Stifter, Adalbert: Brigitta. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–301. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.aber das glaubte ich zu erkennen, daß in dem reinen beschäftigten Leben des Majors irgend ein Bodensatz liege, der es nicht zur völligen Abklärung kommen ließ, und mir war, als sei doch irgend eine Art Trauer da, die sich natürlich bei einem Manne nur durch Ruhe und Ernst ausdrückt. Sonst war er in seinem Leben und in seinem Umgange mit mir sehr einfach, und von einer Zurückhaltung oder Verstellung war nicht im Geringsten die Rede. So stand auf dem Tische seines Schreibzimmers, in das ich sehr oft kam und in dem wir an heißen Nachmittagen oder Abends bei der Kerze, wenn wir noch nicht schlafen gingen, von verschiedenen Dingen plauderten, ein Bild -- es war in schönem Goldrahmen das verkleinerte Bild eines Mädchens von vielleicht zwanzig -- zwei und zwanzig Jahren -- aber sonderbar war es, wie auch der Maler die Sache verschleiert haben mochte, es war nicht das Bild eines schönen, sondern eines häßlichen Mädchens -- die dunkle Farbe des Angesichtes und der Bau der Stirne waren seltsam, aber es lag etwas wie Stärke und Kraft darinnen, und der Blick war wild, wie bei einem entschlossenen Wesen. Daß dieses Mädchen etwa in seinem früheren Leben eine Rolle gespielt habe, wurde mir klar, und mir fiel der Gedanke ein, warum sich denn dieser Mensch nicht vermählt habe, so wie mir dieser Gedanke auch schon bei unserer italienischen Bekanntschaft gekommen war; aber nach meinen Grundsätzen hatte ich damals nicht gefragt und fragte aber das glaubte ich zu erkennen, daß in dem reinen beschäftigten Leben des Majors irgend ein Bodensatz liege, der es nicht zur völligen Abklärung kommen ließ, und mir war, als sei doch irgend eine Art Trauer da, die sich natürlich bei einem Manne nur durch Ruhe und Ernst ausdrückt. Sonst war er in seinem Leben und in seinem Umgange mit mir sehr einfach, und von einer Zurückhaltung oder Verstellung war nicht im Geringsten die Rede. So stand auf dem Tische seines Schreibzimmers, in das ich sehr oft kam und in dem wir an heißen Nachmittagen oder Abends bei der Kerze, wenn wir noch nicht schlafen gingen, von verschiedenen Dingen plauderten, ein Bild — es war in schönem Goldrahmen das verkleinerte Bild eines Mädchens von vielleicht zwanzig — zwei und zwanzig Jahren — aber sonderbar war es, wie auch der Maler die Sache verschleiert haben mochte, es war nicht das Bild eines schönen, sondern eines häßlichen Mädchens — die dunkle Farbe des Angesichtes und der Bau der Stirne waren seltsam, aber es lag etwas wie Stärke und Kraft darinnen, und der Blick war wild, wie bei einem entschlossenen Wesen. Daß dieses Mädchen etwa in seinem früheren Leben eine Rolle gespielt habe, wurde mir klar, und mir fiel der Gedanke ein, warum sich denn dieser Mensch nicht vermählt habe, so wie mir dieser Gedanke auch schon bei unserer italienischen Bekanntschaft gekommen war; aber nach meinen Grundsätzen hatte ich damals nicht gefragt und fragte <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0047"/> aber das glaubte ich zu erkennen, daß in dem reinen beschäftigten Leben des Majors irgend ein Bodensatz liege, der es nicht zur völligen Abklärung kommen ließ, und mir war, als sei doch irgend eine Art Trauer da, die sich natürlich bei einem Manne nur durch Ruhe und Ernst ausdrückt.</p><lb/> <p>Sonst war er in seinem Leben und in seinem Umgange mit mir sehr einfach, und von einer Zurückhaltung oder Verstellung war nicht im Geringsten die Rede. So stand auf dem Tische seines Schreibzimmers, in das ich sehr oft kam und in dem wir an heißen Nachmittagen oder Abends bei der Kerze, wenn wir noch nicht schlafen gingen, von verschiedenen Dingen plauderten, ein Bild — es war in schönem Goldrahmen das verkleinerte Bild eines Mädchens von vielleicht zwanzig — zwei und zwanzig Jahren — aber sonderbar war es, wie auch der Maler die Sache verschleiert haben mochte, es war nicht das Bild eines schönen, sondern eines häßlichen Mädchens — die dunkle Farbe des Angesichtes und der Bau der Stirne waren seltsam, aber es lag etwas wie Stärke und Kraft darinnen, und der Blick war wild, wie bei einem entschlossenen Wesen. Daß dieses Mädchen etwa in seinem früheren Leben eine Rolle gespielt habe, wurde mir klar, und mir fiel der Gedanke ein, warum sich denn dieser Mensch nicht vermählt habe, so wie mir dieser Gedanke auch schon bei unserer italienischen Bekanntschaft gekommen war; aber nach meinen Grundsätzen hatte ich damals nicht gefragt und fragte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
aber das glaubte ich zu erkennen, daß in dem reinen beschäftigten Leben des Majors irgend ein Bodensatz liege, der es nicht zur völligen Abklärung kommen ließ, und mir war, als sei doch irgend eine Art Trauer da, die sich natürlich bei einem Manne nur durch Ruhe und Ernst ausdrückt.
Sonst war er in seinem Leben und in seinem Umgange mit mir sehr einfach, und von einer Zurückhaltung oder Verstellung war nicht im Geringsten die Rede. So stand auf dem Tische seines Schreibzimmers, in das ich sehr oft kam und in dem wir an heißen Nachmittagen oder Abends bei der Kerze, wenn wir noch nicht schlafen gingen, von verschiedenen Dingen plauderten, ein Bild — es war in schönem Goldrahmen das verkleinerte Bild eines Mädchens von vielleicht zwanzig — zwei und zwanzig Jahren — aber sonderbar war es, wie auch der Maler die Sache verschleiert haben mochte, es war nicht das Bild eines schönen, sondern eines häßlichen Mädchens — die dunkle Farbe des Angesichtes und der Bau der Stirne waren seltsam, aber es lag etwas wie Stärke und Kraft darinnen, und der Blick war wild, wie bei einem entschlossenen Wesen. Daß dieses Mädchen etwa in seinem früheren Leben eine Rolle gespielt habe, wurde mir klar, und mir fiel der Gedanke ein, warum sich denn dieser Mensch nicht vermählt habe, so wie mir dieser Gedanke auch schon bei unserer italienischen Bekanntschaft gekommen war; aber nach meinen Grundsätzen hatte ich damals nicht gefragt und fragte
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