der von vornherein die italienische Frage durch die Wiener Gläser be- trachtete. "Mehr denn jemals ist die Sache Oesterreichs jetzt die Sache von ganz Europa", schrieb Bernstorff schon am 12. August, und Niebuhr ward sofort angewiesen, mit dem österreichischen Gesandten in Rom sich zu verständigen. Alles sollte vermieden werden was den rächenden Arm der Hofburg in Italien irgend aufhalten konnte.*) Freilich ward diese Haltung Preußens nicht blos durch die Freundschaft bestimmt, sondern auch durch eine nüchterne realpolitische Erwägung, welche dem Wiener Hofe noch monatelang verborgen blieb. Der König wollte seinen er- schöpften Staat unter keinen Umständen mit neuen Verpflichtungen be- lasten; keinen Mann und keinen Thaler dachte er für diese südländischen Wirren zu opfern. Behielt Oesterreich in Italien volle Freiheit, so blieb Preußen am sichersten aus dem Spiele. Auch die englische Regierung hätte für jetzt gern jede förmliche Verabredung zwischen den großen Mächten ver- hindert; denn lebhafter als Lord Castlereagh konnte selbst Metternich die Bändigung der Revolution nicht wünschen, und da eine europäische Inter- vention sich vor dem schwierigen Parlamente nicht verantworten ließ, so dachte das Tory-Cabinet die Züchtigung der Carbonari wo möglich der Hofburg allein zu überlassen. Daß Oesterreichs Machtstellung auf der Halbinsel sich dadurch von Neuem befestigen mußte, war dem alten Bun- desgenossen des Hauses Lothringen nur willkommen.
Um so bedenklicher erschien diese Gefahr dem Tuilerienhofe. Auch Richelieu verabscheute die Revolution, die sich ja gegen die Vettern des Allerchristlichsten Königs richtete, jedoch das Uebergewicht Oesterreichs im Süden durfte kein französischer Minister noch verstärken helfen, und wer stand dafür, daß nicht England die italienischen Wirren benutzen würde um sich abermals auf Sicilien einzunisten? Daher beantragte Richelieu schon in den ersten Tagen des August bei der Hofburg die Einberufung einer europäischen Reunion nach dem Muster des Aachener Congresses.**) In einem Rundschreiben an die großen Mächte lehnte Oesterreich den Vorschlag ab, weil er nur Zeitverlust bewirken und den englischen Hof abschrecken würde (28. August). Das Petersburger Cabinet dagegen er- griff den Gedanken Richelieu's mit Feuereifer. Der Czar lebte und webte noch in dem Traume seines großen christlichen Bundes. Er hoffte: wenn das hohe Tribunal Europas zusammenträte, dann könnte vielleicht die Revolution auf beiden Halbinseln überwunden, aber auch Oesterreichs Eigenmacht gezügelt und in Neapel wie in Madrid unter der Aufsicht der großen Mächte ein gemäßigtes Regiment begründet werden. Ganz hatte Alexander die liberalen Ideale frührer Jahre noch nicht überwunden; seine weiche Natur sträubte sich wieder die Einsicht, daß der Radikalismus
der von vornherein die italieniſche Frage durch die Wiener Gläſer be- trachtete. „Mehr denn jemals iſt die Sache Oeſterreichs jetzt die Sache von ganz Europa“, ſchrieb Bernſtorff ſchon am 12. Auguſt, und Niebuhr ward ſofort angewieſen, mit dem öſterreichiſchen Geſandten in Rom ſich zu verſtändigen. Alles ſollte vermieden werden was den rächenden Arm der Hofburg in Italien irgend aufhalten konnte.*) Freilich ward dieſe Haltung Preußens nicht blos durch die Freundſchaft beſtimmt, ſondern auch durch eine nüchterne realpolitiſche Erwägung, welche dem Wiener Hofe noch monatelang verborgen blieb. Der König wollte ſeinen er- ſchöpften Staat unter keinen Umſtänden mit neuen Verpflichtungen be- laſten; keinen Mann und keinen Thaler dachte er für dieſe ſüdländiſchen Wirren zu opfern. Behielt Oeſterreich in Italien volle Freiheit, ſo blieb Preußen am ſicherſten aus dem Spiele. Auch die engliſche Regierung hätte für jetzt gern jede förmliche Verabredung zwiſchen den großen Mächten ver- hindert; denn lebhafter als Lord Caſtlereagh konnte ſelbſt Metternich die Bändigung der Revolution nicht wünſchen, und da eine europäiſche Inter- vention ſich vor dem ſchwierigen Parlamente nicht verantworten ließ, ſo dachte das Tory-Cabinet die Züchtigung der Carbonari wo möglich der Hofburg allein zu überlaſſen. Daß Oeſterreichs Machtſtellung auf der Halbinſel ſich dadurch von Neuem befeſtigen mußte, war dem alten Bun- desgenoſſen des Hauſes Lothringen nur willkommen.
Um ſo bedenklicher erſchien dieſe Gefahr dem Tuilerienhofe. Auch Richelieu verabſcheute die Revolution, die ſich ja gegen die Vettern des Allerchriſtlichſten Königs richtete, jedoch das Uebergewicht Oeſterreichs im Süden durfte kein franzöſiſcher Miniſter noch verſtärken helfen, und wer ſtand dafür, daß nicht England die italieniſchen Wirren benutzen würde um ſich abermals auf Sicilien einzuniſten? Daher beantragte Richelieu ſchon in den erſten Tagen des Auguſt bei der Hofburg die Einberufung einer europäiſchen Reunion nach dem Muſter des Aachener Congreſſes.**) In einem Rundſchreiben an die großen Mächte lehnte Oeſterreich den Vorſchlag ab, weil er nur Zeitverluſt bewirken und den engliſchen Hof abſchrecken würde (28. Auguſt). Das Petersburger Cabinet dagegen er- griff den Gedanken Richelieu’s mit Feuereifer. Der Czar lebte und webte noch in dem Traume ſeines großen chriſtlichen Bundes. Er hoffte: wenn das hohe Tribunal Europas zuſammenträte, dann könnte vielleicht die Revolution auf beiden Halbinſeln überwunden, aber auch Oeſterreichs Eigenmacht gezügelt und in Neapel wie in Madrid unter der Aufſicht der großen Mächte ein gemäßigtes Regiment begründet werden. Ganz hatte Alexander die liberalen Ideale frührer Jahre noch nicht überwunden; ſeine weiche Natur ſträubte ſich wieder die Einſicht, daß der Radikalismus
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III. 3. Troppau und Laibach.
der von vornherein die italieniſche Frage durch die Wiener Gläſer be-
trachtete. „Mehr denn jemals iſt die Sache Oeſterreichs jetzt die Sache
von ganz Europa“, ſchrieb Bernſtorff ſchon am 12. Auguſt, und Niebuhr
ward ſofort angewieſen, mit dem öſterreichiſchen Geſandten in Rom ſich
zu verſtändigen. Alles ſollte vermieden werden was den rächenden Arm
der Hofburg in Italien irgend aufhalten konnte. *) Freilich ward dieſe
Haltung Preußens nicht blos durch die Freundſchaft beſtimmt, ſondern
auch durch eine nüchterne realpolitiſche Erwägung, welche dem Wiener
Hofe noch monatelang verborgen blieb. Der König wollte ſeinen er-
ſchöpften Staat unter keinen Umſtänden mit neuen Verpflichtungen be-
laſten; keinen Mann und keinen Thaler dachte er für dieſe ſüdländiſchen
Wirren zu opfern. Behielt Oeſterreich in Italien volle Freiheit, ſo blieb
Preußen am ſicherſten aus dem Spiele. Auch die engliſche Regierung hätte
für jetzt gern jede förmliche Verabredung zwiſchen den großen Mächten ver-
hindert; denn lebhafter als Lord Caſtlereagh konnte ſelbſt Metternich die
Bändigung der Revolution nicht wünſchen, und da eine europäiſche Inter-
vention ſich vor dem ſchwierigen Parlamente nicht verantworten ließ, ſo
dachte das Tory-Cabinet die Züchtigung der Carbonari wo möglich der
Hofburg allein zu überlaſſen. Daß Oeſterreichs Machtſtellung auf der
Halbinſel ſich dadurch von Neuem befeſtigen mußte, war dem alten Bun-
desgenoſſen des Hauſes Lothringen nur willkommen.
Um ſo bedenklicher erſchien dieſe Gefahr dem Tuilerienhofe. Auch
Richelieu verabſcheute die Revolution, die ſich ja gegen die Vettern des
Allerchriſtlichſten Königs richtete, jedoch das Uebergewicht Oeſterreichs im
Süden durfte kein franzöſiſcher Miniſter noch verſtärken helfen, und wer
ſtand dafür, daß nicht England die italieniſchen Wirren benutzen würde
um ſich abermals auf Sicilien einzuniſten? Daher beantragte Richelieu
ſchon in den erſten Tagen des Auguſt bei der Hofburg die Einberufung
einer europäiſchen Reunion nach dem Muſter des Aachener Congreſſes. **)
In einem Rundſchreiben an die großen Mächte lehnte Oeſterreich den
Vorſchlag ab, weil er nur Zeitverluſt bewirken und den engliſchen Hof
abſchrecken würde (28. Auguſt). Das Petersburger Cabinet dagegen er-
griff den Gedanken Richelieu’s mit Feuereifer. Der Czar lebte und webte
noch in dem Traume ſeines großen chriſtlichen Bundes. Er hoffte: wenn
das hohe Tribunal Europas zuſammenträte, dann könnte vielleicht die
Revolution auf beiden Halbinſeln überwunden, aber auch Oeſterreichs
Eigenmacht gezügelt und in Neapel wie in Madrid unter der Aufſicht
der großen Mächte ein gemäßigtes Regiment begründet werden. Ganz
hatte Alexander die liberalen Ideale frührer Jahre noch nicht überwunden;
ſeine weiche Natur ſträubte ſich wieder die Einſicht, daß der Radikalismus
*) Miniſterialſchreiben an Kruſemark, 12., 19., 30. Aug., 9. Sept. 1820.
**) Kruſemark’s Bericht, Wien 5. Aug. 1820.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/174>, abgerufen am 15.06.2024.
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