Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

Tagebuch von der Rückreise
Hofleute oder noch müßigerer Geistlichen unterhälten;
und nur was diese übrig lassen, kann er für sich nu-
tzen. Ein gewisser Mann in dieser Gegend, mit
dem ich mich hierüber in Unterredung eingelassen hatte,
schrieb die Armuth des Landmanns der üppigen Lebens-
art der reichen Geistlichen zu, denen, wie er sagte,
weder für ihre Nahrung, noch für ihre Kleidung und
Geräthschaft nichts im Lande gut genug wäre, daher
das Geld aus dem Lande gienge. Aber ich überzeug-
te ihn, daß das Uebel gar nicht von dem Ausgehen
des baaren Geldes, sondern lediglich von der zu gros-
sen Anzahl der müßigen Menschen im Lande herkom-
me. Bey denselben Abgaben, sagte ich, würde der
Landmann gleich elend bleiben, wenn auch kein Kreu-
zer aus dem Lande gienge. Die schweren Steuern,
sagte ich, welche jetzt den Landmann drücken, würden
ihn eben so drücken, wenn auch alles Geld im Lande
verzehrt würde. Denn um es zu verzehren, müß-
ten doch die Reichen, in deren Händen es sich befindet,
eine Menge Menschen entweder zu ihrer Aufwartung,
oder zu Verfertigung entbehrlicher und nur zur Uep-
pigkeit dienender Dinge, um sich haben, deren Unter-
halt doch immer dem Landmanne zur Last fiele. Der
ganze Unterschied würde blos darin bestehen, daß der
Landmann den größten Theil seiner jährlich gewonne-
nen Landesgüter, die er jetzt an Fremde verkauft, als-
denn an Einheimische verkaufen würde, um das zu
seinen Abgaben nöthige Geld dafür zu erhalten. Aber
sowohl in dem einen, als in dem andern Falle bleibet
er gleich elend, da er das Seinige zum Unterhalte an-
derer hergeben muß. Man setze, that ich hinzu, daß
alle Domherren und andere reiche Geistliche, die jetzt

das

Tagebuch von der Ruͤckreiſe
Hofleute oder noch muͤßigerer Geiſtlichen unterhaͤlten;
und nur was dieſe uͤbrig laſſen, kann er fuͤr ſich nu-
tzen. Ein gewiſſer Mann in dieſer Gegend, mit
dem ich mich hieruͤber in Unterredung eingelaſſen hatte,
ſchrieb die Armuth des Landmanns der uͤppigen Lebens-
art der reichen Geiſtlichen zu, denen, wie er ſagte,
weder fuͤr ihre Nahrung, noch fuͤr ihre Kleidung und
Geraͤthſchaft nichts im Lande gut genug waͤre, daher
das Geld aus dem Lande gienge. Aber ich uͤberzeug-
te ihn, daß das Uebel gar nicht von dem Ausgehen
des baaren Geldes, ſondern lediglich von der zu groſ-
ſen Anzahl der muͤßigen Menſchen im Lande herkom-
me. Bey denſelben Abgaben, ſagte ich, wuͤrde der
Landmann gleich elend bleiben, wenn auch kein Kreu-
zer aus dem Lande gienge. Die ſchweren Steuern,
ſagte ich, welche jetzt den Landmann druͤcken, wuͤrden
ihn eben ſo druͤcken, wenn auch alles Geld im Lande
verzehrt wuͤrde. Denn um es zu verzehren, muͤß-
ten doch die Reichen, in deren Haͤnden es ſich befindet,
eine Menge Menſchen entweder zu ihrer Aufwartung,
oder zu Verfertigung entbehrlicher und nur zur Uep-
pigkeit dienender Dinge, um ſich haben, deren Unter-
halt doch immer dem Landmanne zur Laſt fiele. Der
ganze Unterſchied wuͤrde blos darin beſtehen, daß der
Landmann den groͤßten Theil ſeiner jaͤhrlich gewonne-
nen Landesguͤter, die er jetzt an Fremde verkauft, als-
denn an Einheimiſche verkaufen wuͤrde, um das zu
ſeinen Abgaben noͤthige Geld dafuͤr zu erhalten. Aber
ſowohl in dem einen, als in dem andern Falle bleibet
er gleich elend, da er das Seinige zum Unterhalte an-
derer hergeben muß. Man ſetze, that ich hinzu, daß
alle Domherren und andere reiche Geiſtliche, die jetzt

das
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="diaryEntry" n="2">
          <p><pb facs="#f0428" n="408"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Tagebuch von der Ru&#x0364;ckrei&#x017F;e</hi></fw><lb/>
Hofleute oder noch mu&#x0364;ßigerer Gei&#x017F;tlichen unterha&#x0364;lten;<lb/>
und nur was die&#x017F;e u&#x0364;brig la&#x017F;&#x017F;en, kann er fu&#x0364;r &#x017F;ich nu-<lb/>
tzen. Ein gewi&#x017F;&#x017F;er Mann in die&#x017F;er Gegend, mit<lb/>
dem ich mich hieru&#x0364;ber in Unterredung eingela&#x017F;&#x017F;en hatte,<lb/>
&#x017F;chrieb die Armuth des Landmanns der u&#x0364;ppigen Lebens-<lb/>
art der reichen Gei&#x017F;tlichen zu, denen, wie er &#x017F;agte,<lb/>
weder fu&#x0364;r ihre Nahrung, noch fu&#x0364;r ihre Kleidung und<lb/>
Gera&#x0364;th&#x017F;chaft nichts im Lande gut genug wa&#x0364;re, daher<lb/>
das Geld aus dem Lande gienge. Aber ich u&#x0364;berzeug-<lb/>
te ihn, daß das Uebel gar nicht von dem Ausgehen<lb/>
des baaren Geldes, &#x017F;ondern lediglich von der zu gro&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Anzahl der mu&#x0364;ßigen Men&#x017F;chen im Lande herkom-<lb/>
me. Bey den&#x017F;elben Abgaben, &#x017F;agte ich, wu&#x0364;rde der<lb/>
Landmann gleich elend bleiben, wenn auch kein Kreu-<lb/>
zer aus dem Lande gienge. Die &#x017F;chweren Steuern,<lb/>
&#x017F;agte ich, welche jetzt den Landmann dru&#x0364;cken, wu&#x0364;rden<lb/>
ihn eben &#x017F;o dru&#x0364;cken, wenn auch alles Geld im Lande<lb/>
verzehrt wu&#x0364;rde. Denn um es zu verzehren, mu&#x0364;ß-<lb/>
ten doch die Reichen, in deren Ha&#x0364;nden es &#x017F;ich befindet,<lb/>
eine Menge Men&#x017F;chen entweder zu ihrer Aufwartung,<lb/>
oder zu Verfertigung entbehrlicher und nur zur Uep-<lb/>
pigkeit dienender Dinge, um &#x017F;ich haben, deren Unter-<lb/>
halt doch immer dem Landmanne zur La&#x017F;t fiele. Der<lb/>
ganze Unter&#x017F;chied wu&#x0364;rde blos darin be&#x017F;tehen, daß der<lb/>
Landmann den gro&#x0364;ßten Theil &#x017F;einer ja&#x0364;hrlich gewonne-<lb/>
nen Landesgu&#x0364;ter, die er jetzt an Fremde verkauft, als-<lb/>
denn an Einheimi&#x017F;che verkaufen wu&#x0364;rde, um das zu<lb/>
&#x017F;einen Abgaben no&#x0364;thige Geld dafu&#x0364;r zu erhalten. Aber<lb/>
&#x017F;owohl in dem einen, als in dem andern Falle bleibet<lb/>
er gleich elend, da er das Seinige zum Unterhalte an-<lb/>
derer hergeben muß. Man &#x017F;etze, that ich hinzu, daß<lb/>
alle Domherren und andere reiche Gei&#x017F;tliche, die jetzt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">das</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[408/0428] Tagebuch von der Ruͤckreiſe Hofleute oder noch muͤßigerer Geiſtlichen unterhaͤlten; und nur was dieſe uͤbrig laſſen, kann er fuͤr ſich nu- tzen. Ein gewiſſer Mann in dieſer Gegend, mit dem ich mich hieruͤber in Unterredung eingelaſſen hatte, ſchrieb die Armuth des Landmanns der uͤppigen Lebens- art der reichen Geiſtlichen zu, denen, wie er ſagte, weder fuͤr ihre Nahrung, noch fuͤr ihre Kleidung und Geraͤthſchaft nichts im Lande gut genug waͤre, daher das Geld aus dem Lande gienge. Aber ich uͤberzeug- te ihn, daß das Uebel gar nicht von dem Ausgehen des baaren Geldes, ſondern lediglich von der zu groſ- ſen Anzahl der muͤßigen Menſchen im Lande herkom- me. Bey denſelben Abgaben, ſagte ich, wuͤrde der Landmann gleich elend bleiben, wenn auch kein Kreu- zer aus dem Lande gienge. Die ſchweren Steuern, ſagte ich, welche jetzt den Landmann druͤcken, wuͤrden ihn eben ſo druͤcken, wenn auch alles Geld im Lande verzehrt wuͤrde. Denn um es zu verzehren, muͤß- ten doch die Reichen, in deren Haͤnden es ſich befindet, eine Menge Menſchen entweder zu ihrer Aufwartung, oder zu Verfertigung entbehrlicher und nur zur Uep- pigkeit dienender Dinge, um ſich haben, deren Unter- halt doch immer dem Landmanne zur Laſt fiele. Der ganze Unterſchied wuͤrde blos darin beſtehen, daß der Landmann den groͤßten Theil ſeiner jaͤhrlich gewonne- nen Landesguͤter, die er jetzt an Fremde verkauft, als- denn an Einheimiſche verkaufen wuͤrde, um das zu ſeinen Abgaben noͤthige Geld dafuͤr zu erhalten. Aber ſowohl in dem einen, als in dem andern Falle bleibet er gleich elend, da er das Seinige zum Unterhalte an- derer hergeben muß. Man ſetze, that ich hinzu, daß alle Domherren und andere reiche Geiſtliche, die jetzt das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/428
Zitationshilfe: Sulzer, Johann Georg: Tagebuch einer von Berlin nach den mittäglichen Ländern von Europa in den Jahren 1775 und 1776 gethanen Reise und Rückreise. Leipzig, 1780, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sulzer_reise_1780/428>, abgerufen am 16.06.2024.