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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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In diesen Büchern habe ich viel Glück gefunden und
in dem Alter fast noch mehr als in der Jugend. Wenn
auch die Jugend die Worte aus einem goldenen Munde
mit einem Sturme und mit Entzücken aufnimmt, wenn
sie auch dieselben mit einer Art Schwärmerei und mit
Sehnsucht in dem Busen trägt, so ist es doch fast stets
mehr die Wärme des eigenen Gefühles, die sie empfin¬
det, als daß sie die fremde Weisheit und Größe in
ein besonnenes betrachtendes abwägendes Herz auf¬
nehmen könnte. Ihr seid selber jung, und die Tiefe
und Innigkeit der Dichtung mag euch fördern, und
euer Herz jedem künftigen Großen öffnen, wie die
reine Dichtkunst das immer an der Jugend thut; aber
ihr werdet selber einmal sehen, um wie viel milder
und klarer die verglühende Sonne des Alters in die
Größe eines fremden Geistes leuchtet als die feurige
Morgensonne der Jugend, die alles mit ihrem Glanze
färbt, so wie es eine Thatsache ist, daß die innige
wahre und treue Liebe der alternden Gattin fester und
dauernder beglückt als die lodernde Leidenschaft der
jungen schönen schimmernden Braut. Die Jugend
sieht in der Dichtung die eigene Unbegrenztheit und
Unendlichkeit der Zukunft, diese verhüllt die Mängel
und ersezt das Abgängige. Sie dichtet in das Kunst¬

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In dieſen Büchern habe ich viel Glück gefunden und
in dem Alter faſt noch mehr als in der Jugend. Wenn
auch die Jugend die Worte aus einem goldenen Munde
mit einem Sturme und mit Entzücken aufnimmt, wenn
ſie auch dieſelben mit einer Art Schwärmerei und mit
Sehnſucht in dem Buſen trägt, ſo iſt es doch faſt ſtets
mehr die Wärme des eigenen Gefühles, die ſie empfin¬
det, als daß ſie die fremde Weisheit und Größe in
ein beſonnenes betrachtendes abwägendes Herz auf¬
nehmen könnte. Ihr ſeid ſelber jung, und die Tiefe
und Innigkeit der Dichtung mag euch fördern, und
euer Herz jedem künftigen Großen öffnen, wie die
reine Dichtkunſt das immer an der Jugend thut; aber
ihr werdet ſelber einmal ſehen, um wie viel milder
und klarer die verglühende Sonne des Alters in die
Größe eines fremden Geiſtes leuchtet als die feurige
Morgenſonne der Jugend, die alles mit ihrem Glanze
färbt, ſo wie es eine Thatſache iſt, daß die innige
wahre und treue Liebe der alternden Gattin feſter und
dauernder beglückt als die lodernde Leidenſchaft der
jungen ſchönen ſchimmernden Braut. Die Jugend
ſieht in der Dichtung die eigene Unbegrenztheit und
Unendlichkeit der Zukunft, dieſe verhüllt die Mängel
und erſezt das Abgängige. Sie dichtet in das Kunſt¬

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[51/0065] In dieſen Büchern habe ich viel Glück gefunden und in dem Alter faſt noch mehr als in der Jugend. Wenn auch die Jugend die Worte aus einem goldenen Munde mit einem Sturme und mit Entzücken aufnimmt, wenn ſie auch dieſelben mit einer Art Schwärmerei und mit Sehnſucht in dem Buſen trägt, ſo iſt es doch faſt ſtets mehr die Wärme des eigenen Gefühles, die ſie empfin¬ det, als daß ſie die fremde Weisheit und Größe in ein beſonnenes betrachtendes abwägendes Herz auf¬ nehmen könnte. Ihr ſeid ſelber jung, und die Tiefe und Innigkeit der Dichtung mag euch fördern, und euer Herz jedem künftigen Großen öffnen, wie die reine Dichtkunſt das immer an der Jugend thut; aber ihr werdet ſelber einmal ſehen, um wie viel milder und klarer die verglühende Sonne des Alters in die Größe eines fremden Geiſtes leuchtet als die feurige Morgenſonne der Jugend, die alles mit ihrem Glanze färbt, ſo wie es eine Thatſache iſt, daß die innige wahre und treue Liebe der alternden Gattin feſter und dauernder beglückt als die lodernde Leidenſchaft der jungen ſchönen ſchimmernden Braut. Die Jugend ſieht in der Dichtung die eigene Unbegrenztheit und Unendlichkeit der Zukunft, dieſe verhüllt die Mängel und erſezt das Abgängige. Sie dichtet in das Kunſt¬ 4 *

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/65>, abgerufen am 18.06.2024.