Strauß, David Friedrich: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. Bd. 2. Tübingen, 1836.Zweiter Abschnitt. Andere 11) angenommen, Jesus habe durch jenes Vorneh-men seinen Jüngern, von welchen mehrere vorher Schü- ler des Täufers gewesen waren, das Verhältniss seines Geistes und Amtes zu dem des Johannes versinnlichen, und den Anstoss, welchen sie etwa an seiner liberaleren Lebensweise nehmen mochten, durch das Wunder nieder- schlagen wollen. Allein hier tritt nun dasjenige ein, was gleichfalls selbst Freunde dieser Auslegung als auffallend her- vorheben 12), dass Jesus das sinnbildliche Wunder nicht be- nüzt, um durch erläuternde Reden seine Jünger über sein Verhältniss zum Täufer aufzuklären. Wie nöthig eine sol- che Auslegung war, wenn das Wunder nicht seinen spe- ciellen Zweck verfehlen sollte, erhellt sogleich daraus, dass der Referent nach V. 11. dasselbe gar nicht in diesem Sinn, als Veranschaulichung einer besondern Maxime Je- su, sondern ganz allgemein, als phanerosis seiner doxa, ver- standen hat 13). War also doch jene specielle Verständi- gung Jesu Zweck bei dem vorliegenden Wunder, so hat ihn der Verfasser des vierten Evangeliums, d. h. nach der Voraussetzung jener Erklärer sein empfänglichster Schüler, missverstanden, und Jesus, diesem Missverständniss vorzu- beugen, auf unzweckmässige Weise versäumt; oder, wenn man dieses Beides nicht annehmen will, so bleibt es dabei, dass Jesus den allgemeinen Zweck, seine Wunderkraft zu zeigen, gegen seine sonstige Weise durch eine Handlung zu erreichen gesucht hätte, an deren Stelle er eine nüzli- chere scheint haben setzen zu können. Auch das unverhältnissmässige Quantum Weins, wel- 11) C. C. Flatt, über die Verwandlung des Wassers in Wein, in Süskind's Magazin, 14. Stück, S. 86 f. Olshausen a. a. O. S. 75 f. 12) Olshausen a. a. O. 13) Auch Lücke findet jene symbolische Deutung zu weit herge-
holt, und zu wenig im Tone der Erzählung begründet. S. 406. Zweiter Abschnitt. Andere 11) angenommen, Jesus habe durch jenes Vorneh-men seinen Jüngern, von welchen mehrere vorher Schü- ler des Täufers gewesen waren, das Verhältniſs seines Geistes und Amtes zu dem des Johannes versinnlichen, und den Anstoſs, welchen sie etwa an seiner liberaleren Lebensweise nehmen mochten, durch das Wunder nieder- schlagen wollen. Allein hier tritt nun dasjenige ein, was gleichfalls selbst Freunde dieser Auslegung als auffallend her- vorheben 12), daſs Jesus das sinnbildliche Wunder nicht be- nüzt, um durch erläuternde Reden seine Jünger über sein Verhältniſs zum Täufer aufzuklären. Wie nöthig eine sol- che Auslegung war, wenn das Wunder nicht seinen spe- ciellen Zweck verfehlen sollte, erhellt sogleich daraus, daſs der Referent nach V. 11. dasselbe gar nicht in diesem Sinn, als Veranschaulichung einer besondern Maxime Je- su, sondern ganz allgemein, als φανέρωσις seiner δόξα, ver- standen hat 13). War also doch jene specielle Verständi- gung Jesu Zweck bei dem vorliegenden Wunder, so hat ihn der Verfasser des vierten Evangeliums, d. h. nach der Voraussetzung jener Erklärer sein empfänglichster Schüler, miſsverstanden, und Jesus, diesem Miſsverständniſs vorzu- beugen, auf unzweckmäſsige Weise versäumt; oder, wenn man dieses Beides nicht annehmen will, so bleibt es dabei, daſs Jesus den allgemeinen Zweck, seine Wunderkraft zu zeigen, gegen seine sonstige Weise durch eine Handlung zu erreichen gesucht hätte, an deren Stelle er eine nüzli- chere scheint haben setzen zu können. Auch das unverhältniſsmäſsige Quantum Weins, wel- 11) C. C. Flatt, über die Verwandlung des Wassers in Wein, in Süskind's Magazin, 14. Stück, S. 86 f. Olshausen a. a. O. S. 75 f. 12) Olshausen a. a. O. 13) Auch Lücke findet jene symbolische Deutung zu weit herge-
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Zweiter Abschnitt.
Andere 11) angenommen, Jesus habe durch jenes Vorneh-
men seinen Jüngern, von welchen mehrere vorher Schü-
ler des Täufers gewesen waren, das Verhältniſs seines
Geistes und Amtes zu dem des Johannes versinnlichen,
und den Anstoſs, welchen sie etwa an seiner liberaleren
Lebensweise nehmen mochten, durch das Wunder nieder-
schlagen wollen. Allein hier tritt nun dasjenige ein, was
gleichfalls selbst Freunde dieser Auslegung als auffallend her-
vorheben 12), daſs Jesus das sinnbildliche Wunder nicht be-
nüzt, um durch erläuternde Reden seine Jünger über sein
Verhältniſs zum Täufer aufzuklären. Wie nöthig eine sol-
che Auslegung war, wenn das Wunder nicht seinen spe-
ciellen Zweck verfehlen sollte, erhellt sogleich daraus, daſs
der Referent nach V. 11. dasselbe gar nicht in diesem
Sinn, als Veranschaulichung einer besondern Maxime Je-
su, sondern ganz allgemein, als φανέρωσις seiner δόξα, ver-
standen hat 13). War also doch jene specielle Verständi-
gung Jesu Zweck bei dem vorliegenden Wunder, so hat
ihn der Verfasser des vierten Evangeliums, d. h. nach der
Voraussetzung jener Erklärer sein empfänglichster Schüler,
miſsverstanden, und Jesus, diesem Miſsverständniſs vorzu-
beugen, auf unzweckmäſsige Weise versäumt; oder, wenn
man dieses Beides nicht annehmen will, so bleibt es dabei,
daſs Jesus den allgemeinen Zweck, seine Wunderkraft zu
zeigen, gegen seine sonstige Weise durch eine Handlung
zu erreichen gesucht hätte, an deren Stelle er eine nüzli-
chere scheint haben setzen zu können.
Auch das unverhältniſsmäſsige Quantum Weins, wel-
ches Jesus den Gästen gewährt, muſs in Erstaunen setzen.
11) C. C. Flatt, über die Verwandlung des Wassers in Wein,
in Süskind's Magazin, 14. Stück, S. 86 f. Olshausen a. a. O.
S. 75 f.
12) Olshausen a. a. O.
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holt, und zu wenig im Tone der Erzählung begründet. S. 406.
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