Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Am andern Mittage brachte man mich
glücklich in die Wohnung des Arztes. Ich
staunte, als man mich im Namen des
jungen Herzogs seiner äussersten Sorgfalt
empfahl, aber ich sahs auch deutlich, daß
er an meiner Rettung verzweifelte; mich
dürstete schrecklich, ich konnte keinen Labe-
trunk geniessen, die geschwollne Wunde drohte
mich zu erstikken. Wie er mir Linderung
schafte, kann ich nicht sagen, ich lag acht
Tage in einem betäubenden Fieber, das
mir alles Bewustsein raubte, aber bald bes-
serte es sich mit mir, ehe ein Monden ver-
floß, war ich der Gefahr entrissen, und ehe
der zweite endete, fühlte ich nur den Ver-
lust meiner Zunge, aber nicht mehr die
Schmerzen desselben.

Des Arztes Tochter war meine treue
Wärterin, sie pflegte mich mit einer Sorg-
falt, die innige Zuneigung verrieth. Ich

Am andern Mittage brachte man mich
gluͤcklich in die Wohnung des Arztes. Ich
ſtaunte, als man mich im Namen des
jungen Herzogs ſeiner aͤuſſerſten Sorgfalt
empfahl, aber ich ſahs auch deutlich, daß
er an meiner Rettung verzweifelte; mich
duͤrſtete ſchrecklich, ich konnte keinen Labe-
trunk genieſſen, die geſchwollne Wunde drohte
mich zu erſtikken. Wie er mir Linderung
ſchafte, kann ich nicht ſagen, ich lag acht
Tage in einem betaͤubenden Fieber, das
mir alles Bewuſtſein raubte, aber bald beſ-
ſerte es ſich mit mir, ehe ein Monden ver-
floß, war ich der Gefahr entriſſen, und ehe
der zweite endete, fuͤhlte ich nur den Ver-
luſt meiner Zunge, aber nicht mehr die
Schmerzen deſſelben.

Des Arztes Tochter war meine treue
Waͤrterin, ſie pflegte mich mit einer Sorg-
falt, die innige Zuneigung verrieth. Ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0263" n="253"/>
        <p>Am andern Mittage brachte man mich<lb/>
glu&#x0364;cklich in die Wohnung des Arztes. Ich<lb/>
&#x017F;taunte, als man mich im Namen des<lb/>
jungen Herzogs &#x017F;einer a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ten Sorgfalt<lb/>
empfahl, aber ich &#x017F;ahs auch deutlich, daß<lb/>
er an meiner Rettung verzweifelte; mich<lb/>
du&#x0364;r&#x017F;tete &#x017F;chrecklich, ich konnte keinen Labe-<lb/>
trunk genie&#x017F;&#x017F;en, die ge&#x017F;chwollne Wunde drohte<lb/>
mich zu er&#x017F;tikken. Wie er mir Linderung<lb/>
&#x017F;chafte, kann ich nicht &#x017F;agen, ich lag acht<lb/>
Tage in einem beta&#x0364;ubenden Fieber, das<lb/>
mir alles Bewu&#x017F;t&#x017F;ein raubte, aber bald be&#x017F;-<lb/>
&#x017F;erte es &#x017F;ich mit mir, ehe ein Monden ver-<lb/>
floß, war ich der Gefahr entri&#x017F;&#x017F;en, und ehe<lb/>
der zweite endete, fu&#x0364;hlte ich nur den Ver-<lb/>
lu&#x017F;t meiner Zunge, aber nicht mehr die<lb/>
Schmerzen de&#x017F;&#x017F;elben.</p><lb/>
        <p>Des Arztes Tochter war meine treue<lb/>
Wa&#x0364;rterin, &#x017F;ie pflegte mich mit einer Sorg-<lb/>
falt, die innige Zuneigung verrieth. Ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[253/0263] Am andern Mittage brachte man mich gluͤcklich in die Wohnung des Arztes. Ich ſtaunte, als man mich im Namen des jungen Herzogs ſeiner aͤuſſerſten Sorgfalt empfahl, aber ich ſahs auch deutlich, daß er an meiner Rettung verzweifelte; mich duͤrſtete ſchrecklich, ich konnte keinen Labe- trunk genieſſen, die geſchwollne Wunde drohte mich zu erſtikken. Wie er mir Linderung ſchafte, kann ich nicht ſagen, ich lag acht Tage in einem betaͤubenden Fieber, das mir alles Bewuſtſein raubte, aber bald beſ- ſerte es ſich mit mir, ehe ein Monden ver- floß, war ich der Gefahr entriſſen, und ehe der zweite endete, fuͤhlte ich nur den Ver- luſt meiner Zunge, aber nicht mehr die Schmerzen deſſelben. Des Arztes Tochter war meine treue Waͤrterin, ſie pflegte mich mit einer Sorg- falt, die innige Zuneigung verrieth. Ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/263
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/263>, abgerufen am 01.06.2024.