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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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Gefühle zerlegen, um ihre Bestandtheile kennen
zu lernen, -- ich mag es nicht, und selbst wenn
es wahr seyn sollte. Und alles zugegeben, so
glänzt in dieser Sinnlichkeit so viel erhabner
Geist, daß ich keine andre platonische Liebe
brauche.

Als ihre Mutter neulich schlafen gegangen
war, und ich mit ihr vor der Thüre saß, ent-
deckt' ich ihr meine Liebe. Sie war gerührt
und zärtlich, und sagte mir sehr naiv, daß sie
schon einen Bräutigam habe, und mich daher
nicht lieben dürfe, wenn sie auch herzlich gern
wolle. Es ist ein armer Fischer, der jetzt einer
kleinen Erbschaft wegen zu Fuße nach Calabrien
gegangen ist; sie beschrieb ihn mir sogleich, und
gestand mir ganz unverholen, daß er so hübsch
nicht sey, als ich. Dasselbe Mädchen, das mich
vor einigen Wochen keines freundlichen Blickes
würdigte! O ihr Menschenkenner, wann wer-
det ihr das Herz der Weiber ergründen können!

Sie rührte mich, als sie mir die Einrich-
tung ihrer künftigen kleinen Wirthschaft be-
schrieb. Wie beschränkt sind die Wünsche die-
ser Menschen! Wenn ich an meine Verschwen-
dung denke, wie ein weggeworfner oder verspiel-

K 2

Gefuͤhle zerlegen, um ihre Beſtandtheile kennen
zu lernen, — ich mag es nicht, und ſelbſt wenn
es wahr ſeyn ſollte. Und alles zugegeben, ſo
glaͤnzt in dieſer Sinnlichkeit ſo viel erhabner
Geiſt, daß ich keine andre platoniſche Liebe
brauche.

Als ihre Mutter neulich ſchlafen gegangen
war, und ich mit ihr vor der Thuͤre ſaß, ent-
deckt’ ich ihr meine Liebe. Sie war geruͤhrt
und zaͤrtlich, und ſagte mir ſehr naiv, daß ſie
ſchon einen Braͤutigam habe, und mich daher
nicht lieben duͤrfe, wenn ſie auch herzlich gern
wolle. Es iſt ein armer Fiſcher, der jetzt einer
kleinen Erbſchaft wegen zu Fuße nach Calabrien
gegangen iſt; ſie beſchrieb ihn mir ſogleich, und
geſtand mir ganz unverholen, daß er ſo huͤbſch
nicht ſey, als ich. Daſſelbe Maͤdchen, das mich
vor einigen Wochen keines freundlichen Blickes
wuͤrdigte! O ihr Menſchenkenner, wann wer-
det ihr das Herz der Weiber ergruͤnden koͤnnen!

Sie ruͤhrte mich, als ſie mir die Einrich-
tung ihrer kuͤnftigen kleinen Wirthſchaft be-
ſchrieb. Wie beſchraͤnkt ſind die Wuͤnſche die-
ſer Menſchen! Wenn ich an meine Verſchwen-
dung denke, wie ein weggeworfner oder verſpiel-

K 2
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[147/0153] Gefuͤhle zerlegen, um ihre Beſtandtheile kennen zu lernen, — ich mag es nicht, und ſelbſt wenn es wahr ſeyn ſollte. Und alles zugegeben, ſo glaͤnzt in dieſer Sinnlichkeit ſo viel erhabner Geiſt, daß ich keine andre platoniſche Liebe brauche. Als ihre Mutter neulich ſchlafen gegangen war, und ich mit ihr vor der Thuͤre ſaß, ent- deckt’ ich ihr meine Liebe. Sie war geruͤhrt und zaͤrtlich, und ſagte mir ſehr naiv, daß ſie ſchon einen Braͤutigam habe, und mich daher nicht lieben duͤrfe, wenn ſie auch herzlich gern wolle. Es iſt ein armer Fiſcher, der jetzt einer kleinen Erbſchaft wegen zu Fuße nach Calabrien gegangen iſt; ſie beſchrieb ihn mir ſogleich, und geſtand mir ganz unverholen, daß er ſo huͤbſch nicht ſey, als ich. Daſſelbe Maͤdchen, das mich vor einigen Wochen keines freundlichen Blickes wuͤrdigte! O ihr Menſchenkenner, wann wer- det ihr das Herz der Weiber ergruͤnden koͤnnen! Sie ruͤhrte mich, als ſie mir die Einrich- tung ihrer kuͤnftigen kleinen Wirthſchaft be- ſchrieb. Wie beſchraͤnkt ſind die Wuͤnſche die- ſer Menſchen! Wenn ich an meine Verſchwen- dung denke, wie ein weggeworfner oder verſpiel- K 2

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/153>, abgerufen am 31.10.2024.