Plettenberg, über die neuen Steuern und verlangten "Fixation der Steuern für die Grafschaft Mark, um dadurch den unseligen Immoralitäten, dem Untergange so vieler Familien und des Bodenbaues, ja dem Verfall der ganzen Provinz vorzubeugen". Den Einwand, daß die Fixation der Branntweinsteuer ohne Absperrung der Provinz sich nicht durchführen lasse, beseitigten sie mit der einfachen Versicherung, bei den hohen Ge- treidepreisen der Grafschaft sei Branntweinausfuhr dort "nie gedenkbar". Der König erwiderte, er könne nicht eingehen auf "den Antrag, den Sie in Gemeinschaft mit einigen andern Gutsbesitzern und Städtebewohnern der Grafschaft Mark an Mich haben gelangen lassen", und ermahnte, "die Opfer darzubringen, welche die Nothwendigkeit und das Wohl des gemeinsamen Vaterlandes erfordern". Darauf eine neue Eingabe: "schmerz- haft war es, hier zum ersten Male unsere Eigenschaft als Stände beseitigt zu sehen." Der Staatskanzler blieb unerschütterlich und stellte endlich, wie früher erzählt, am 10. Mai den allgemeinen Grundsatz auf: der Staat er- kenne die von der Fremdherrschaft aufgehobenen Stände nicht mehr an.*)
So schien denn der altständischen Bewegung wieder der feste Wille der Majestät des Staats entgegenzutreten. Auch das unselige Mißtrauen, das Metternich's und Wittgenstein's Einflüsterungen in der Seele des Monarchen erweckt, verschwand zu Zeiten. Als die Berliner Stadtver- ordneten einen großen Verein zu bilden dachten, der durch freiwillige Bei- träge die Staatsschuld abtragen sollte, lehnte der König (2. März) das naive Anerbieten als unnöthig ab und dankte gerührt: "ich weiß, daß ich auf die standhafte Ergebenheit meiner treuen Unterthanen, wie sie solche in der jüngst verflossenen Zeit zum unsterblichen Ruhme des preußischen Namens gegen mich und das Vaterland bewiesen haben, mit Vertrauen und Zuversicht zählen kann." Die hellen herzbewegenden Klänge aus dem Jahre 1813 tönten wieder in die verstimmte und verbitterte Zeit hinein. --
An dem nämlichen Tage, da die Staatsschuld geschlossen wurde, erhielt die ganz verfallene fridericianische Seehandlung eine neue Ver- fassung. Sie sollte fortan als ein unabhängiges Bankhaus, unter Ge- währleistung der Krone, die Geldgeschäfte des Staates besorgen und ihn bei seinen Credit-Operationen unterstützen. Da Rother an ihre Spitze gestellt wurde, so leistete sie, mit der Staatsschuldenverwaltung zusammen- wirkend, ersprießliche Dienste bei der Aufnahme der ausländischen An- leihen. Die überseeischen Handelsgeschäfte, welche sie bald nachher wieder begann, erwiesen sich ebenfalls als vortheilhaft, so lange die Rheder und Kaufleute ihren Unternehmungsgeist noch nicht wiedergefunden hatten. Ihre Schiffe waren die ersten, welche die preußische Flagge um die Erde
*) Eingaben der Stände der Grafschaft Mark, 31. Jan., 30. April; Antwort des Königs, 27. Febr. 1820.
Die Seehandlung.
Plettenberg, über die neuen Steuern und verlangten „Fixation der Steuern für die Grafſchaft Mark, um dadurch den unſeligen Immoralitäten, dem Untergange ſo vieler Familien und des Bodenbaues, ja dem Verfall der ganzen Provinz vorzubeugen“. Den Einwand, daß die Fixation der Branntweinſteuer ohne Abſperrung der Provinz ſich nicht durchführen laſſe, beſeitigten ſie mit der einfachen Verſicherung, bei den hohen Ge- treidepreiſen der Grafſchaft ſei Branntweinausfuhr dort „nie gedenkbar“. Der König erwiderte, er könne nicht eingehen auf „den Antrag, den Sie in Gemeinſchaft mit einigen andern Gutsbeſitzern und Städtebewohnern der Grafſchaft Mark an Mich haben gelangen laſſen“, und ermahnte, „die Opfer darzubringen, welche die Nothwendigkeit und das Wohl des gemeinſamen Vaterlandes erfordern“. Darauf eine neue Eingabe: „ſchmerz- haft war es, hier zum erſten Male unſere Eigenſchaft als Stände beſeitigt zu ſehen.“ Der Staatskanzler blieb unerſchütterlich und ſtellte endlich, wie früher erzählt, am 10. Mai den allgemeinen Grundſatz auf: der Staat er- kenne die von der Fremdherrſchaft aufgehobenen Stände nicht mehr an.*)
So ſchien denn der altſtändiſchen Bewegung wieder der feſte Wille der Majeſtät des Staats entgegenzutreten. Auch das unſelige Mißtrauen, das Metternich’s und Wittgenſtein’s Einflüſterungen in der Seele des Monarchen erweckt, verſchwand zu Zeiten. Als die Berliner Stadtver- ordneten einen großen Verein zu bilden dachten, der durch freiwillige Bei- träge die Staatsſchuld abtragen ſollte, lehnte der König (2. März) das naive Anerbieten als unnöthig ab und dankte gerührt: „ich weiß, daß ich auf die ſtandhafte Ergebenheit meiner treuen Unterthanen, wie ſie ſolche in der jüngſt verfloſſenen Zeit zum unſterblichen Ruhme des preußiſchen Namens gegen mich und das Vaterland bewieſen haben, mit Vertrauen und Zuverſicht zählen kann.“ Die hellen herzbewegenden Klänge aus dem Jahre 1813 tönten wieder in die verſtimmte und verbitterte Zeit hinein. —
An dem nämlichen Tage, da die Staatsſchuld geſchloſſen wurde, erhielt die ganz verfallene fridericianiſche Seehandlung eine neue Ver- faſſung. Sie ſollte fortan als ein unabhängiges Bankhaus, unter Ge- währleiſtung der Krone, die Geldgeſchäfte des Staates beſorgen und ihn bei ſeinen Credit-Operationen unterſtützen. Da Rother an ihre Spitze geſtellt wurde, ſo leiſtete ſie, mit der Staatsſchuldenverwaltung zuſammen- wirkend, erſprießliche Dienſte bei der Aufnahme der ausländiſchen An- leihen. Die überſeeiſchen Handelsgeſchäfte, welche ſie bald nachher wieder begann, erwieſen ſich ebenfalls als vortheilhaft, ſo lange die Rheder und Kaufleute ihren Unternehmungsgeiſt noch nicht wiedergefunden hatten. Ihre Schiffe waren die erſten, welche die preußiſche Flagge um die Erde
*) Eingaben der Stände der Grafſchaft Mark, 31. Jan., 30. April; Antwort des Königs, 27. Febr. 1820.
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Die Seehandlung.
Plettenberg, über die neuen Steuern und verlangten „Fixation der Steuern
für die Grafſchaft Mark, um dadurch den unſeligen Immoralitäten, dem
Untergange ſo vieler Familien und des Bodenbaues, ja dem Verfall der
ganzen Provinz vorzubeugen“. Den Einwand, daß die Fixation der
Branntweinſteuer ohne Abſperrung der Provinz ſich nicht durchführen
laſſe, beſeitigten ſie mit der einfachen Verſicherung, bei den hohen Ge-
treidepreiſen der Grafſchaft ſei Branntweinausfuhr dort „nie gedenkbar“.
Der König erwiderte, er könne nicht eingehen auf „den Antrag, den Sie
in Gemeinſchaft mit einigen andern Gutsbeſitzern und Städtebewohnern
der Grafſchaft Mark an Mich haben gelangen laſſen“, und ermahnte,
„die Opfer darzubringen, welche die Nothwendigkeit und das Wohl des
gemeinſamen Vaterlandes erfordern“. Darauf eine neue Eingabe: „ſchmerz-
haft war es, hier zum erſten Male unſere Eigenſchaft als Stände beſeitigt
zu ſehen.“ Der Staatskanzler blieb unerſchütterlich und ſtellte endlich, wie
früher erzählt, am 10. Mai den allgemeinen Grundſatz auf: der Staat er-
kenne die von der Fremdherrſchaft aufgehobenen Stände nicht mehr an. *)
So ſchien denn der altſtändiſchen Bewegung wieder der feſte Wille
der Majeſtät des Staats entgegenzutreten. Auch das unſelige Mißtrauen,
das Metternich’s und Wittgenſtein’s Einflüſterungen in der Seele des
Monarchen erweckt, verſchwand zu Zeiten. Als die Berliner Stadtver-
ordneten einen großen Verein zu bilden dachten, der durch freiwillige Bei-
träge die Staatsſchuld abtragen ſollte, lehnte der König (2. März) das
naive Anerbieten als unnöthig ab und dankte gerührt: „ich weiß, daß ich
auf die ſtandhafte Ergebenheit meiner treuen Unterthanen, wie ſie ſolche
in der jüngſt verfloſſenen Zeit zum unſterblichen Ruhme des preußiſchen
Namens gegen mich und das Vaterland bewieſen haben, mit Vertrauen
und Zuverſicht zählen kann.“ Die hellen herzbewegenden Klänge aus
dem Jahre 1813 tönten wieder in die verſtimmte und verbitterte Zeit
hinein. —
An dem nämlichen Tage, da die Staatsſchuld geſchloſſen wurde,
erhielt die ganz verfallene fridericianiſche Seehandlung eine neue Ver-
faſſung. Sie ſollte fortan als ein unabhängiges Bankhaus, unter Ge-
währleiſtung der Krone, die Geldgeſchäfte des Staates beſorgen und ihn
bei ſeinen Credit-Operationen unterſtützen. Da Rother an ihre Spitze
geſtellt wurde, ſo leiſtete ſie, mit der Staatsſchuldenverwaltung zuſammen-
wirkend, erſprießliche Dienſte bei der Aufnahme der ausländiſchen An-
leihen. Die überſeeiſchen Handelsgeſchäfte, welche ſie bald nachher wieder
begann, erwieſen ſich ebenfalls als vortheilhaft, ſo lange die Rheder und
Kaufleute ihren Unternehmungsgeiſt noch nicht wiedergefunden hatten.
Ihre Schiffe waren die erſten, welche die preußiſche Flagge um die Erde
*) Eingaben der Stände der Grafſchaft Mark, 31. Jan., 30. April; Antwort des
Königs, 27. Febr. 1820.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/95>, abgerufen am 14.06.2024.
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