er wird niemals böse, und er erklärt dir dann schon Alles. Aber siehst du, wenn er etwas erklärt, dann verstehst du Nichts davon; dann mußt du nur warten und gar Nichts sagen, sonst erklärt er dir noch viel mehr, und du verstehst es noch weniger. Aber dann nachher, wenn du Etwas ge¬ lernt hast und es weißt, dann verstehst du schon, was er gemeint hat."
Jetzt kam Fräulein Rottenmeier wieder in's Zimmer zurück; sie hatte die Dete nicht mehr zurückrufen können und war sichtlich aufgeregt davon, denn sie hatte dieser eigentlich gar nicht einläßlich sagen können, was Alles nicht nach Abrede sei bei dem Kinde, und da sie nicht wußte, was nun zu thun sei, um ihren Schritt rückgängig zu machen, war sie um so aufgeregter, denn sie selbst hatte die ganze Sache angestiftet. Sie lief nun vom Studierzimmer in's Eßzimmer hinüber, und von da wieder zurück, und kehrte dann unmittelbar wieder um und fuhr hier den Sebastian an, der seine runden Augen eben nachdenklich über den gedeckten Tisch gleiten ließ, um zu sehen, ob sein Werk keinen Mangel habe.
"Denk' Er morgen Seine großen Gedanken fertig und mach' Er, daß man heut' noch zu Tisch komme."
Mit diesen Worten fuhr Fräulein Rottenmeier an Se¬ bastian vorbei und rief nach der Tinette, mit so wenig ein¬ ladendem Ton, daß die Jungfer Tinette noch mit viel klei¬ nern Schritten herantrippelte, als sonst gewöhnlich, und sich
Kleine Geschichten. III. 7
er wird niemals böſe, und er erklärt dir dann ſchon Alles. Aber ſiehſt du, wenn er etwas erklärt, dann verſtehſt du Nichts davon; dann mußt du nur warten und gar Nichts ſagen, ſonſt erklärt er dir noch viel mehr, und du verſtehſt es noch weniger. Aber dann nachher, wenn du Etwas ge¬ lernt haſt und es weißt, dann verſtehſt du ſchon, was er gemeint hat.“
Jetzt kam Fräulein Rottenmeier wieder in's Zimmer zurück; ſie hatte die Dete nicht mehr zurückrufen können und war ſichtlich aufgeregt davon, denn ſie hatte dieſer eigentlich gar nicht einläßlich ſagen können, was Alles nicht nach Abrede ſei bei dem Kinde, und da ſie nicht wußte, was nun zu thun ſei, um ihren Schritt rückgängig zu machen, war ſie um ſo aufgeregter, denn ſie ſelbſt hatte die ganze Sache angeſtiftet. Sie lief nun vom Studierzimmer in's Eßzimmer hinüber, und von da wieder zurück, und kehrte dann unmittelbar wieder um und fuhr hier den Sebaſtian an, der ſeine runden Augen eben nachdenklich über den gedeckten Tiſch gleiten ließ, um zu ſehen, ob ſein Werk keinen Mangel habe.
„Denk' Er morgen Seine großen Gedanken fertig und mach' Er, daß man heut' noch zu Tiſch komme.“
Mit dieſen Worten fuhr Fräulein Rottenmeier an Se¬ baſtian vorbei und rief nach der Tinette, mit ſo wenig ein¬ ladendem Ton, daß die Jungfer Tinette noch mit viel klei¬ nern Schritten herantrippelte, als ſonſt gewöhnlich, und ſich
Kleine Geſchichten. III. 7
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er wird niemals böſe, und er erklärt dir dann ſchon Alles.
Aber ſiehſt du, wenn er etwas erklärt, dann verſtehſt du
Nichts davon; dann mußt du nur warten und gar Nichts
ſagen, ſonſt erklärt er dir noch viel mehr, und du verſtehſt
es noch weniger. Aber dann nachher, wenn du Etwas ge¬
lernt haſt und es weißt, dann verſtehſt du ſchon, was er
gemeint hat.“
Jetzt kam Fräulein Rottenmeier wieder in's Zimmer
zurück; ſie hatte die Dete nicht mehr zurückrufen können
und war ſichtlich aufgeregt davon, denn ſie hatte dieſer
eigentlich gar nicht einläßlich ſagen können, was Alles nicht
nach Abrede ſei bei dem Kinde, und da ſie nicht wußte,
was nun zu thun ſei, um ihren Schritt rückgängig zu machen,
war ſie um ſo aufgeregter, denn ſie ſelbſt hatte die ganze
Sache angeſtiftet. Sie lief nun vom Studierzimmer in's
Eßzimmer hinüber, und von da wieder zurück, und kehrte
dann unmittelbar wieder um und fuhr hier den Sebaſtian an,
der ſeine runden Augen eben nachdenklich über den gedeckten
Tiſch gleiten ließ, um zu ſehen, ob ſein Werk keinen Mangel
habe.
„Denk' Er morgen Seine großen Gedanken fertig und
mach' Er, daß man heut' noch zu Tiſch komme.“
Mit dieſen Worten fuhr Fräulein Rottenmeier an Se¬
baſtian vorbei und rief nach der Tinette, mit ſo wenig ein¬
ladendem Ton, daß die Jungfer Tinette noch mit viel klei¬
nern Schritten herantrippelte, als ſonſt gewöhnlich, und ſich
Kleine Geſchichten. III. 7
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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/107>, abgerufen am 18.06.2024.
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