müthigen Wahne, als ob sie durch ihre Verbrüderung mit den Schles- wigern den dänischen Gesammtstaat stärken, der Krone einen Dienst er- weisen könnten, und enthüllte ihnen schonungslos die Hintergedanken der Dänen, die offenbar darauf ausgingen, Schleswig zu verschlingen, die Verbindung der Herzogthümer zu zerreißen. Ebenso scharf faßte er auch die Erbfolgefrage ins Auge und zeigte, daß in Schleswigholstein allein dem Mannesstamme die Thronfolge gebühre, in Dänemark aber seit dem Königsgesetze auch dem Weiberstamme, und mithin, da das dänische Haus nur noch auf sechs Augen stand, leicht eine Trennung der beiden Staaten eintreten könne. Die formlose Schrift zeigte vielfach die Mängel überhasteter Forschung, aber auch überall die große Leidenschaft eines ge- borenen Publicisten, der mit festem Griff das Wesentliche aus der Fülle des Stoffes heraushob und dem Leser unerbittlich eine Entschließung auf- zwang; sie ward erst nach dem Tode des Verfassers durch Georg Beseler herausgegeben und hat dann als ein theueres Vermächtniß auf die nationalen Kämpfe der vierziger Jahre noch stark eingewirkt. Lornsen schrieb daran unter unsäglichen Qualen, in der Sonnengluth Brasiliens, wo er nach überstandener Haft vergeblich Heilung für seine Krankheit suchte; die aufopfernde Freundschaft des treuen Hegewisch vermochte den Unseligen nicht mehr aufzurichten. Nach Europa zurückgekehrt gab er sich in den Wellen des Genfer See's selbst den Tod (1838), der Edelsten einer aus der langen Reihe der Kämpfer und Dulder, welche dem Tage der deutschen Einheit vorangingen.
Die Schleswigholsteiner brauchten noch eine gute Weile bis sie die feindseligen Anschläge des Dänenthums ebenso klar wie Lornsen erkannten. Wie hätte sich auch in diesem behaglichen Sonderleben das Verständniß für nationale Machtfragen rasch entwickeln können? Selbst Hegewisch, der über den Gesichtskreis seiner Holsten weit hinaussah, meinte damals noch gemüthlich: einer Kriegsflotte bedürfen die Herzogthümer nicht; "Ham- burger Schiffe befahren alle Meere ganz ohne bewaffnete Seemacht." Als die neuen Landtage zuerst angekündigt wurden, ließ Falck die Schriften zweier Kopenhagener Liberalen, des Professors David und des ehrgeizigen jungen Capitäns Tscherning, über die preußischen Provinzialstände über- setzen und sprach im Vorworte ganz wie ein guter Landsmann der beiden Dänen. Noch vier Jahre später wurde David, als er nach einem glück- lich überstandenen Preßprozesse durch Kiel kam, von den Studenten als ein Held der Freiheit gefeiert, obgleich seine Zeitung Faedrelandet das Deutschthum Schleswigs offen bekämpfte. Die ersten Verhandlungen der beiden Landtage verliefen noch ziemlich still. Die Stände bekundeten zwar mehrfach jenen Drang nach Erweiterung der eigenen Rechte, der sich in berathenden Parlamenten, wenn sie nicht ganz in Schlummer versinken, unausbleiblich einstellt; sie verlangten eine beschränkte Oeffent- lichkeit für ihre Berathungen und genauere Rechenschaft über den Staats-
Beginn des nationalen Kampfes.
müthigen Wahne, als ob ſie durch ihre Verbrüderung mit den Schles- wigern den däniſchen Geſammtſtaat ſtärken, der Krone einen Dienſt er- weiſen könnten, und enthüllte ihnen ſchonungslos die Hintergedanken der Dänen, die offenbar darauf ausgingen, Schleswig zu verſchlingen, die Verbindung der Herzogthümer zu zerreißen. Ebenſo ſcharf faßte er auch die Erbfolgefrage ins Auge und zeigte, daß in Schleswigholſtein allein dem Mannesſtamme die Thronfolge gebühre, in Dänemark aber ſeit dem Königsgeſetze auch dem Weiberſtamme, und mithin, da das däniſche Haus nur noch auf ſechs Augen ſtand, leicht eine Trennung der beiden Staaten eintreten könne. Die formloſe Schrift zeigte vielfach die Mängel überhaſteter Forſchung, aber auch überall die große Leidenſchaft eines ge- borenen Publiciſten, der mit feſtem Griff das Weſentliche aus der Fülle des Stoffes heraushob und dem Leſer unerbittlich eine Entſchließung auf- zwang; ſie ward erſt nach dem Tode des Verfaſſers durch Georg Beſeler herausgegeben und hat dann als ein theueres Vermächtniß auf die nationalen Kämpfe der vierziger Jahre noch ſtark eingewirkt. Lornſen ſchrieb daran unter unſäglichen Qualen, in der Sonnengluth Braſiliens, wo er nach überſtandener Haft vergeblich Heilung für ſeine Krankheit ſuchte; die aufopfernde Freundſchaft des treuen Hegewiſch vermochte den Unſeligen nicht mehr aufzurichten. Nach Europa zurückgekehrt gab er ſich in den Wellen des Genfer See’s ſelbſt den Tod (1838), der Edelſten einer aus der langen Reihe der Kämpfer und Dulder, welche dem Tage der deutſchen Einheit vorangingen.
Die Schleswigholſteiner brauchten noch eine gute Weile bis ſie die feindſeligen Anſchläge des Dänenthums ebenſo klar wie Lornſen erkannten. Wie hätte ſich auch in dieſem behaglichen Sonderleben das Verſtändniß für nationale Machtfragen raſch entwickeln können? Selbſt Hegewiſch, der über den Geſichtskreis ſeiner Holſten weit hinausſah, meinte damals noch gemüthlich: einer Kriegsflotte bedürfen die Herzogthümer nicht; „Ham- burger Schiffe befahren alle Meere ganz ohne bewaffnete Seemacht.“ Als die neuen Landtage zuerſt angekündigt wurden, ließ Falck die Schriften zweier Kopenhagener Liberalen, des Profeſſors David und des ehrgeizigen jungen Capitäns Tſcherning, über die preußiſchen Provinzialſtände über- ſetzen und ſprach im Vorworte ganz wie ein guter Landsmann der beiden Dänen. Noch vier Jahre ſpäter wurde David, als er nach einem glück- lich überſtandenen Preßprozeſſe durch Kiel kam, von den Studenten als ein Held der Freiheit gefeiert, obgleich ſeine Zeitung Faedrelandet das Deutſchthum Schleswigs offen bekämpfte. Die erſten Verhandlungen der beiden Landtage verliefen noch ziemlich ſtill. Die Stände bekundeten zwar mehrfach jenen Drang nach Erweiterung der eigenen Rechte, der ſich in berathenden Parlamenten, wenn ſie nicht ganz in Schlummer verſinken, unausbleiblich einſtellt; ſie verlangten eine beſchränkte Oeffent- lichkeit für ihre Berathungen und genauere Rechenſchaft über den Staats-
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Beginn des nationalen Kampfes.
müthigen Wahne, als ob ſie durch ihre Verbrüderung mit den Schles-
wigern den däniſchen Geſammtſtaat ſtärken, der Krone einen Dienſt er-
weiſen könnten, und enthüllte ihnen ſchonungslos die Hintergedanken der
Dänen, die offenbar darauf ausgingen, Schleswig zu verſchlingen, die
Verbindung der Herzogthümer zu zerreißen. Ebenſo ſcharf faßte er auch
die Erbfolgefrage ins Auge und zeigte, daß in Schleswigholſtein allein dem
Mannesſtamme die Thronfolge gebühre, in Dänemark aber ſeit dem
Königsgeſetze auch dem Weiberſtamme, und mithin, da das däniſche
Haus nur noch auf ſechs Augen ſtand, leicht eine Trennung der beiden
Staaten eintreten könne. Die formloſe Schrift zeigte vielfach die Mängel
überhaſteter Forſchung, aber auch überall die große Leidenſchaft eines ge-
borenen Publiciſten, der mit feſtem Griff das Weſentliche aus der Fülle
des Stoffes heraushob und dem Leſer unerbittlich eine Entſchließung auf-
zwang; ſie ward erſt nach dem Tode des Verfaſſers durch Georg Beſeler
herausgegeben und hat dann als ein theueres Vermächtniß auf die
nationalen Kämpfe der vierziger Jahre noch ſtark eingewirkt. Lornſen
ſchrieb daran unter unſäglichen Qualen, in der Sonnengluth Braſiliens,
wo er nach überſtandener Haft vergeblich Heilung für ſeine Krankheit
ſuchte; die aufopfernde Freundſchaft des treuen Hegewiſch vermochte den
Unſeligen nicht mehr aufzurichten. Nach Europa zurückgekehrt gab er
ſich in den Wellen des Genfer See’s ſelbſt den Tod (1838), der Edelſten
einer aus der langen Reihe der Kämpfer und Dulder, welche dem Tage
der deutſchen Einheit vorangingen.
Die Schleswigholſteiner brauchten noch eine gute Weile bis ſie die
feindſeligen Anſchläge des Dänenthums ebenſo klar wie Lornſen erkannten.
Wie hätte ſich auch in dieſem behaglichen Sonderleben das Verſtändniß
für nationale Machtfragen raſch entwickeln können? Selbſt Hegewiſch,
der über den Geſichtskreis ſeiner Holſten weit hinausſah, meinte damals
noch gemüthlich: einer Kriegsflotte bedürfen die Herzogthümer nicht; „Ham-
burger Schiffe befahren alle Meere ganz ohne bewaffnete Seemacht.“
Als die neuen Landtage zuerſt angekündigt wurden, ließ Falck die Schriften
zweier Kopenhagener Liberalen, des Profeſſors David und des ehrgeizigen
jungen Capitäns Tſcherning, über die preußiſchen Provinzialſtände über-
ſetzen und ſprach im Vorworte ganz wie ein guter Landsmann der beiden
Dänen. Noch vier Jahre ſpäter wurde David, als er nach einem glück-
lich überſtandenen Preßprozeſſe durch Kiel kam, von den Studenten als
ein Held der Freiheit gefeiert, obgleich ſeine Zeitung Faedrelandet das
Deutſchthum Schleswigs offen bekämpfte. Die erſten Verhandlungen der
beiden Landtage verliefen noch ziemlich ſtill. Die Stände bekundeten
zwar mehrfach jenen Drang nach Erweiterung der eigenen Rechte, der
ſich in berathenden Parlamenten, wenn ſie nicht ganz in Schlummer
verſinken, unausbleiblich einſtellt; ſie verlangten eine beſchränkte Oeffent-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/189>, abgerufen am 17.06.2024.
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