richtet, energisch, blieb er fortan durch viele Jahre eine Säule der hoch- conservativen Partei in Süddeutschland. Otterstedt, der sich seines be- sonderen Vertrauens erfreute, urtheilte über ihn: "er lebt nur in und mit dem monarchischen Princip, das er wie ein wahrer Chevalier zu ver- theidigen versteht." Die Stimmung des Prinzen verdüsterte sich noch mehr, da eben in diesen Tagen auch die alte feste Mannszucht des kleinen Heeres, dem er mit Leib und Seele angehörte, zu wanken schien. Leut- nant Schulz, jener Genosse der Unbedingten, der das revolutionäre Frag- und Antwortsbüchlein unter die Bauern geworfen hatte, wurde vom Kriegs- gerichte freigesprochen. Ein so ungerechter Wahrspruch -- Grolmann selbst konnte das nicht in Abrede stellen -- wäre vor einem Jahre noch un- möglich gewesen; es ließ sich nicht verkennen, daß die aufregenden Nach- richten von den spanischen und italienischen Soldatenmeutereien das mi- litärische Pflichtgefühl der Offiziere des Kriegsgerichts verwirrt hatten.*)
Auch du Thil, der an dem entscheidenden Beschlusse des Ministe- riums keinen Antheil genommen, sprach sich sehr besorgt aus. Er gab wohl zu, daß der Bestand einer Verfassung beruhigend wirken könne: denn wie die Welt vor dreihundert Jahren für und wider die Trans- substantiation kämpfte, so "ist Constitutionssucht heute die Modekrank- heit". Dennoch hielt er es für "eine unbegreifliche Unbesonnenheit, das furchtbare Beispiel zu geben, daß die Volksvertretung mit der Regierung über die Verfassung unterhandelt."**) Otterstedt vollends, der ewig Auf- geregte, redete in seinen Berichten, als ob die Jakobiner obenauf wären; er beschwor seine Regierung, in einem Ministerialschreiben ihre förmliche Mißbilligung auszusprechen: auf keinen Fall dürfe Grolmann, nach solchen Beweisen der Unzuverlässigkeit, das Ministerium des Auswärtigen be- halten.
Der alte Großherzog selber begann bereits wieder zu schwanken und versprach seinem Sohne Emil im tiefsten Vertrauen, daß Grolmann das auswärtige Amt an du Thil abtreten solle, sobald die großen Mächte es verlangten.***) Die Diplomaten der Nachbarschaft blickten voll Angst auf "das Theater der Intrigue", das sich in Darmstadt aufgethan; Goltz in Frankfurt hielt für ausgemacht, daß der Unheilsmann Wangenheim auch hier wieder die Hand im Spiele gehabt, und Marschall schalt: so lasse "ein schwacher Regent und ein unerfahrener unbeholfener Minister die Zügel aus der Hand" gleiten.+) Der preußische Hof aber bewahrte auch diesmal, wie noch bei allen Verfassungskämpfen des Südens, eine wohl- wollende Zurückhaltung. Der vielgeschäftige Gesandte erhielt die strenge
***) Otterstedt's Berichte, 18., 23., 29. Okt. Prinz Emil v. Hessen an Otterstedt, 29. Okt. 1820.
+) Goltz an Hardenberg, 21. Nov.; Marschall an Berstett, 16. Okt. 1820.
III. 1. Die Wiener Conferenzen.
richtet, energiſch, blieb er fortan durch viele Jahre eine Säule der hoch- conſervativen Partei in Süddeutſchland. Otterſtedt, der ſich ſeines be- ſonderen Vertrauens erfreute, urtheilte über ihn: „er lebt nur in und mit dem monarchiſchen Princip, das er wie ein wahrer Chevalier zu ver- theidigen verſteht.“ Die Stimmung des Prinzen verdüſterte ſich noch mehr, da eben in dieſen Tagen auch die alte feſte Mannszucht des kleinen Heeres, dem er mit Leib und Seele angehörte, zu wanken ſchien. Leut- nant Schulz, jener Genoſſe der Unbedingten, der das revolutionäre Frag- und Antwortsbüchlein unter die Bauern geworfen hatte, wurde vom Kriegs- gerichte freigeſprochen. Ein ſo ungerechter Wahrſpruch — Grolmann ſelbſt konnte das nicht in Abrede ſtellen — wäre vor einem Jahre noch un- möglich geweſen; es ließ ſich nicht verkennen, daß die aufregenden Nach- richten von den ſpaniſchen und italieniſchen Soldatenmeutereien das mi- litäriſche Pflichtgefühl der Offiziere des Kriegsgerichts verwirrt hatten.*)
Auch du Thil, der an dem entſcheidenden Beſchluſſe des Miniſte- riums keinen Antheil genommen, ſprach ſich ſehr beſorgt aus. Er gab wohl zu, daß der Beſtand einer Verfaſſung beruhigend wirken könne: denn wie die Welt vor dreihundert Jahren für und wider die Trans- ſubſtantiation kämpfte, ſo „iſt Conſtitutionsſucht heute die Modekrank- heit“. Dennoch hielt er es für „eine unbegreifliche Unbeſonnenheit, das furchtbare Beiſpiel zu geben, daß die Volksvertretung mit der Regierung über die Verfaſſung unterhandelt.“**) Otterſtedt vollends, der ewig Auf- geregte, redete in ſeinen Berichten, als ob die Jakobiner obenauf wären; er beſchwor ſeine Regierung, in einem Miniſterialſchreiben ihre förmliche Mißbilligung auszuſprechen: auf keinen Fall dürfe Grolmann, nach ſolchen Beweiſen der Unzuverläſſigkeit, das Miniſterium des Auswärtigen be- halten.
Der alte Großherzog ſelber begann bereits wieder zu ſchwanken und verſprach ſeinem Sohne Emil im tiefſten Vertrauen, daß Grolmann das auswärtige Amt an du Thil abtreten ſolle, ſobald die großen Mächte es verlangten.***) Die Diplomaten der Nachbarſchaft blickten voll Angſt auf „das Theater der Intrigue“, das ſich in Darmſtadt aufgethan; Goltz in Frankfurt hielt für ausgemacht, daß der Unheilsmann Wangenheim auch hier wieder die Hand im Spiele gehabt, und Marſchall ſchalt: ſo laſſe „ein ſchwacher Regent und ein unerfahrener unbeholfener Miniſter die Zügel aus der Hand“ gleiten.†) Der preußiſche Hof aber bewahrte auch diesmal, wie noch bei allen Verfaſſungskämpfen des Südens, eine wohl- wollende Zurückhaltung. Der vielgeſchäftige Geſandte erhielt die ſtrenge
***) Otterſtedt’s Berichte, 18., 23., 29. Okt. Prinz Emil v. Heſſen an Otterſtedt, 29. Okt. 1820.
†) Goltz an Hardenberg, 21. Nov.; Marſchall an Berſtett, 16. Okt. 1820.
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conſervativen Partei in Süddeutſchland. Otterſtedt, der ſich ſeines be-
ſonderen Vertrauens erfreute, urtheilte über ihn: „er lebt nur in und
mit dem monarchiſchen Princip, das er wie ein wahrer Chevalier zu ver-
theidigen verſteht.“ Die Stimmung des Prinzen verdüſterte ſich noch
mehr, da eben in dieſen Tagen auch die alte feſte Mannszucht des kleinen
Heeres, dem er mit Leib und Seele angehörte, zu wanken ſchien. Leut-
nant Schulz, jener Genoſſe der Unbedingten, der das revolutionäre Frag-
und Antwortsbüchlein unter die Bauern geworfen hatte, wurde vom Kriegs-
gerichte freigeſprochen. Ein ſo ungerechter Wahrſpruch — Grolmann ſelbſt
konnte das nicht in Abrede ſtellen — wäre vor einem Jahre noch un-
möglich geweſen; es ließ ſich nicht verkennen, daß die aufregenden Nach-
richten von den ſpaniſchen und italieniſchen Soldatenmeutereien das mi-
litäriſche Pflichtgefühl der Offiziere des Kriegsgerichts verwirrt hatten. *)
Auch du Thil, der an dem entſcheidenden Beſchluſſe des Miniſte-
riums keinen Antheil genommen, ſprach ſich ſehr beſorgt aus. Er gab
wohl zu, daß der Beſtand einer Verfaſſung beruhigend wirken könne:
denn wie die Welt vor dreihundert Jahren für und wider die Trans-
ſubſtantiation kämpfte, ſo „iſt Conſtitutionsſucht heute die Modekrank-
heit“. Dennoch hielt er es für „eine unbegreifliche Unbeſonnenheit, das
furchtbare Beiſpiel zu geben, daß die Volksvertretung mit der Regierung
über die Verfaſſung unterhandelt.“ **) Otterſtedt vollends, der ewig Auf-
geregte, redete in ſeinen Berichten, als ob die Jakobiner obenauf wären;
er beſchwor ſeine Regierung, in einem Miniſterialſchreiben ihre förmliche
Mißbilligung auszuſprechen: auf keinen Fall dürfe Grolmann, nach ſolchen
Beweiſen der Unzuverläſſigkeit, das Miniſterium des Auswärtigen be-
halten.
Der alte Großherzog ſelber begann bereits wieder zu ſchwanken und
verſprach ſeinem Sohne Emil im tiefſten Vertrauen, daß Grolmann das
auswärtige Amt an du Thil abtreten ſolle, ſobald die großen Mächte es
verlangten. ***) Die Diplomaten der Nachbarſchaft blickten voll Angſt auf
„das Theater der Intrigue“, das ſich in Darmſtadt aufgethan; Goltz in
Frankfurt hielt für ausgemacht, daß der Unheilsmann Wangenheim auch
hier wieder die Hand im Spiele gehabt, und Marſchall ſchalt: ſo laſſe
„ein ſchwacher Regent und ein unerfahrener unbeholfener Miniſter die
Zügel aus der Hand“ gleiten. †) Der preußiſche Hof aber bewahrte auch
diesmal, wie noch bei allen Verfaſſungskämpfen des Südens, eine wohl-
wollende Zurückhaltung. Der vielgeſchäftige Geſandte erhielt die ſtrenge
*) Otterſtedt’s Bericht, 23. Okt.; Grolmann an Otterſtedt, 19. Okt. 1820.
**) Du Thil an Otterſtedt, 23. Okt. 1820.
***) Otterſtedt’s Berichte, 18., 23., 29. Okt. Prinz Emil v. Heſſen an Otterſtedt,
29. Okt. 1820.
†) Goltz an Hardenberg, 21. Nov.; Marſchall an Berſtett, 16. Okt. 1820.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/80>, abgerufen am 15.06.2024.
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