Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812.Zweite Abtheilung. nicht vor Augen leiden; sie sind ein Geschlecht, dasich verachte, weil sie sich so gutwillig unter der niedrigsten Knechtschaft der Menschen bequemen; sie können nichts als schmeicheln und beißen, sie haben gar nichts von dem Ton, welcher im Um- gange so nothwendig ist. -- Es will sich nichts fangen. -- (Er fängt an ein Jägerlied zu singen: im Felde schleich ich still und wild u. s. w., eine Nachtigall im be- nachbarten Busch fängt an schmettern.) Sie singt treflich, die Sängerin der Haine, -- wie delikat muß sie erst schmecken! -- Die Großen der Erde sind doch darin recht glücklich, daß sie Nachtigallen und Ler- chen essen können, so viel sie nur wollen, -- wir armen gemeinen Leute müssen uns mit dem Ge- sange zufrieden stellen, mit der schönen Natur, mit der unbegreiflich süßen Harmonie. -- Es ist fatal, daß ich nichts kann singen hören, ohne Lust zu kriegen, es zu fressen. -- Natur! Natur! Warum störst du mich dadurch immer in meinen allerzartesten Empfindungen, daß du meinen Geschmack für Mu- sik so pöbelhaft eingerichtet hast? -- Fast krieg ich Lust, mir die Stiefeln auszuziehn und sacht den Baum dort hinauf zu klettern! sie muß dort sitzen. -- (Im Parterre wird getrommelt.) Die Nachtigall hat eine gute Natur; ich habe immer nicht glauben wollen, daß sie am liebsten bei Sturm und Unge- witter singe, aber jetzt erleb ich die Wahrheit die- ser Behauptung. -- Ei! so singe und schmettre, daß dir der Athem vergeht! -- Delikat muß sie schmecken. Ich vergesse meine Jagd über diese Zweite Abtheilung. nicht vor Augen leiden; ſie ſind ein Geſchlecht, dasich verachte, weil ſie ſich ſo gutwillig unter der niedrigſten Knechtſchaft der Menſchen bequemen; ſie koͤnnen nichts als ſchmeicheln und beißen, ſie haben gar nichts von dem Ton, welcher im Um- gange ſo nothwendig iſt. — Es will ſich nichts fangen. — (Er faͤngt an ein Jaͤgerlied zu ſingen: im Felde ſchleich ich ſtill und wild u. ſ. w., eine Nachtigall im be- nachbarten Buſch faͤngt an ſchmettern.) Sie ſingt treflich, die Saͤngerin der Haine, — wie delikat muß ſie erſt ſchmecken! — Die Großen der Erde ſind doch darin recht gluͤcklich, daß ſie Nachtigallen und Ler- chen eſſen koͤnnen, ſo viel ſie nur wollen, — wir armen gemeinen Leute muͤſſen uns mit dem Ge- ſange zufrieden ſtellen, mit der ſchoͤnen Natur, mit der unbegreiflich ſuͤßen Harmonie. — Es iſt fatal, daß ich nichts kann ſingen hoͤren, ohne Luſt zu kriegen, es zu freſſen. — Natur! Natur! Warum ſtoͤrſt du mich dadurch immer in meinen allerzarteſten Empfindungen, daß du meinen Geſchmack fuͤr Mu- ſik ſo poͤbelhaft eingerichtet haſt? — Faſt krieg ich Luſt, mir die Stiefeln auszuziehn und ſacht den Baum dort hinauf zu klettern! ſie muß dort ſitzen. — (Im Parterre wird getrommelt.) Die Nachtigall hat eine gute Natur; ich habe immer nicht glauben wollen, daß ſie am liebſten bei Sturm und Unge- witter ſinge, aber jetzt erleb ich die Wahrheit die- ſer Behauptung. — Ei! ſo ſinge und ſchmettre, daß dir der Athem vergeht! — Delikat muß ſie ſchmecken. 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Zweite Abtheilung.
nicht vor Augen leiden; ſie ſind ein Geſchlecht, das
ich verachte, weil ſie ſich ſo gutwillig unter der
niedrigſten Knechtſchaft der Menſchen bequemen;
ſie koͤnnen nichts als ſchmeicheln und beißen, ſie
haben gar nichts von dem Ton, welcher im Um-
gange ſo nothwendig iſt. — Es will ſich nichts
fangen. — (Er faͤngt an ein Jaͤgerlied zu ſingen: im Felde
ſchleich ich ſtill und wild u. ſ. w., eine Nachtigall im be-
nachbarten Buſch faͤngt an ſchmettern.) Sie ſingt treflich,
die Saͤngerin der Haine, — wie delikat muß ſie
erſt ſchmecken! — Die Großen der Erde ſind doch
darin recht gluͤcklich, daß ſie Nachtigallen und Ler-
chen eſſen koͤnnen, ſo viel ſie nur wollen, — wir
armen gemeinen Leute muͤſſen uns mit dem Ge-
ſange zufrieden ſtellen, mit der ſchoͤnen Natur, mit
der unbegreiflich ſuͤßen Harmonie. — Es iſt fatal,
daß ich nichts kann ſingen hoͤren, ohne Luſt zu
kriegen, es zu freſſen. — Natur! Natur! Warum
ſtoͤrſt du mich dadurch immer in meinen allerzarteſten
Empfindungen, daß du meinen Geſchmack fuͤr Mu-
ſik ſo poͤbelhaft eingerichtet haſt? — Faſt krieg ich
Luſt, mir die Stiefeln auszuziehn und ſacht den
Baum dort hinauf zu klettern! ſie muß dort ſitzen.
— (Im Parterre wird getrommelt.) Die Nachtigall hat
eine gute Natur; ich habe immer nicht glauben
wollen, daß ſie am liebſten bei Sturm und Unge-
witter ſinge, aber jetzt erleb ich die Wahrheit die-
ſer Behauptung. — Ei! ſo ſinge und ſchmettre,
daß dir der Athem vergeht! — Delikat muß ſie
ſchmecken. Ich vergeſſe meine Jagd uͤber dieſe
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Zitationshilfe: | Tieck, Ludwig: Phantasus. Bd. 2. Berlin, 1812, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_phantasus02_1812/191>, abgerufen am 16.06.2024. |