Haltet ihn, laßt ihn nicht loß! (zum Kinde) Siehst du, dies dort war auf der Welt dein Vater.
Das Kind. (freudig in die Hände klo- pfend) Mein Vater! Mein Vater! Ach, wie freue ich mich, daß ich nun auch einen Vater habe! (hinab rufend) Lieber Vater, komm herauf zu uns, damit ich dich herzen kann.
Wilhelm. (mit innigstem Gefühle) Engel, theures, liebes Kind, bitte deine Mutter, daß sie es erlaubt, vielleicht rührt deine bekannte Stimme ihr Herz.
Das Kind. (die Hände aufhebend) Bitte! bitte, liebe Mutter, erlauben Sie, daß der liebe Vater herauf kommen darf.
Lottchen. Nein! Nein! du verstehst es nicht, er will uns aus dem Himmel entführen!
Sie hob das Kind schnell hinab, und verschloß das Fenster, doch sahen sie bald alle auf's neue hinter diesem stehen, und mitleidig auf den jam- mernden Wilhelm herabblicken. Sein Zustand war wirklich schrecklich und erbarmungswürdig, er fand die Geliebte seines Herzens wieder, er sah sie in blühender Schönheit vor sich stehen, er fühl- te die heisseste, innigste Sehnsucht nach ihr, und durfte sich ihr nicht nähern, konnte nicht einmal das Kind küssen, welches sie ihm gebahr. Mit vieler Mühe, und nur mit der Versicherung, daß
Haltet ihn, laßt ihn nicht loß! (zum Kinde) Siehſt du, dies dort war auf der Welt dein Vater.
Das Kind. (freudig in die Haͤnde klo- pfend) Mein Vater! Mein Vater! Ach, wie freue ich mich, daß ich nun auch einen Vater habe! (hinab rufend) Lieber Vater, komm herauf zu uns, damit ich dich herzen kann.
Das Kind. (die Haͤnde aufhebend) Bitte! bitte, liebe Mutter, erlauben Sie, daß der liebe Vater herauf kommen darf.
Lottchen. Nein! Nein! du verſtehſt es nicht, er will uns aus dem Himmel entfuͤhren!
Sie hob das Kind ſchnell hinab, und verſchloß das Fenſter, doch ſahen ſie bald alle auf's neue hinter dieſem ſtehen, und mitleidig auf den jam- mernden Wilhelm herabblicken. Sein Zuſtand war wirklich ſchrecklich und erbarmungswuͤrdig, er fand die Geliebte ſeines Herzens wieder, er ſah ſie in bluͤhender Schoͤnheit vor ſich ſtehen, er fuͤhl- te die heiſſeſte, innigſte Sehnſucht nach ihr, und durfte ſich ihr nicht naͤhern, konnte nicht einmal das Kind kuͤſſen, welches ſie ihm gebahr. Mit vieler Muͤhe, und nur mit der Verſicherung, daß
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Haltet ihn, laßt ihn nicht loß! (zum Kinde)
Siehſt du, dies dort war auf der Welt dein
Vater.
Das Kind. (freudig in die Haͤnde klo-
pfend) Mein Vater! Mein Vater! Ach, wie
freue ich mich, daß ich nun auch einen Vater
habe! (hinab rufend) Lieber Vater, komm
herauf zu uns, damit ich dich herzen kann.
Wilhelm. (mit innigſtem Gefuͤhle)
Engel, theures, liebes Kind, bitte deine Mutter,
daß ſie es erlaubt, vielleicht ruͤhrt deine bekannte
Stimme ihr Herz.
Das Kind. (die Haͤnde aufhebend)
Bitte! bitte, liebe Mutter, erlauben Sie, daß
der liebe Vater herauf kommen darf.
Lottchen. Nein! Nein! du verſtehſt es
nicht, er will uns aus dem Himmel entfuͤhren!
Sie hob das Kind ſchnell hinab, und verſchloß
das Fenſter, doch ſahen ſie bald alle auf's neue
hinter dieſem ſtehen, und mitleidig auf den jam-
mernden Wilhelm herabblicken. Sein Zuſtand
war wirklich ſchrecklich und erbarmungswuͤrdig,
er fand die Geliebte ſeines Herzens wieder, er ſah
ſie in bluͤhender Schoͤnheit vor ſich ſtehen, er fuͤhl-
te die heiſſeſte, innigſte Sehnſucht nach ihr, und
durfte ſich ihr nicht naͤhern, konnte nicht einmal
das Kind kuͤſſen, welches ſie ihm gebahr. Mit
vieler Muͤhe, und nur mit der Verſicherung, daß
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/107>, abgerufen am 14.06.2024.
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