berufen 17), und eine länger fortgesezte Nachkur ange- nommen 18); allein das Erste und Lezte ist reine Will- kühr; wenn aber an den angeblichen Analogieen auch et- was Wahres sein sollte, so ist es doch immerhin ohne Vergleichung leichter möglich gewesen, dass Heilungsge- schichten von kholois und paralutikois den messianischen Erwartungen gemäss sich in der Sage bilden, als dass sie wirklich erfolgen konnten. In der schon angeführten Stelle des Jesaias nämlich, 35, 6, war von der messianischen Zeit auch verheissen: tote aleitai os elaphos o kholos, und in demselben Zusammenhang, V. 3., war den gonata pa- ralelumena ein iskhusate zugerufen, was, wie die übrigen damit zusammenhängenden Züge, später eigentlich verstan- den und als Wunderleistung vom Messias erwartet worden sein muss, da sich, wie schon erwähnt, Jesus, zum Be- weis, dass er der erkhomenos sei, auch darauf, dass kholoi peripatousi, berief.
§. 93. Unwillkührliche Heilungen.
Etlichemale in ihren allgemeinen Angaben über die hei- lende Thätigkeit Jesu bemerken die Synoptiker, dass Kranke aller Art Jesum nur zu berühren, oder am Saum seines Kleides zu fassen gesucht haben, um geheilt zu werden, was dann auf die Berührung hin auch wirklich erfolgt sei (Matth. 14, 36. Marc. 3, 10. 6, 56. Luc. 6, 19.). Hier wirkte also Jesus nicht, wie wir es bis jezt immer gefun- den haben, mit bestimmter Richtung auf einzelne Kranke, sondern, ohne dass er von jedem besondre Notiz nehmen konnte, auf ganze Massen; sein Vermögen zu heilen er- scheint hier nicht, wie sonst, an seinen Willen, sondern
17)Bengel, Gnomon, 1, S. 245. ed. 2. Paulus, S. 502, nimmt auch hier wieder ein offenbares Mährchen aus Livius 2, 36, als natürlich erklärbare Geschichte.
18)Paulus, a. a. O. S. 501.
Neuntes Kapitel. §. 93.
berufen 17), und eine länger fortgesezte Nachkur ange- nommen 18); allein das Erste und Lezte ist reine Will- kühr; wenn aber an den angeblichen Analogieen auch et- was Wahres sein sollte, so ist es doch immerhin ohne Vergleichung leichter möglich gewesen, daſs Heilungsge- schichten von χωλοῖς und παραλυτικοῖς den messianischen Erwartungen gemäſs sich in der Sage bilden, als daſs sie wirklich erfolgen konnten. In der schon angeführten Stelle des Jesaias nämlich, 35, 6, war von der messianischen Zeit auch verheiſsen: τότε ἁλεῖται ὡς ἐλαφος ὁ χωλὸς, und in demselben Zusammenhang, V. 3., war den γόνατα πα- ραλελυμένα ein ἰσχύσατε zugerufen, was, wie die übrigen damit zusammenhängenden Züge, später eigentlich verstan- den und als Wunderleistung vom Messias erwartet worden sein muſs, da sich, wie schon erwähnt, Jesus, zum Be- weis, daſs er der ἐρχόμενος sei, auch darauf, daſs χωλοὶ περιπατοῦσι, berief.
§. 93. Unwillkührliche Heilungen.
Etlichemale in ihren allgemeinen Angaben über die hei- lende Thätigkeit Jesu bemerken die Synoptiker, daſs Kranke aller Art Jesum nur zu berühren, oder am Saum seines Kleides zu fassen gesucht haben, um geheilt zu werden, was dann auf die Berührung hin auch wirklich erfolgt sei (Matth. 14, 36. Marc. 3, 10. 6, 56. Luc. 6, 19.). Hier wirkte also Jesus nicht, wie wir es bis jezt immer gefun- den haben, mit bestimmter Richtung auf einzelne Kranke, sondern, ohne daſs er von jedem besondre Notiz nehmen konnte, auf ganze Massen; sein Vermögen zu heilen er- scheint hier nicht, wie sonst, an seinen Willen, sondern
17)Bengel, Gnomon, 1, S. 245. ed. 2. Paulus, S. 502, nimmt auch hier wieder ein offenbares Mährchen aus Livius 2, 36, als natürlich erklärbare Geschichte.
18)Paulus, a. a. O. S. 501.
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[93/0112]
Neuntes Kapitel. §. 93.
berufen 17), und eine länger fortgesezte Nachkur ange-
nommen 18); allein das Erste und Lezte ist reine Will-
kühr; wenn aber an den angeblichen Analogieen auch et-
was Wahres sein sollte, so ist es doch immerhin ohne
Vergleichung leichter möglich gewesen, daſs Heilungsge-
schichten von χωλοῖς und παραλυτικοῖς den messianischen
Erwartungen gemäſs sich in der Sage bilden, als daſs sie
wirklich erfolgen konnten. In der schon angeführten Stelle
des Jesaias nämlich, 35, 6, war von der messianischen
Zeit auch verheiſsen: τότε ἁλεῖται ὡς ἐλαφος ὁ χωλὸς, und
in demselben Zusammenhang, V. 3., war den γόνατα πα-
ραλελυμένα ein ἰσχύσατε zugerufen, was, wie die übrigen
damit zusammenhängenden Züge, später eigentlich verstan-
den und als Wunderleistung vom Messias erwartet worden
sein muſs, da sich, wie schon erwähnt, Jesus, zum Be-
weis, daſs er der ἐρχόμενος sei, auch darauf, daſs χωλοὶ
περιπατοῦσι, berief.
§. 93.
Unwillkührliche Heilungen.
Etlichemale in ihren allgemeinen Angaben über die hei-
lende Thätigkeit Jesu bemerken die Synoptiker, daſs Kranke
aller Art Jesum nur zu berühren, oder am Saum seines
Kleides zu fassen gesucht haben, um geheilt zu werden,
was dann auf die Berührung hin auch wirklich erfolgt sei
(Matth. 14, 36. Marc. 3, 10. 6, 56. Luc. 6, 19.). Hier
wirkte also Jesus nicht, wie wir es bis jezt immer gefun-
den haben, mit bestimmter Richtung auf einzelne Kranke,
sondern, ohne daſs er von jedem besondre Notiz nehmen
konnte, auf ganze Massen; sein Vermögen zu heilen er-
scheint hier nicht, wie sonst, an seinen Willen, sondern
17) Bengel, Gnomon, 1, S. 245. ed. 2. Paulus, S. 502, nimmt
auch hier wieder ein offenbares Mährchen aus Livius 2, 36,
als natürlich erklärbare Geschichte.
18) Paulus, a. a. O. S. 501.
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Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/strauss_jesus02_1836/112>, abgerufen am 11.06.2024.
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