einnahm. Wenn er so vorbeigegangen war im Dörfli, dann standen hinter ihm die Leute alle in Trüppchen zu¬ sammen, und Jeder wußte etwas Besonderes, was er am Alm-Oehi gesehen hatte, wie er immer wilder aussehe und daß er jetzt keinem Menschen mehr auch nur einen Gruß ab¬ nehme, und Alle kamen darin überein, daß es ein großes Glück sei, daß das Kind habe entweichen können, und man habe auch wohl gesehen, wie es fortgedrängt habe, so, als fürchte es, der Alte sei schon hinter ihm drein, um es zu¬ rückzuholen. Nur die blinde Großmutter hielt unverrückt zum Alm-Oehi, und wer zu ihr heraufkam, um bei ihr spinnen zu lassen, oder das Gesponnene zu holen, dem erzählte sie es immer wieder, wie gut und sorgfältig der Alm-Oehi mit dem Kind gewesen sei und was er an ihr und der Tochter gethan habe, wie manchen Nachmittag er an ihrem Häus¬ chen herumgeflickt, das ohne seine Hülfe gewiß schon zu¬ sammengefallen wäre. So kamen denn auch diese Berichte in's Dörfli herunter; aber die Meisten, die sie vernahmen, sagten dann, die Großmutter sei vielleicht zu alt zum Be¬ greifen, sie werde es wohl nicht recht verstanden haben, sie werde wohl auch nicht mehr gut hören, weil sie Nichts mehr sehe.
Der Alm-Oehi zeigte sich jetzt nie mehr bei den Gaißen¬ peters; es war gut, daß er die Hütte so fest zusammen¬ genagelt hatte, denn sie blieb für lange Zeit ganz unbe¬ rührt. Jetzt begann die blinde Großmutter ihre Tage
einnahm. Wenn er ſo vorbeigegangen war im Dörfli, dann ſtanden hinter ihm die Leute alle in Trüppchen zu¬ ſammen, und Jeder wußte etwas Beſonderes, was er am Alm-Oehi geſehen hatte, wie er immer wilder ausſehe und daß er jetzt keinem Menſchen mehr auch nur einen Gruß ab¬ nehme, und Alle kamen darin überein, daß es ein großes Glück ſei, daß das Kind habe entweichen können, und man habe auch wohl geſehen, wie es fortgedrängt habe, ſo, als fürchte es, der Alte ſei ſchon hinter ihm drein, um es zu¬ rückzuholen. Nur die blinde Großmutter hielt unverrückt zum Alm-Oehi, und wer zu ihr heraufkam, um bei ihr ſpinnen zu laſſen, oder das Geſponnene zu holen, dem erzählte ſie es immer wieder, wie gut und ſorgfältig der Alm-Oehi mit dem Kind geweſen ſei und was er an ihr und der Tochter gethan habe, wie manchen Nachmittag er an ihrem Häus¬ chen herumgeflickt, das ohne ſeine Hülfe gewiß ſchon zu¬ ſammengefallen wäre. So kamen denn auch dieſe Berichte in's Dörfli herunter; aber die Meiſten, die ſie vernahmen, ſagten dann, die Großmutter ſei vielleicht zu alt zum Be¬ greifen, ſie werde es wohl nicht recht verſtanden haben, ſie werde wohl auch nicht mehr gut hören, weil ſie Nichts mehr ſehe.
Der Alm-Oehi zeigte ſich jetzt nie mehr bei den Gaißen¬ peters; es war gut, daß er die Hütte ſo feſt zuſammen¬ genagelt hatte, denn ſie blieb für lange Zeit ganz unbe¬ rührt. Jetzt begann die blinde Großmutter ihre Tage
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einnahm. Wenn er ſo vorbeigegangen war im Dörfli,
dann ſtanden hinter ihm die Leute alle in Trüppchen zu¬
ſammen, und Jeder wußte etwas Beſonderes, was er am
Alm-Oehi geſehen hatte, wie er immer wilder ausſehe und
daß er jetzt keinem Menſchen mehr auch nur einen Gruß ab¬
nehme, und Alle kamen darin überein, daß es ein großes
Glück ſei, daß das Kind habe entweichen können, und man
habe auch wohl geſehen, wie es fortgedrängt habe, ſo, als
fürchte es, der Alte ſei ſchon hinter ihm drein, um es zu¬
rückzuholen. Nur die blinde Großmutter hielt unverrückt
zum Alm-Oehi, und wer zu ihr heraufkam, um bei ihr ſpinnen
zu laſſen, oder das Geſponnene zu holen, dem erzählte ſie
es immer wieder, wie gut und ſorgfältig der Alm-Oehi mit
dem Kind geweſen ſei und was er an ihr und der Tochter
gethan habe, wie manchen Nachmittag er an ihrem Häus¬
chen herumgeflickt, das ohne ſeine Hülfe gewiß ſchon zu¬
ſammengefallen wäre. So kamen denn auch dieſe Berichte
in's Dörfli herunter; aber die Meiſten, die ſie vernahmen,
ſagten dann, die Großmutter ſei vielleicht zu alt zum Be¬
greifen, ſie werde es wohl nicht recht verſtanden haben, ſie
werde wohl auch nicht mehr gut hören, weil ſie Nichts
mehr ſehe.
Der Alm-Oehi zeigte ſich jetzt nie mehr bei den Gaißen¬
peters; es war gut, daß er die Hütte ſo feſt zuſammen¬
genagelt hatte, denn ſie blieb für lange Zeit ganz unbe¬
rührt. Jetzt begann die blinde Großmutter ihre Tage
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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/97>, abgerufen am 18.06.2024.
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