Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905

Bild:
<< vorherige Seite

ist ein konventionelles Wort, das Ihr alle, hier, mit entsetzter Miene immer anwendet, sobald die neue Zeit an den althergebrachten Sitten das geringste zu ändern versucht. Alles was nicht in die Überlieferung eurer engherzigen Moral paßt, ist verderbt, und damit ist die Sache begraben: "Nur nicht dran rühren!" Das ist viel leichter, als die Frage selbst zu untersuchen und die nötigen Folgerungen daraus zu ziehen."

"Verzeih', Stella, wir Frauen würdigen schon die Fragen, auf die du anspielst - wenn auch nicht alle Frauen auf die gleiche Weise - ich gebe die Beschränktheit der Provinzlerinnen zu. Viele sind wohl ehrlich und klug genug, zu unterscheiden, was gut und was schlecht ist für unser Ziel - das heißt, für unser Glück - und für das der andern. Ich denke, das ist ein Prüfstein, den die gesunde Vernunft anerkennen muß."

"Es wäre vielleicht einer, wenn ihr über das, was ihr Glück nennt, eine Ansicht hättet, über welche wir uns verständigen könnten. Aber willst du mir erklären, welche Art von Glück du hienieden angestrebt hast? Du bist ungefähr wie ich erzogen worden, weniger liebevoll, ich weiß es, aber nach derselben Methode. Du hast dich mit meinem Vater

ist ein konventionelles Wort, das Ihr alle, hier, mit entsetzter Miene immer anwendet, sobald die neue Zeit an den althergebrachten Sitten das geringste zu ändern versucht. Alles was nicht in die Überlieferung eurer engherzigen Moral paßt, ist verderbt, und damit ist die Sache begraben: „Nur nicht dran rühren!“ Das ist viel leichter, als die Frage selbst zu untersuchen und die nötigen Folgerungen daraus zu ziehen.“

„Verzeih’, Stella, wir Frauen würdigen schon die Fragen, auf die du anspielst – wenn auch nicht alle Frauen auf die gleiche Weise – ich gebe die Beschränktheit der Provinzlerinnen zu. Viele sind wohl ehrlich und klug genug, zu unterscheiden, was gut und was schlecht ist für unser Ziel – das heißt, für unser Glück – und für das der andern. Ich denke, das ist ein Prüfstein, den die gesunde Vernunft anerkennen muß.“

„Es wäre vielleicht einer, wenn ihr über das, was ihr Glück nennt, eine Ansicht hättet, über welche wir uns verständigen könnten. Aber willst du mir erklären, welche Art von Glück du hienieden angestrebt hast? Du bist ungefähr wie ich erzogen worden, weniger liebevoll, ich weiß es, aber nach derselben Methode. Du hast dich mit meinem Vater

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0075" n="74"/>
ist ein konventionelles Wort, das Ihr alle, hier, mit entsetzter Miene immer anwendet, sobald die neue Zeit an den althergebrachten Sitten das geringste zu ändern versucht. Alles was nicht in die Überlieferung eurer engherzigen Moral paßt, ist verderbt, und damit ist die Sache begraben: &#x201E;Nur nicht dran rühren!&#x201C; Das ist viel leichter, als die Frage selbst zu untersuchen und die nötigen Folgerungen daraus zu ziehen.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Verzeih&#x2019;, Stella, wir Frauen würdigen schon die Fragen, auf die du anspielst &#x2013; wenn auch nicht alle Frauen auf die gleiche Weise &#x2013; ich gebe die Beschränktheit der Provinzlerinnen zu. Viele sind wohl ehrlich und klug genug, zu unterscheiden, was gut und was schlecht ist für unser Ziel &#x2013; das heißt, für unser Glück &#x2013; und für das der andern. Ich denke, das ist ein Prüfstein, den die gesunde Vernunft anerkennen muß.&#x201C;</p>
        <p>&#x201E;Es wäre vielleicht einer, wenn ihr über das, was ihr Glück nennt, eine Ansicht hättet, über welche wir uns verständigen könnten. Aber willst du mir erklären, welche Art von Glück du hienieden angestrebt hast? Du bist ungefähr wie ich erzogen worden, weniger liebevoll, ich weiß es, aber nach derselben Methode. Du hast dich mit meinem Vater
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0075] ist ein konventionelles Wort, das Ihr alle, hier, mit entsetzter Miene immer anwendet, sobald die neue Zeit an den althergebrachten Sitten das geringste zu ändern versucht. Alles was nicht in die Überlieferung eurer engherzigen Moral paßt, ist verderbt, und damit ist die Sache begraben: „Nur nicht dran rühren!“ Das ist viel leichter, als die Frage selbst zu untersuchen und die nötigen Folgerungen daraus zu ziehen.“ „Verzeih’, Stella, wir Frauen würdigen schon die Fragen, auf die du anspielst – wenn auch nicht alle Frauen auf die gleiche Weise – ich gebe die Beschränktheit der Provinzlerinnen zu. Viele sind wohl ehrlich und klug genug, zu unterscheiden, was gut und was schlecht ist für unser Ziel – das heißt, für unser Glück – und für das der andern. Ich denke, das ist ein Prüfstein, den die gesunde Vernunft anerkennen muß.“ „Es wäre vielleicht einer, wenn ihr über das, was ihr Glück nennt, eine Ansicht hättet, über welche wir uns verständigen könnten. Aber willst du mir erklären, welche Art von Glück du hienieden angestrebt hast? Du bist ungefähr wie ich erzogen worden, weniger liebevoll, ich weiß es, aber nach derselben Methode. Du hast dich mit meinem Vater

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-29T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-29T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-29T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/75
Zitationshilfe: Sturza, Marie Tihanyi: Das Gelübde einer dreißigjährigen Frau. Leipzig, 1905, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sturza_geluebde_1905/75>, abgerufen am 10.06.2024.