IV. 2. Die constitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
Und zwischen allen diesen Winkelzügen immer wieder die biedere Ver- sicherung: ich sage meine Ansicht immer frei und offen, ich denke immer nur an die Sache, nicht an die Person! Selbst der unterthänige Lichten- berg wagte am Schlusse seines ersten Berichts nur zu bemerken, daß der Eindruck der Unterredung auf den Herzog "wenigstens kein durchaus ungünstiger zu sein schien".*) Den Ministern aber konnte nach Allem was geschehen nicht mehr zweifelhaft bleiben, daß der Thronfolger die Verfassung umstoßen wollte und daß er in seinem frechen Hochmuth sich einbildete, er brauche nur dem bestehenden Rechte die Anerkennung zu versagen, dann sei es auch schon vernichtet. Gleichwohl thaten sie nichts mehr um der drohenden Gefahr vorzubeugen. Sie wußten wohl, daß staatsrechtliche Belehrungen bei dem harten Eigensinn dieses Welfen nichts auszurichten vermochten; doch schmeichelten sie sich mit der Hoffnung, der von Gläubigern verfolgte Herzog werde einen Staatsstreich nicht wagen können; schlimmsten Falls rechneten sie auf den Schutz des Bundestags für die neue, unzweifelhaft "in anerkannter Wirksamkeit stehende" Ver- fassung.
Bei der Berathung des Hausgesetzes, das sich an die Verfassung anschließen sollte, verfuhr der Herzog ebenso hinterhaltig. Allem Anschein nach hat er auch hier zuerst in unverbindlicher Form sein Einverständniß kundgegeben, um sich nachher die endgiltige Erklärung für die Zukunft vor- zubehalten. Dahlmann, der den Entwurf des Hausgesetzes ausarbeitete, erhielt im April 1834 vom Minister Stralenheim die amtliche Mittheilung, daß "die Zustimmung der volljährigen königlichen Prinzen erfolgt sei," -- eine Versicherung die unmöglich ganz grundlos sein konnte. Im December 1835 aber schrieb Ernst August an Cabinetsrath Falcke, er könne als ehrlicher Mann das Hausgesetz für jetzt noch nicht unterzeichnen, weil es so fest mit dem Staatsgrundgesetz zusammenhänge. Eine frei- müthige Rechtsverwahrung wagte er auch jetzt nicht einzulegen, er sagte nur, auf die Zukunft vertröstend: "Ich muß viel mehr Hilfe und Rath haben, bevor ich mir erlauben kann einen so ernsten Schritt zu thun." Demungeachtet wurde das Hausgesetz am 19. Nov. 1836, nachdem der Landtag zugestimmt, als ein für Jedermann, auch für die königlichen Prinzen verbindliches Gesetz kundgemacht. Cumberland aber zeigte mit wachsender Dreistigkeit, daß die neue Verfassung für ihn nicht vorhanden sei. In der Zeitschrift seiner Getreuen, dem Berliner Politischen Wochenblatt, wurde das Staatsgrundgesetz wie eine jacobinische Tollheit bekämpft. Seinen Sitz in der Kammer nahm der Herzog niemals ein, und als er einmal zur Zeit einer Landtagseröffnung in Hannover weilte, verließ er die Stadt in dem- selben Augenblicke da die Stände zusammentraten, um in Derneburg den grollenden Münster zu besuchen.
*) Lichtenberg's Berichte an das Ministerium, 28. Febr. 27. März 1834.
IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
Und zwiſchen allen dieſen Winkelzügen immer wieder die biedere Ver- ſicherung: ich ſage meine Anſicht immer frei und offen, ich denke immer nur an die Sache, nicht an die Perſon! Selbſt der unterthänige Lichten- berg wagte am Schluſſe ſeines erſten Berichts nur zu bemerken, daß der Eindruck der Unterredung auf den Herzog „wenigſtens kein durchaus ungünſtiger zu ſein ſchien“.*) Den Miniſtern aber konnte nach Allem was geſchehen nicht mehr zweifelhaft bleiben, daß der Thronfolger die Verfaſſung umſtoßen wollte und daß er in ſeinem frechen Hochmuth ſich einbildete, er brauche nur dem beſtehenden Rechte die Anerkennung zu verſagen, dann ſei es auch ſchon vernichtet. Gleichwohl thaten ſie nichts mehr um der drohenden Gefahr vorzubeugen. Sie wußten wohl, daß ſtaatsrechtliche Belehrungen bei dem harten Eigenſinn dieſes Welfen nichts auszurichten vermochten; doch ſchmeichelten ſie ſich mit der Hoffnung, der von Gläubigern verfolgte Herzog werde einen Staatsſtreich nicht wagen können; ſchlimmſten Falls rechneten ſie auf den Schutz des Bundestags für die neue, unzweifelhaft „in anerkannter Wirkſamkeit ſtehende“ Ver- faſſung.
Bei der Berathung des Hausgeſetzes, das ſich an die Verfaſſung anſchließen ſollte, verfuhr der Herzog ebenſo hinterhaltig. Allem Anſchein nach hat er auch hier zuerſt in unverbindlicher Form ſein Einverſtändniß kundgegeben, um ſich nachher die endgiltige Erklärung für die Zukunft vor- zubehalten. Dahlmann, der den Entwurf des Hausgeſetzes ausarbeitete, erhielt im April 1834 vom Miniſter Stralenheim die amtliche Mittheilung, daß „die Zuſtimmung der volljährigen königlichen Prinzen erfolgt ſei,“ — eine Verſicherung die unmöglich ganz grundlos ſein konnte. Im December 1835 aber ſchrieb Ernſt Auguſt an Cabinetsrath Falcke, er könne als ehrlicher Mann das Hausgeſetz für jetzt noch nicht unterzeichnen, weil es ſo feſt mit dem Staatsgrundgeſetz zuſammenhänge. Eine frei- müthige Rechtsverwahrung wagte er auch jetzt nicht einzulegen, er ſagte nur, auf die Zukunft vertröſtend: „Ich muß viel mehr Hilfe und Rath haben, bevor ich mir erlauben kann einen ſo ernſten Schritt zu thun.“ Demungeachtet wurde das Hausgeſetz am 19. Nov. 1836, nachdem der Landtag zugeſtimmt, als ein für Jedermann, auch für die königlichen Prinzen verbindliches Geſetz kundgemacht. Cumberland aber zeigte mit wachſender Dreiſtigkeit, daß die neue Verfaſſung für ihn nicht vorhanden ſei. In der Zeitſchrift ſeiner Getreuen, dem Berliner Politiſchen Wochenblatt, wurde das Staatsgrundgeſetz wie eine jacobiniſche Tollheit bekämpft. Seinen Sitz in der Kammer nahm der Herzog niemals ein, und als er einmal zur Zeit einer Landtagseröffnung in Hannover weilte, verließ er die Stadt in dem- ſelben Augenblicke da die Stände zuſammentraten, um in Derneburg den grollenden Münſter zu beſuchen.
*) Lichtenberg’s Berichte an das Miniſterium, 28. Febr. 27. März 1834.
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IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
Und zwiſchen allen dieſen Winkelzügen immer wieder die biedere Ver-
ſicherung: ich ſage meine Anſicht immer frei und offen, ich denke immer
nur an die Sache, nicht an die Perſon! Selbſt der unterthänige Lichten-
berg wagte am Schluſſe ſeines erſten Berichts nur zu bemerken, daß der
Eindruck der Unterredung auf den Herzog „wenigſtens kein durchaus
ungünſtiger zu ſein ſchien“. *) Den Miniſtern aber konnte nach Allem
was geſchehen nicht mehr zweifelhaft bleiben, daß der Thronfolger die
Verfaſſung umſtoßen wollte und daß er in ſeinem frechen Hochmuth ſich
einbildete, er brauche nur dem beſtehenden Rechte die Anerkennung zu
verſagen, dann ſei es auch ſchon vernichtet. Gleichwohl thaten ſie nichts
mehr um der drohenden Gefahr vorzubeugen. Sie wußten wohl, daß
ſtaatsrechtliche Belehrungen bei dem harten Eigenſinn dieſes Welfen nichts
auszurichten vermochten; doch ſchmeichelten ſie ſich mit der Hoffnung,
der von Gläubigern verfolgte Herzog werde einen Staatsſtreich nicht wagen
können; ſchlimmſten Falls rechneten ſie auf den Schutz des Bundestags
für die neue, unzweifelhaft „in anerkannter Wirkſamkeit ſtehende“ Ver-
faſſung.
Bei der Berathung des Hausgeſetzes, das ſich an die Verfaſſung
anſchließen ſollte, verfuhr der Herzog ebenſo hinterhaltig. Allem Anſchein
nach hat er auch hier zuerſt in unverbindlicher Form ſein Einverſtändniß
kundgegeben, um ſich nachher die endgiltige Erklärung für die Zukunft vor-
zubehalten. Dahlmann, der den Entwurf des Hausgeſetzes ausarbeitete,
erhielt im April 1834 vom Miniſter Stralenheim die amtliche Mittheilung,
daß „die Zuſtimmung der volljährigen königlichen Prinzen erfolgt ſei,“
— eine Verſicherung die unmöglich ganz grundlos ſein konnte. Im
December 1835 aber ſchrieb Ernſt Auguſt an Cabinetsrath Falcke, er
könne als ehrlicher Mann das Hausgeſetz für jetzt noch nicht unterzeichnen,
weil es ſo feſt mit dem Staatsgrundgeſetz zuſammenhänge. Eine frei-
müthige Rechtsverwahrung wagte er auch jetzt nicht einzulegen, er ſagte
nur, auf die Zukunft vertröſtend: „Ich muß viel mehr Hilfe und Rath
haben, bevor ich mir erlauben kann einen ſo ernſten Schritt zu thun.“
Demungeachtet wurde das Hausgeſetz am 19. Nov. 1836, nachdem der
Landtag zugeſtimmt, als ein für Jedermann, auch für die königlichen Prinzen
verbindliches Geſetz kundgemacht. Cumberland aber zeigte mit wachſender
Dreiſtigkeit, daß die neue Verfaſſung für ihn nicht vorhanden ſei. In der
Zeitſchrift ſeiner Getreuen, dem Berliner Politiſchen Wochenblatt, wurde
das Staatsgrundgeſetz wie eine jacobiniſche Tollheit bekämpft. Seinen Sitz
in der Kammer nahm der Herzog niemals ein, und als er einmal zur Zeit
einer Landtagseröffnung in Hannover weilte, verließ er die Stadt in dem-
ſelben Augenblicke da die Stände zuſammentraten, um in Derneburg den
grollenden Münſter zu beſuchen.
*) Lichtenberg’s Berichte an das Miniſterium, 28. Febr. 27. März 1834.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/182>, abgerufen am 17.06.2024.
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