erstere von der letztern geschieden ist, kann auch die Frage entstehen, in welchem Verhältniß die Beilegung der Competenz von Seiten des ein- zelnen Organes -- etwas, wozu wie gesagt jedes Organ beständig gegenüber dem Einzelnen das Recht haben muß -- entweder zu der als Verordnung erscheinenden organisirenden Gewalt der Regierung, oder zu dem im Gesetze erscheinenden Gesammtwillen des Staats steht. Ohne allen Zweifel sind nun das, wie es wohl hier schon aus dem Früheren hervorgeht, zwei sehr wesentlich verschiedene Fälle, und er- zeugen daher auch wesentlich verschiedene Grundsätze. Und indem wir daher den aus dem Zweifel an der Competenz des einzelnen Organes entstehenden Streit im Allgemeinen den Competenzproceß nennen, würden wir sagen, daß der Competenzstreit die Art dieses Processes enthält, der sich auf die verordnungsmäßige Competenz des Organes bezieht, während der Competenzconflikt diejenige Art bedeutet, die auf dem Verhältniß der Competenz zum gesetzlichen Rechte beruht.
Diese Unterscheidung ist einfach; aber sie hat wie gesagt zur Vor- aussetzung, daß überhaupt Gesetz und Verordnung klar und bestimmt geschieden sind, und daß daher auch hier der Begriff des verfassungs- mäßigen Rechts feststehe. Es wird nun, da dieß in Deutschland, wie wir oben gesehen, keineswegs der Fall ist, damit auch die große Verwirrung sich erklären, welche in Deutschland in dieser Beziehung existirt. Wir haben zu versuchen, dieselbe zugleich historisch zu begründen und aufzulösen.
Fast in allen deutschen Ländern ist wohl der Grundsatz angenommen, daß bei einem eigentlichen Competenzstreit, bei welchem es sich um die gegenseitige Competenz der obersten Verwaltungsstellen handelt, erst eine gegenseitige Rück- sprache des Chefs dieser Stellen stattfindet, und erst nach dem vergeblichen Versuch derselben, sich zu einigen, die Sache entweder im Staatsrathe, wie es nach der Verordnung vom 27. October 1810 in Preußen der Fall war, oder im Gesammtministerium, wie es dort seit der Verordnung vom 3. November 1817 gilt, zur Entscheidung gelangt. RönneII. §. 225. Ebenso in Bayern, Instruktion von 1825; Pötzl, Verfassungsrecht §. 52. Das Gesetz vom 28. Mai 1850 bezieht sich auf das, was wir als Competenz- conflikt begreifen (siehe unten). Das obige Princip ist offenbar nichts als die Anwendung der französischen Principien über den Conseil d'Etat, allerdings nur innerhalb dieser bestimmten Frage. Das Recht des Ministeriums, die Competenzstreitigkeiten zwischen den ihm untergeordneten Behörden zu ent- scheiden, ist der einfache Ausfluß der ministeriellen Organisationsgewalt (Pötzl Bayerisches Verfassungsrecht §. 19).
a) Begriff, Inhalt und Recht des Competenzstreites.
Der Begriff des Competenzstreites geht nun, wie erwähnt, davon aus, daß jede Competenz zunächst als ein Akt der vollziehenden
erſtere von der letztern geſchieden iſt, kann auch die Frage entſtehen, in welchem Verhältniß die Beilegung der Competenz von Seiten des ein- zelnen Organes — etwas, wozu wie geſagt jedes Organ beſtändig gegenüber dem Einzelnen das Recht haben muß — entweder zu der als Verordnung erſcheinenden organiſirenden Gewalt der Regierung, oder zu dem im Geſetze erſcheinenden Geſammtwillen des Staats ſteht. Ohne allen Zweifel ſind nun das, wie es wohl hier ſchon aus dem Früheren hervorgeht, zwei ſehr weſentlich verſchiedene Fälle, und er- zeugen daher auch weſentlich verſchiedene Grundſätze. Und indem wir daher den aus dem Zweifel an der Competenz des einzelnen Organes entſtehenden Streit im Allgemeinen den Competenzproceß nennen, würden wir ſagen, daß der Competenzſtreit die Art dieſes Proceſſes enthält, der ſich auf die verordnungsmäßige Competenz des Organes bezieht, während der Competenzconflikt diejenige Art bedeutet, die auf dem Verhältniß der Competenz zum geſetzlichen Rechte beruht.
Dieſe Unterſcheidung iſt einfach; aber ſie hat wie geſagt zur Vor- ausſetzung, daß überhaupt Geſetz und Verordnung klar und beſtimmt geſchieden ſind, und daß daher auch hier der Begriff des verfaſſungs- mäßigen Rechts feſtſtehe. Es wird nun, da dieß in Deutſchland, wie wir oben geſehen, keineswegs der Fall iſt, damit auch die große Verwirrung ſich erklären, welche in Deutſchland in dieſer Beziehung exiſtirt. Wir haben zu verſuchen, dieſelbe zugleich hiſtoriſch zu begründen und aufzulöſen.
Faſt in allen deutſchen Ländern iſt wohl der Grundſatz angenommen, daß bei einem eigentlichen Competenzſtreit, bei welchem es ſich um die gegenſeitige Competenz der oberſten Verwaltungsſtellen handelt, erſt eine gegenſeitige Rück- ſprache des Chefs dieſer Stellen ſtattfindet, und erſt nach dem vergeblichen Verſuch derſelben, ſich zu einigen, die Sache entweder im Staatsrathe, wie es nach der Verordnung vom 27. October 1810 in Preußen der Fall war, oder im Geſammtminiſterium, wie es dort ſeit der Verordnung vom 3. November 1817 gilt, zur Entſcheidung gelangt. RönneII. §. 225. Ebenſo in Bayern, Inſtruktion von 1825; Pötzl, Verfaſſungsrecht §. 52. Das Geſetz vom 28. Mai 1850 bezieht ſich auf das, was wir als Competenz- conflikt begreifen (ſiehe unten). Das obige Princip iſt offenbar nichts als die Anwendung der franzöſiſchen Principien über den Conseil d’État, allerdings nur innerhalb dieſer beſtimmten Frage. Das Recht des Miniſteriums, die Competenzſtreitigkeiten zwiſchen den ihm untergeordneten Behörden zu ent- ſcheiden, iſt der einfache Ausfluß der miniſteriellen Organiſationsgewalt (Pötzl Bayeriſches Verfaſſungsrecht §. 19).
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gegenüber dem Einzelnen das Recht haben muß — entweder zu der
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oder zu dem im Geſetze erſcheinenden Geſammtwillen des Staats ſteht.
Ohne allen Zweifel ſind nun das, wie es wohl hier ſchon aus dem
Früheren hervorgeht, zwei ſehr weſentlich verſchiedene Fälle, und er-
zeugen daher auch weſentlich verſchiedene Grundſätze. Und indem wir
daher den aus dem Zweifel an der Competenz des einzelnen Organes
entſtehenden Streit im Allgemeinen den Competenzproceß nennen,
würden wir ſagen, daß der Competenzſtreit die Art dieſes Proceſſes
enthält, der ſich auf die verordnungsmäßige Competenz des Organes
bezieht, während der Competenzconflikt diejenige Art bedeutet,
die auf dem Verhältniß der Competenz zum geſetzlichen Rechte beruht.
Dieſe Unterſcheidung iſt einfach; aber ſie hat wie geſagt zur Vor-
ausſetzung, daß überhaupt Geſetz und Verordnung klar und beſtimmt
geſchieden ſind, und daß daher auch hier der Begriff des verfaſſungs-
mäßigen Rechts feſtſtehe. Es wird nun, da dieß in Deutſchland, wie wir
oben geſehen, keineswegs der Fall iſt, damit auch die große Verwirrung
ſich erklären, welche in Deutſchland in dieſer Beziehung exiſtirt. Wir haben
zu verſuchen, dieſelbe zugleich hiſtoriſch zu begründen und aufzulöſen.
Faſt in allen deutſchen Ländern iſt wohl der Grundſatz angenommen, daß
bei einem eigentlichen Competenzſtreit, bei welchem es ſich um die gegenſeitige
Competenz der oberſten Verwaltungsſtellen handelt, erſt eine gegenſeitige Rück-
ſprache des Chefs dieſer Stellen ſtattfindet, und erſt nach dem vergeblichen
Verſuch derſelben, ſich zu einigen, die Sache entweder im Staatsrathe,
wie es nach der Verordnung vom 27. October 1810 in Preußen der Fall
war, oder im Geſammtminiſterium, wie es dort ſeit der Verordnung
vom 3. November 1817 gilt, zur Entſcheidung gelangt. Rönne II. §. 225.
Ebenſo in Bayern, Inſtruktion von 1825; Pötzl, Verfaſſungsrecht §. 52.
Das Geſetz vom 28. Mai 1850 bezieht ſich auf das, was wir als Competenz-
conflikt begreifen (ſiehe unten). Das obige Princip iſt offenbar nichts als die
Anwendung der franzöſiſchen Principien über den Conseil d’État, allerdings
nur innerhalb dieſer beſtimmten Frage. Das Recht des Miniſteriums, die
Competenzſtreitigkeiten zwiſchen den ihm untergeordneten Behörden zu ent-
ſcheiden, iſt der einfache Ausfluß der miniſteriellen Organiſationsgewalt (Pötzl
Bayeriſches Verfaſſungsrecht §. 19).
a) Begriff, Inhalt und Recht des Competenzſtreites.
Der Begriff des Competenzſtreites geht nun, wie erwähnt,
davon aus, daß jede Competenz zunächſt als ein Akt der vollziehenden
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/189>, abgerufen am 31.10.2024.
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