabinet. Der Alte kam in einer Weile nach, und da er sah, daß ich in der Abendkühle ausgekleidet da stand, nöthigte er mir schweigend meinen Schlafrock auf. — Soll ich Ihnen Ihre Pfeife bringen, Herr? — Nein, Paul! — Ist Ihnen nicht wohl, lieber Herr? — Ich bin nicht krank, Paul; aber bringe mir ein Glas Wein, und sage den Kindern, wenn sie ins Speisezimmer kommen, sie möchten nur allein essen. — Ach Gott! seufzte Paul fortgehend; ich dachte wohl, daß es nicht gut enden würde.
Er hat ihr das Leben gerettet, sagte ich zu mir selbst; und doch ist's nicht das, wodurch er sie mir abgewann: seine Jugend ist's, und eine Entfernung von drei Tagen! — So wenig gilt der Mensch, der innere. — Deine Jahre, Samuel, — warum vergaßest du deine Jahre! — Ich setzte mich an mein Schreibepult. Gretchens Papiere fielen mir in die Hände; ihr Taufschein, die Eheverschreibung und die Dispense. Ich schämte mich vor mir selbst. — Was man ein Kind ist! sagte ich, und wie die Natur uns verlockt und täuscht, bis an den Rand des Grabes!
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Zitationshilfe: | Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/90>, abgerufen am 17.06.2024. |