Falle betrog er sich nie, und das ganze Dorf richtete sich in der Sommerarbeit nach ihm. Wenn er am Abende die Knechte befragte: was sie den Tag über verrichtet hatten, so sah er ih- nen starr in's Gesicht, und wußte es dann ge- nau, wenn einer unter ihnen Unwahrheit sprach. Durch diese Kenntniß erhielt er sein Gesinde in Zucht und Ordnung, sie arbeiteten alle fleißig und unverdrossen, weil sie überzeugt waren, daß ihr Herr diesen Fleiß am Abende in ihrem Ge- sichte erkennen und beloben würde.
Ein Jahr vor seinem Tode schien sich's mit seinem Wahnsinne merklich zu bessern, er sprach wenig mehr davon, und fragte nur selten die Knechte: ob sie noch in seinem Herzen lesen könn- ten? Wenn sie's nun verneinten, so lächelte er freundlich, und rief froh aus: das gebe Gott! Er versuchte es sogar einigemal, bis an die Trep- pe zu gehen, welche in den Hof hinab führte, aber wenn er die erste Stufe betrat, so ergriff ihn ein heftiger Schauer, der ihn zur Rückkehr zwang, und einige Tage auf's Krankenlager warf. Es war ein Kampf der Vernunft mit dem Wahn- sinne, in welchem der letztere aber immer Sieger blieb.
Ein hitziges Fieber ergriff ihn im letzten Früh- jahre, und raubte ihm alle Vernunft. Er raßte eilf Tage lang schrecklich, am zwölften schien er
Falle betrog er ſich nie, und das ganze Dorf richtete ſich in der Sommerarbeit nach ihm. Wenn er am Abende die Knechte befragte: was ſie den Tag uͤber verrichtet hatten, ſo ſah er ih- nen ſtarr in's Geſicht, und wußte es dann ge- nau, wenn einer unter ihnen Unwahrheit ſprach. Durch dieſe Kenntniß erhielt er ſein Geſinde in Zucht und Ordnung, ſie arbeiteten alle fleißig und unverdroſſen, weil ſie uͤberzeugt waren, daß ihr Herr dieſen Fleiß am Abende in ihrem Ge- ſichte erkennen und beloben wuͤrde.
Ein Jahr vor ſeinem Tode ſchien ſich's mit ſeinem Wahnſinne merklich zu beſſern, er ſprach wenig mehr davon, und fragte nur ſelten die Knechte: ob ſie noch in ſeinem Herzen leſen koͤnn- ten? Wenn ſie's nun verneinten, ſo laͤchelte er freundlich, und rief froh aus: das gebe Gott! Er verſuchte es ſogar einigemal, bis an die Trep- pe zu gehen, welche in den Hof hinab fuͤhrte, aber wenn er die erſte Stufe betrat, ſo ergriff ihn ein heftiger Schauer, der ihn zur Ruͤckkehr zwang, und einige Tage auf's Krankenlager warf. Es war ein Kampf der Vernunft mit dem Wahn- ſinne, in welchem der letztere aber immer Sieger blieb.
Ein hitziges Fieber ergriff ihn im letzten Fruͤh- jahre, und raubte ihm alle Vernunft. Er raßte eilf Tage lang ſchrecklich, am zwoͤlften ſchien er
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Falle betrog er ſich nie, und das ganze Dorf
richtete ſich in der Sommerarbeit nach ihm.
Wenn er am Abende die Knechte befragte: was
ſie den Tag uͤber verrichtet hatten, ſo ſah er ih-
nen ſtarr in's Geſicht, und wußte es dann ge-
nau, wenn einer unter ihnen Unwahrheit ſprach.
Durch dieſe Kenntniß erhielt er ſein Geſinde in
Zucht und Ordnung, ſie arbeiteten alle fleißig
und unverdroſſen, weil ſie uͤberzeugt waren, daß
ihr Herr dieſen Fleiß am Abende in ihrem Ge-
ſichte erkennen und beloben wuͤrde.
Ein Jahr vor ſeinem Tode ſchien ſich's mit
ſeinem Wahnſinne merklich zu beſſern, er ſprach
wenig mehr davon, und fragte nur ſelten die
Knechte: ob ſie noch in ſeinem Herzen leſen koͤnn-
ten? Wenn ſie's nun verneinten, ſo laͤchelte er
freundlich, und rief froh aus: das gebe Gott!
Er verſuchte es ſogar einigemal, bis an die Trep-
pe zu gehen, welche in den Hof hinab fuͤhrte,
aber wenn er die erſte Stufe betrat, ſo ergriff
ihn ein heftiger Schauer, der ihn zur Ruͤckkehr
zwang, und einige Tage auf's Krankenlager warf.
Es war ein Kampf der Vernunft mit dem Wahn-
ſinne, in welchem der letztere aber immer Sieger
blieb.
Ein hitziges Fieber ergriff ihn im letzten Fruͤh-
jahre, und raubte ihm alle Vernunft. Er raßte
eilf Tage lang ſchrecklich, am zwoͤlften ſchien er
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/134>, abgerufen am 13.06.2024.
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