Sebastian brachte einen gedeckten Korb herein und ent¬ fernte sich dann eilig wieder.
"Ich denke, erst wird der Unterricht beendet, dann der Korb ausgepackt", bemerkte Fräulein Rottenmeier.
Klara konnte sich nicht vorstellen, was man ihr gebracht hatte, sie schaute sehr verlangend nach dem Korb.
"Herr Candidat", sagte sie, sich selbst in ihrem Decli¬ niren unterbrechend, "könnte ich nicht nur einmal schnell hinein¬ sehen, um zu wissen, was drin ist, und dann gleich wieder fortfahren?"
"In einer Hinsicht könnte man dafür, in einer andern dawider sein", entgegnete der Herr Candidat; "dafür spräche der Grund, daß, wenn nun Ihre ganze Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand gerichtet ist" -- die Rede konnte nicht beendigt werden. Der Deckel des Korbes saß nur lose darauf, und nun sprangen mit einem Mal ein, zwei, drei und wieder zwei und immer noch mehr junge Kätzchen darunter hervor und in's Zimmer hinaus, und mit einer so unbegreiflichen Schnelligkeit fuhren sie überall herum, daß es war, als wäre das ganze Zimmer voll solcher Thierchen. Sie sprangen über die Stiefel des Herrn Candidaten, bissen an seinen Beinkleidern, kletterten am Kleid von Fräulein Rottenmeier empor, krabbelten um ihre Füße herum, sprangen an Klara's Sessel hinauf, kratzten, krabbelten, miauten; es war ein arges Gewirre. Klara rief immerfort voller Ent¬ zücken: "O die niedlichen Thierchen! die lustigen Sprünge!
Sebaſtian brachte einen gedeckten Korb herein und ent¬ fernte ſich dann eilig wieder.
„Ich denke, erſt wird der Unterricht beendet, dann der Korb ausgepackt“, bemerkte Fräulein Rottenmeier.
Klara konnte ſich nicht vorſtellen, was man ihr gebracht hatte, ſie ſchaute ſehr verlangend nach dem Korb.
„Herr Candidat“, ſagte ſie, ſich ſelbſt in ihrem Decli¬ niren unterbrechend, „könnte ich nicht nur einmal ſchnell hinein¬ ſehen, um zu wiſſen, was drin iſt, und dann gleich wieder fortfahren?“
„In einer Hinſicht könnte man dafür, in einer andern dawider ſein“, entgegnete der Herr Candidat; „dafür ſpräche der Grund, daß, wenn nun Ihre ganze Aufmerkſamkeit auf dieſen Gegenſtand gerichtet iſt“ — die Rede konnte nicht beendigt werden. Der Deckel des Korbes ſaß nur loſe darauf, und nun ſprangen mit einem Mal ein, zwei, drei und wieder zwei und immer noch mehr junge Kätzchen darunter hervor und in's Zimmer hinaus, und mit einer ſo unbegreiflichen Schnelligkeit fuhren ſie überall herum, daß es war, als wäre das ganze Zimmer voll ſolcher Thierchen. Sie ſprangen über die Stiefel des Herrn Candidaten, biſſen an ſeinen Beinkleidern, kletterten am Kleid von Fräulein Rottenmeier empor, krabbelten um ihre Füße herum, ſprangen an Klara's Seſſel hinauf, kratzten, krabbelten, miauten; es war ein arges Gewirre. Klara rief immerfort voller Ent¬ zücken: „O die niedlichen Thierchen! die luſtigen Sprünge!
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Sebaſtian brachte einen gedeckten Korb herein und ent¬
fernte ſich dann eilig wieder.
„Ich denke, erſt wird der Unterricht beendet, dann der
Korb ausgepackt“, bemerkte Fräulein Rottenmeier.
Klara konnte ſich nicht vorſtellen, was man ihr gebracht
hatte, ſie ſchaute ſehr verlangend nach dem Korb.
„Herr Candidat“, ſagte ſie, ſich ſelbſt in ihrem Decli¬
niren unterbrechend, „könnte ich nicht nur einmal ſchnell hinein¬
ſehen, um zu wiſſen, was drin iſt, und dann gleich wieder
fortfahren?“
„In einer Hinſicht könnte man dafür, in einer andern
dawider ſein“, entgegnete der Herr Candidat; „dafür ſpräche
der Grund, daß, wenn nun Ihre ganze Aufmerkſamkeit auf
dieſen Gegenſtand gerichtet iſt“ — die Rede konnte nicht
beendigt werden. Der Deckel des Korbes ſaß nur loſe
darauf, und nun ſprangen mit einem Mal ein, zwei, drei
und wieder zwei und immer noch mehr junge Kätzchen
darunter hervor und in's Zimmer hinaus, und mit einer
ſo unbegreiflichen Schnelligkeit fuhren ſie überall herum, daß
es war, als wäre das ganze Zimmer voll ſolcher Thierchen.
Sie ſprangen über die Stiefel des Herrn Candidaten, biſſen
an ſeinen Beinkleidern, kletterten am Kleid von Fräulein
Rottenmeier empor, krabbelten um ihre Füße herum, ſprangen
an Klara's Seſſel hinauf, kratzten, krabbelten, miauten; es
war ein arges Gewirre. Klara rief immerfort voller Ent¬
zücken: „O die niedlichen Thierchen! die luſtigen Sprünge!
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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/138>, abgerufen am 18.06.2024.
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