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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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ein Meer von Wollust, und dachte nichts, ich
empfand nur sie, die holde, himmlische Rosa-
line, ein jeder Pulsschlag in mir jauchzte, wie
Geistergesänge klang es um mich her, und wie
ein wilder Orkan von lauter Wonne und Wohl-
laut stürmte es durch meinen Geist.

O mag alles um mich dunkel und ungewiß
liegen, kein ander Gefühl giebt uns Befriedi-
gung, kein Genuß des Geistes erquickt uns.
Nur hier, hier versammlet sich alles, was durch
unser ganzes Leben an Freuden und seeligen Em-
pfindungen bey einzelnen Gelegenheiten zerstreut
liegt. Nur dies ist der einzige Genuß, in wel-
chem wir die kalte, wüste Leere in unserm In-
nern nicht bemerken, wir versinken in Wollust,
und die hohen rauschenden Wogen schlagen über
uns zusammen, dann liegen wir im Abgrunde
der Seeligkeit, von dieser Welt und von uns
selber abgerissen. -- Nein, nur für sie, für
Rosalinen allein will ich jetzt leben; Pietro ist
ausgeblieben, und ich nehme sie mit mir, ich
hab' es versprochen, nur ihr zu leben, und ich
will ihr und mir mein Versprechen halten.

Alles dämmert vor meinen Augen, und ich
sehe sie immer noch vor mir stehen, halb in sich

ein Meer von Wolluſt, und dachte nichts, ich
empfand nur ſie, die holde, himmliſche Roſa-
line, ein jeder Pulsſchlag in mir jauchzte, wie
Geiſtergeſaͤnge klang es um mich her, und wie
ein wilder Orkan von lauter Wonne und Wohl-
laut ſtuͤrmte es durch meinen Geiſt.

O mag alles um mich dunkel und ungewiß
liegen, kein ander Gefuͤhl giebt uns Befriedi-
gung, kein Genuß des Geiſtes erquickt uns.
Nur hier, hier verſammlet ſich alles, was durch
unſer ganzes Leben an Freuden und ſeeligen Em-
pfindungen bey einzelnen Gelegenheiten zerſtreut
liegt. Nur dies iſt der einzige Genuß, in wel-
chem wir die kalte, wuͤſte Leere in unſerm In-
nern nicht bemerken, wir verſinken in Wolluſt,
und die hohen rauſchenden Wogen ſchlagen uͤber
uns zuſammen, dann liegen wir im Abgrunde
der Seeligkeit, von dieſer Welt und von uns
ſelber abgeriſſen. — Nein, nur fuͤr ſie, fuͤr
Roſalinen allein will ich jetzt leben; Pietro iſt
ausgeblieben, und ich nehme ſie mit mir, ich
hab’ es verſprochen, nur ihr zu leben, und ich
will ihr und mir mein Verſprechen halten.

Alles daͤmmert vor meinen Augen, und ich
ſehe ſie immer noch vor mir ſtehen, halb in ſich

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[188/0194] ein Meer von Wolluſt, und dachte nichts, ich empfand nur ſie, die holde, himmliſche Roſa- line, ein jeder Pulsſchlag in mir jauchzte, wie Geiſtergeſaͤnge klang es um mich her, und wie ein wilder Orkan von lauter Wonne und Wohl- laut ſtuͤrmte es durch meinen Geiſt. O mag alles um mich dunkel und ungewiß liegen, kein ander Gefuͤhl giebt uns Befriedi- gung, kein Genuß des Geiſtes erquickt uns. Nur hier, hier verſammlet ſich alles, was durch unſer ganzes Leben an Freuden und ſeeligen Em- pfindungen bey einzelnen Gelegenheiten zerſtreut liegt. Nur dies iſt der einzige Genuß, in wel- chem wir die kalte, wuͤſte Leere in unſerm In- nern nicht bemerken, wir verſinken in Wolluſt, und die hohen rauſchenden Wogen ſchlagen uͤber uns zuſammen, dann liegen wir im Abgrunde der Seeligkeit, von dieſer Welt und von uns ſelber abgeriſſen. — Nein, nur fuͤr ſie, fuͤr Roſalinen allein will ich jetzt leben; Pietro iſt ausgeblieben, und ich nehme ſie mit mir, ich hab’ es verſprochen, nur ihr zu leben, und ich will ihr und mir mein Verſprechen halten. Alles daͤmmert vor meinen Augen, und ich ſehe ſie immer noch vor mir ſtehen, halb in ſich

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/194>, abgerufen am 31.10.2024.