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Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796.

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lichkeit und Lebensgenuß nennen. Nichts macht
mich ernsthafter, als ein lachendes Gesicht, als
jene hohe Festtage im menschlichen Leben, wo
man recht darauf sinnt, und sich zwingt, alles
Gewöhnliche abzulegen; aber die neuen Kleider
veralten ebenfalls, und werden verächtlich in ei-
nen Winkel hingeworfen. Die Zeit rinnt Tropfen
für Tropfen unmerklich und unaufhaltsam fort,
und alles ist dann leer und vorüber, in den
Wind zerstreut und verflogen, daß der Mensch
sich wie berauscht umsieht, und nicht begreifen
kann, wo alles ihm unter den Händen fortge-
kommen ist, was er innig an sein Herz geheftet
glaubte. -- Ein Bauer hat heute hier in mei-
nem Dorfe Hochzeit gemacht, der Zug ging vor
meinem Hause vorüber, und ich mußte ihnen
aus dem Fenster Glück wünschen, ja die freude-
trunkenen Menschen ließen mir nicht eher Ruhe,
bis ich mich in ihre Wohnung tragen ließ, um
an dem Getümmel, an den Anstalten, die schon
seit Wochen gemacht waren, und nun endlich,
endlich gebraucht und verbraucht wurden, Theil
zu nehmen. Für die beiden Neuvermählten war
dieser Tag nun der wichtigste, seit die Welt
steht; sie meynen, daß von diesem Tage ein

Lovell. 2r Bd. P

lichkeit und Lebensgenuß nennen. Nichts macht
mich ernſthafter, als ein lachendes Geſicht, als
jene hohe Feſttage im menſchlichen Leben, wo
man recht darauf ſinnt, und ſich zwingt, alles
Gewoͤhnliche abzulegen; aber die neuen Kleider
veralten ebenfalls, und werden veraͤchtlich in ei-
nen Winkel hingeworfen. Die Zeit rinnt Tropfen
fuͤr Tropfen unmerklich und unaufhaltſam fort,
und alles iſt dann leer und voruͤber, in den
Wind zerſtreut und verflogen, daß der Menſch
ſich wie berauſcht umſieht, und nicht begreifen
kann, wo alles ihm unter den Haͤnden fortge-
kommen iſt, was er innig an ſein Herz geheftet
glaubte. — Ein Bauer hat heute hier in mei-
nem Dorfe Hochzeit gemacht, der Zug ging vor
meinem Hauſe voruͤber, und ich mußte ihnen
aus dem Fenſter Gluͤck wuͤnſchen, ja die freude-
trunkenen Menſchen ließen mir nicht eher Ruhe,
bis ich mich in ihre Wohnung tragen ließ, um
an dem Getuͤmmel, an den Anſtalten, die ſchon
ſeit Wochen gemacht waren, und nun endlich,
endlich gebraucht und verbraucht wurden, Theil
zu nehmen. Fuͤr die beiden Neuvermaͤhlten war
dieſer Tag nun der wichtigſte, ſeit die Welt
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Lovell. 2r Bd. P
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[225/0231] lichkeit und Lebensgenuß nennen. Nichts macht mich ernſthafter, als ein lachendes Geſicht, als jene hohe Feſttage im menſchlichen Leben, wo man recht darauf ſinnt, und ſich zwingt, alles Gewoͤhnliche abzulegen; aber die neuen Kleider veralten ebenfalls, und werden veraͤchtlich in ei- nen Winkel hingeworfen. Die Zeit rinnt Tropfen fuͤr Tropfen unmerklich und unaufhaltſam fort, und alles iſt dann leer und voruͤber, in den Wind zerſtreut und verflogen, daß der Menſch ſich wie berauſcht umſieht, und nicht begreifen kann, wo alles ihm unter den Haͤnden fortge- kommen iſt, was er innig an ſein Herz geheftet glaubte. — Ein Bauer hat heute hier in mei- nem Dorfe Hochzeit gemacht, der Zug ging vor meinem Hauſe voruͤber, und ich mußte ihnen aus dem Fenſter Gluͤck wuͤnſchen, ja die freude- trunkenen Menſchen ließen mir nicht eher Ruhe, bis ich mich in ihre Wohnung tragen ließ, um an dem Getuͤmmel, an den Anſtalten, die ſchon ſeit Wochen gemacht waren, und nun endlich, endlich gebraucht und verbraucht wurden, Theil zu nehmen. Fuͤr die beiden Neuvermaͤhlten war dieſer Tag nun der wichtigſte, ſeit die Welt ſteht; ſie meynen, daß von dieſem Tage ein Lovell. 2r Bd. P

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: William Lovell. Bd. 2. Berlin u. a., 1796, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_lovell02_1796/231>, abgerufen am 29.05.2024.