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Siegmeyer, Johann Gottlieb: Theorie der Tonsetzkunst. Berlin, 1822.

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Sobald man also vergleicht, ob die Töne eines niedergeschriebenen Accords auch als
Töne des beabsichtigten nachfolgenden Accords liegen bleiben, oder ob sie, ohne eine
falsche Quinten und Octavenfolge, melodisch in die Sphäre des neuen Accords bewegt
werden können, so kann man das große Räthsel von der musterhaften Stimmenführung
in den Werken des unsterblichen Mozart, lösen.

Da nun überhaupt bei Compositionen selten der Fall eintritt, daß man die hetero-
gensten Accorde unmittelbar auf einander folgen läßt, und die Kunst nicht zur Haupt
Sache macht, weil keine Musik an sich gut ist, die nichts weiter als die Construction
der General-Baßlehren enthält, so kann ich mit guten Gewißen unter Anrathung ei-
nes fleißigen Studiums guter Werke, dieses Kapitel beschließen.

Eilftes Kapitel.
Von der Einrichtung der Modulation der Tonstücke überhaupt.

Ich sehe mich genöthigt, dieses Capitel blos darum in Erwähnung zu bringen, weil
es in vielen General Baß Schulen als ein wichtiger Gegenstand, und zwar weitläuftig
genug abgehandelt ist.

Im allgemeinen läßt sich hierüber wenig bestimmtes sagen, weil es in dieser Lehre
fast keinen Fall giebt, wo man nicht auch einmal das Gegentheil beweisen könnte. Es
sind eine Menge Vorschriften vorhanden, wie lange man in der Haupt Tonart verwei-
len und wenn man in andre ausweichen soll, worunter gewiß die wichtigste mit ist, daß
man kein Tonstück ohne einen vollkommnen Schluß in die Tonika oder Prime, endigen
könne, und doch fällt auch diese Regel hinweg, wenn wir die Ouvertüre aus Don Juan
anführen, die im ersten Theile in D moll anhebt, und zweifelhaft in diesem Theile en-
digt; im zweiten Theile in D dur anfängt und in C dur mit einem sogenannten unvoll-
kommenen Schluße endigt.

Was würden wohl die Herren Recensenten dazu sagen, wenn ein weniger berühmter
Componist oder gar ein Anfänger dieses Wagstück unternommen hätte!

Ferner war es bisher allgemeine Regel, daß ein Tonstück sich gleich Anfangs in der
Haupt Tonart ankündigen müße, und doch hat Beethoven seine Simphonie aus C moll
so zweifelhaft angefangen, daß man erst im 7ten Tacte den Dreiklang C moll hört. Und
so könnten eine Menge Fälle angeführt werden, die zum Beweise dienen würden, daß
sich hierüber keine bestimmten Vorschriften geben lassen.


Sobald man alſo vergleicht, ob die Toͤne eines niedergeſchriebenen Accords auch als
Toͤne des beabſichtigten nachfolgenden Accords liegen bleiben, oder ob ſie, ohne eine
falſche Quinten und Octavenfolge, melodiſch in die Sphaͤre des neuen Accords bewegt
werden koͤnnen, ſo kann man das große Raͤthſel von der muſterhaften Stimmenfuͤhrung
in den Werken des unſterblichen Mozart, loͤſen.

Da nun uͤberhaupt bei Compoſitionen ſelten der Fall eintritt, daß man die hetero-
genſten Accorde unmittelbar auf einander folgen laͤßt, und die Kunſt nicht zur Haupt
Sache macht, weil keine Muſik an ſich gut iſt, die nichts weiter als die Conſtruction
der General-Baßlehren enthaͤlt, ſo kann ich mit guten Gewißen unter Anrathung ei-
nes fleißigen Studiums guter Werke, dieſes Kapitel beſchließen.

Eilftes Kapitel.
Von der Einrichtung der Modulation der Tonſtuͤcke uͤberhaupt.

Ich ſehe mich genoͤthigt, dieſes Capitel blos darum in Erwaͤhnung zu bringen, weil
es in vielen General Baß Schulen als ein wichtiger Gegenſtand, und zwar weitlaͤuftig
genug abgehandelt iſt.

Im allgemeinen laͤßt ſich hieruͤber wenig beſtimmtes ſagen, weil es in dieſer Lehre
faſt keinen Fall giebt, wo man nicht auch einmal das Gegentheil beweiſen koͤnnte. Es
ſind eine Menge Vorſchriften vorhanden, wie lange man in der Haupt Tonart verwei-
len und wenn man in andre ausweichen ſoll, worunter gewiß die wichtigſte mit iſt, daß
man kein Tonſtuͤck ohne einen vollkommnen Schluß in die Tonika oder Prime, endigen
koͤnne, und doch faͤllt auch dieſe Regel hinweg, wenn wir die Ouvertuͤre aus Don Juan
anfuͤhren, die im erſten Theile in D moll anhebt, und zweifelhaft in dieſem Theile en-
digt; im zweiten Theile in D dur anfaͤngt und in C dur mit einem ſogenannten unvoll-
kommenen Schluße endigt.

Was wuͤrden wohl die Herren Recenſenten dazu ſagen, wenn ein weniger beruͤhmter
Componiſt oder gar ein Anfaͤnger dieſes Wagſtuͤck unternommen haͤtte!

Ferner war es bisher allgemeine Regel, daß ein Tonſtuͤck ſich gleich Anfangs in der
Haupt Tonart ankuͤndigen muͤße, und doch hat Beethoven ſeine Simphonie aus C moll
ſo zweifelhaft angefangen, daß man erſt im 7ten Tacte den Dreiklang C moll hoͤrt. Und
ſo koͤnnten eine Menge Faͤlle angefuͤhrt werden, die zum Beweiſe dienen wuͤrden, daß
ſich hieruͤber keine beſtimmten Vorſchriften geben laſſen.


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[68/0086] Sobald man alſo vergleicht, ob die Toͤne eines niedergeſchriebenen Accords auch als Toͤne des beabſichtigten nachfolgenden Accords liegen bleiben, oder ob ſie, ohne eine falſche Quinten und Octavenfolge, melodiſch in die Sphaͤre des neuen Accords bewegt werden koͤnnen, ſo kann man das große Raͤthſel von der muſterhaften Stimmenfuͤhrung in den Werken des unſterblichen Mozart, loͤſen. Da nun uͤberhaupt bei Compoſitionen ſelten der Fall eintritt, daß man die hetero- genſten Accorde unmittelbar auf einander folgen laͤßt, und die Kunſt nicht zur Haupt Sache macht, weil keine Muſik an ſich gut iſt, die nichts weiter als die Conſtruction der General-Baßlehren enthaͤlt, ſo kann ich mit guten Gewißen unter Anrathung ei- nes fleißigen Studiums guter Werke, dieſes Kapitel beſchließen. Eilftes Kapitel. Von der Einrichtung der Modulation der Tonſtuͤcke uͤberhaupt. Ich ſehe mich genoͤthigt, dieſes Capitel blos darum in Erwaͤhnung zu bringen, weil es in vielen General Baß Schulen als ein wichtiger Gegenſtand, und zwar weitlaͤuftig genug abgehandelt iſt. Im allgemeinen laͤßt ſich hieruͤber wenig beſtimmtes ſagen, weil es in dieſer Lehre faſt keinen Fall giebt, wo man nicht auch einmal das Gegentheil beweiſen koͤnnte. Es ſind eine Menge Vorſchriften vorhanden, wie lange man in der Haupt Tonart verwei- len und wenn man in andre ausweichen ſoll, worunter gewiß die wichtigſte mit iſt, daß man kein Tonſtuͤck ohne einen vollkommnen Schluß in die Tonika oder Prime, endigen koͤnne, und doch faͤllt auch dieſe Regel hinweg, wenn wir die Ouvertuͤre aus Don Juan anfuͤhren, die im erſten Theile in D moll anhebt, und zweifelhaft in dieſem Theile en- digt; im zweiten Theile in D dur anfaͤngt und in C dur mit einem ſogenannten unvoll- kommenen Schluße endigt. Was wuͤrden wohl die Herren Recenſenten dazu ſagen, wenn ein weniger beruͤhmter Componiſt oder gar ein Anfaͤnger dieſes Wagſtuͤck unternommen haͤtte! Ferner war es bisher allgemeine Regel, daß ein Tonſtuͤck ſich gleich Anfangs in der Haupt Tonart ankuͤndigen muͤße, und doch hat Beethoven ſeine Simphonie aus C moll ſo zweifelhaft angefangen, daß man erſt im 7ten Tacte den Dreiklang C moll hoͤrt. Und ſo koͤnnten eine Menge Faͤlle angefuͤhrt werden, die zum Beweiſe dienen wuͤrden, daß ſich hieruͤber keine beſtimmten Vorſchriften geben laſſen.

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Zitationshilfe: Siegmeyer, Johann Gottlieb: Theorie der Tonsetzkunst. Berlin, 1822, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/siegmeyer_tonsetzkunst_1822/86>, abgerufen am 10.11.2024.