Gefühle zerlegen, um ihre Bestandtheile kennen zu lernen, -- ich mag es nicht, und selbst wenn es wahr seyn sollte. Und alles zugegeben, so glänzt in dieser Sinnlichkeit so viel erhabner Geist, daß ich keine andre platonische Liebe brauche.
Als ihre Mutter neulich schlafen gegangen war, und ich mit ihr vor der Thüre saß, ent- deckt' ich ihr meine Liebe. Sie war gerührt und zärtlich, und sagte mir sehr naiv, daß sie schon einen Bräutigam habe, und mich daher nicht lieben dürfe, wenn sie auch herzlich gern wolle. Es ist ein armer Fischer, der jetzt einer kleinen Erbschaft wegen zu Fuße nach Calabrien gegangen ist; sie beschrieb ihn mir sogleich, und gestand mir ganz unverholen, daß er so hübsch nicht sey, als ich. Dasselbe Mädchen, das mich vor einigen Wochen keines freundlichen Blickes würdigte! O ihr Menschenkenner, wann wer- det ihr das Herz der Weiber ergründen können!
Sie rührte mich, als sie mir die Einrich- tung ihrer künftigen kleinen Wirthschaft be- schrieb. Wie beschränkt sind die Wünsche die- ser Menschen! Wenn ich an meine Verschwen- dung denke, wie ein weggeworfner oder verspiel-
K 2
Gefuͤhle zerlegen, um ihre Beſtandtheile kennen zu lernen, — ich mag es nicht, und ſelbſt wenn es wahr ſeyn ſollte. Und alles zugegeben, ſo glaͤnzt in dieſer Sinnlichkeit ſo viel erhabner Geiſt, daß ich keine andre platoniſche Liebe brauche.
Als ihre Mutter neulich ſchlafen gegangen war, und ich mit ihr vor der Thuͤre ſaß, ent- deckt’ ich ihr meine Liebe. Sie war geruͤhrt und zaͤrtlich, und ſagte mir ſehr naiv, daß ſie ſchon einen Braͤutigam habe, und mich daher nicht lieben duͤrfe, wenn ſie auch herzlich gern wolle. Es iſt ein armer Fiſcher, der jetzt einer kleinen Erbſchaft wegen zu Fuße nach Calabrien gegangen iſt; ſie beſchrieb ihn mir ſogleich, und geſtand mir ganz unverholen, daß er ſo huͤbſch nicht ſey, als ich. Daſſelbe Maͤdchen, das mich vor einigen Wochen keines freundlichen Blickes wuͤrdigte! O ihr Menſchenkenner, wann wer- det ihr das Herz der Weiber ergruͤnden koͤnnen!
Sie ruͤhrte mich, als ſie mir die Einrich- tung ihrer kuͤnftigen kleinen Wirthſchaft be- ſchrieb. Wie beſchraͤnkt ſind die Wuͤnſche die- ſer Menſchen! Wenn ich an meine Verſchwen- dung denke, wie ein weggeworfner oder verſpiel-
K 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0153"n="147"/>
Gefuͤhle zerlegen, um ihre Beſtandtheile kennen<lb/>
zu lernen, — ich mag es nicht, und ſelbſt wenn<lb/>
es wahr ſeyn ſollte. Und alles zugegeben, ſo<lb/>
glaͤnzt in dieſer Sinnlichkeit ſo viel erhabner<lb/><hirendition="#g">Geiſt</hi>, daß <hirendition="#g">ich</hi> keine andre platoniſche Liebe<lb/>
brauche.</p><lb/><p>Als ihre Mutter neulich ſchlafen gegangen<lb/>
war, und ich mit ihr vor der Thuͤre ſaß, ent-<lb/>
deckt’ ich ihr meine Liebe. Sie war geruͤhrt<lb/>
und zaͤrtlich, und ſagte mir ſehr naiv, daß ſie<lb/>ſchon einen Braͤutigam habe, und mich daher<lb/>
nicht lieben duͤrfe, wenn ſie auch herzlich gern<lb/>
wolle. Es iſt ein armer Fiſcher, der jetzt einer<lb/>
kleinen Erbſchaft wegen zu Fuße nach Calabrien<lb/>
gegangen iſt; ſie beſchrieb ihn mir ſogleich, und<lb/>
geſtand mir ganz unverholen, daß er ſo huͤbſch<lb/>
nicht ſey, als ich. Daſſelbe Maͤdchen, das mich<lb/>
vor einigen Wochen keines freundlichen Blickes<lb/>
wuͤrdigte! O ihr Menſchenkenner, wann wer-<lb/>
det ihr das Herz der Weiber ergruͤnden koͤnnen!</p><lb/><p>Sie ruͤhrte mich, als ſie mir die Einrich-<lb/>
tung ihrer kuͤnftigen kleinen Wirthſchaft be-<lb/>ſchrieb. Wie beſchraͤnkt ſind die Wuͤnſche die-<lb/>ſer Menſchen! Wenn ich an meine Verſchwen-<lb/>
dung denke, wie ein weggeworfner oder verſpiel-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">K 2</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[147/0153]
Gefuͤhle zerlegen, um ihre Beſtandtheile kennen
zu lernen, — ich mag es nicht, und ſelbſt wenn
es wahr ſeyn ſollte. Und alles zugegeben, ſo
glaͤnzt in dieſer Sinnlichkeit ſo viel erhabner
Geiſt, daß ich keine andre platoniſche Liebe
brauche.
Als ihre Mutter neulich ſchlafen gegangen
war, und ich mit ihr vor der Thuͤre ſaß, ent-
deckt’ ich ihr meine Liebe. Sie war geruͤhrt
und zaͤrtlich, und ſagte mir ſehr naiv, daß ſie
ſchon einen Braͤutigam habe, und mich daher
nicht lieben duͤrfe, wenn ſie auch herzlich gern
wolle. Es iſt ein armer Fiſcher, der jetzt einer
kleinen Erbſchaft wegen zu Fuße nach Calabrien
gegangen iſt; ſie beſchrieb ihn mir ſogleich, und
geſtand mir ganz unverholen, daß er ſo huͤbſch
nicht ſey, als ich. Daſſelbe Maͤdchen, das mich
vor einigen Wochen keines freundlichen Blickes
wuͤrdigte! O ihr Menſchenkenner, wann wer-
det ihr das Herz der Weiber ergruͤnden koͤnnen!
Sie ruͤhrte mich, als ſie mir die Einrich-
tung ihrer kuͤnftigen kleinen Wirthſchaft be-
ſchrieb. Wie beſchraͤnkt ſind die Wuͤnſche die-
ſer Menſchen! Wenn ich an meine Verſchwen-
dung denke, wie ein weggeworfner oder verſpiel-
K 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/153>, abgerufen am 31.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.