Ihm entging nicht, wie nahe sich ihre Gedanken mit Schön's Woher und Wohin? berührten, und da er den alten Freund noch immer zartfühlend schonen wollte, so schrieb er ihm vertraulich: der Verfasser solle unver- folgt bleiben, falls Schön ihn dem Monarchen nenne und seine Straflosig- keit verlange. Doch mittlerweile hatte Jacoby im Bewußtsein seiner Un- fehlbarkeit selbst die Flugschrift an den König gesendet, sich als Verfasser bekannt und sein Büchlein geradezu unter den Schutz der Krone gestellt. Dies nahm Friedrich Wilhelm für eine absichtliche Beleidigung, weil die scharfen Vorwürfe, persönlich überreicht, ihm noch schärfer klangen. Um sich nicht zu übereilen berief er einige "Doktoren der Rechte" zu sich -- ein Titel, dem er hohen Werth beilegte -- und erst als diese sich für die Einleitung eines Strafverfahrens aussprachen, gab er Schön zu wissen, er habe "Jacoby's Herausforderung angenommen". Nunmehr blieben alle Fürbitten des liberalen Oberpräsidenten vergeblich. Die Untersuchung nahm ihren Anfang, der Bundestag verbot, auf Preußens Antrag, den Vertrieb der Schrift, die gleichwohl in Aller Händen war; der Königs- berger aber gewann, ohne alle Opfer und Leiden, die Stellung des po- litischen Märtyrers, welche solchen Rechtsfanatikern besonders zusagt und ihre Macht verstärkt.
Sehr tief wurmte den König, daß die Königsberger Judenschaft ihren beherzten Wortführer auf den Schild hob. "Getaufte Juden", schrieb er an Schön, "zähle ich nicht zu meinen Ostpreußen. Das ist ein wahrer Trost für mich. Machen Sie nur, daß unbeschnittene Männer von alter Treue und die ein Herz zu mir haben, die Schmach gut machen, welche die Beschnittenen Ostpreußen angethan."*) In solchem Tone bekundete er fortan immer seinen Judenhaß; seine heftigen, der Würde des König- thums wenig geziemenden Aeußerungen wurden von der mächtig angewach- senen Schaar der israelitischen Zeitungsschreiber emsig umhergetragen und erweckten in der gesammten Judenschaft eine unauslöschliche Rachgier, welche den Ruf seiner Regierung noch schwer schädigen sollte.
Jacoby's Schrift wurde an alle Provinziallandtage versendet, sie fand aber dort vorerst nur wenig Anklang; denn die Stände traten über- all in gehobener Stimmung zusammen. Durch die herzliche Sprache und die reichen Gewährungen seines Propositionsdekrets gewann der König das allgemeine Vertrauen für kurze Zeit wieder. Um seinen getreuen Pro- vinzialständen zu beweisen, wie ernstlich er sie ehre, welchen Werth er auf das Ersprießliche ihrer Wirksamkeit lege, gestattete er ihnen ihre Pro- tokolle zu veröffentlichen und verhieß sie fortan regelmäßig aller zwei Jahre zu berufen. Für die Zwischenzeit sollten aus allen Landtagen Ausschüsse gewählt werden, damit der Monarch sich "ihres Rathes bedienen und ihre Mitwirkung in wichtigen Landesangelegenheiten stattfinden lassen"
*) König Friedrich Wilhelm an Schön, 23. 28. Febr., an Thile, 28. Febr. 1841.
V. 3. Enttäuſchung und Verwirrung.
Ihm entging nicht, wie nahe ſich ihre Gedanken mit Schön’s Woher und Wohin? berührten, und da er den alten Freund noch immer zartfühlend ſchonen wollte, ſo ſchrieb er ihm vertraulich: der Verfaſſer ſolle unver- folgt bleiben, falls Schön ihn dem Monarchen nenne und ſeine Strafloſig- keit verlange. Doch mittlerweile hatte Jacoby im Bewußtſein ſeiner Un- fehlbarkeit ſelbſt die Flugſchrift an den König geſendet, ſich als Verfaſſer bekannt und ſein Büchlein geradezu unter den Schutz der Krone geſtellt. Dies nahm Friedrich Wilhelm für eine abſichtliche Beleidigung, weil die ſcharfen Vorwürfe, perſönlich überreicht, ihm noch ſchärfer klangen. Um ſich nicht zu übereilen berief er einige „Doktoren der Rechte“ zu ſich — ein Titel, dem er hohen Werth beilegte — und erſt als dieſe ſich für die Einleitung eines Strafverfahrens ausſprachen, gab er Schön zu wiſſen, er habe „Jacoby’s Herausforderung angenommen“. Nunmehr blieben alle Fürbitten des liberalen Oberpräſidenten vergeblich. Die Unterſuchung nahm ihren Anfang, der Bundestag verbot, auf Preußens Antrag, den Vertrieb der Schrift, die gleichwohl in Aller Händen war; der Königs- berger aber gewann, ohne alle Opfer und Leiden, die Stellung des po- litiſchen Märtyrers, welche ſolchen Rechtsfanatikern beſonders zuſagt und ihre Macht verſtärkt.
Sehr tief wurmte den König, daß die Königsberger Judenſchaft ihren beherzten Wortführer auf den Schild hob. „Getaufte Juden“, ſchrieb er an Schön, „zähle ich nicht zu meinen Oſtpreußen. Das iſt ein wahrer Troſt für mich. Machen Sie nur, daß unbeſchnittene Männer von alter Treue und die ein Herz zu mir haben, die Schmach gut machen, welche die Beſchnittenen Oſtpreußen angethan.“*) In ſolchem Tone bekundete er fortan immer ſeinen Judenhaß; ſeine heftigen, der Würde des König- thums wenig geziemenden Aeußerungen wurden von der mächtig angewach- ſenen Schaar der israelitiſchen Zeitungsſchreiber emſig umhergetragen und erweckten in der geſammten Judenſchaft eine unauslöſchliche Rachgier, welche den Ruf ſeiner Regierung noch ſchwer ſchädigen ſollte.
Jacoby’s Schrift wurde an alle Provinziallandtage verſendet, ſie fand aber dort vorerſt nur wenig Anklang; denn die Stände traten über- all in gehobener Stimmung zuſammen. Durch die herzliche Sprache und die reichen Gewährungen ſeines Propoſitionsdekrets gewann der König das allgemeine Vertrauen für kurze Zeit wieder. Um ſeinen getreuen Pro- vinzialſtänden zu beweiſen, wie ernſtlich er ſie ehre, welchen Werth er auf das Erſprießliche ihrer Wirkſamkeit lege, geſtattete er ihnen ihre Pro- tokolle zu veröffentlichen und verhieß ſie fortan regelmäßig aller zwei Jahre zu berufen. Für die Zwiſchenzeit ſollten aus allen Landtagen Ausſchüſſe gewählt werden, damit der Monarch ſich „ihres Rathes bedienen und ihre Mitwirkung in wichtigen Landesangelegenheiten ſtattfinden laſſen“
*) König Friedrich Wilhelm an Schön, 23. 28. Febr., an Thile, 28. Febr. 1841.
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Ihm entging nicht, wie nahe ſich ihre Gedanken mit Schön’s Woher und
Wohin? berührten, und da er den alten Freund noch immer zartfühlend
ſchonen wollte, ſo ſchrieb er ihm vertraulich: der Verfaſſer ſolle unver-
folgt bleiben, falls Schön ihn dem Monarchen nenne und ſeine Strafloſig-
keit verlange. Doch mittlerweile hatte Jacoby im Bewußtſein ſeiner Un-
fehlbarkeit ſelbſt die Flugſchrift an den König geſendet, ſich als Verfaſſer
bekannt und ſein Büchlein geradezu unter den Schutz der Krone geſtellt.
Dies nahm Friedrich Wilhelm für eine abſichtliche Beleidigung, weil die
ſcharfen Vorwürfe, perſönlich überreicht, ihm noch ſchärfer klangen. Um
ſich nicht zu übereilen berief er einige „Doktoren der Rechte“ zu ſich —
ein Titel, dem er hohen Werth beilegte — und erſt als dieſe ſich für
die Einleitung eines Strafverfahrens ausſprachen, gab er Schön zu wiſſen,
er habe „Jacoby’s Herausforderung angenommen“. Nunmehr blieben alle
Fürbitten des liberalen Oberpräſidenten vergeblich. Die Unterſuchung
nahm ihren Anfang, der Bundestag verbot, auf Preußens Antrag, den
Vertrieb der Schrift, die gleichwohl in Aller Händen war; der Königs-
berger aber gewann, ohne alle Opfer und Leiden, die Stellung des po-
litiſchen Märtyrers, welche ſolchen Rechtsfanatikern beſonders zuſagt und
ihre Macht verſtärkt.
Sehr tief wurmte den König, daß die Königsberger Judenſchaft ihren
beherzten Wortführer auf den Schild hob. „Getaufte Juden“, ſchrieb er
an Schön, „zähle ich nicht zu meinen Oſtpreußen. Das iſt ein wahrer
Troſt für mich. Machen Sie nur, daß unbeſchnittene Männer von alter
Treue und die ein Herz zu mir haben, die Schmach gut machen, welche
die Beſchnittenen Oſtpreußen angethan.“ *) In ſolchem Tone bekundete
er fortan immer ſeinen Judenhaß; ſeine heftigen, der Würde des König-
thums wenig geziemenden Aeußerungen wurden von der mächtig angewach-
ſenen Schaar der israelitiſchen Zeitungsſchreiber emſig umhergetragen und
erweckten in der geſammten Judenſchaft eine unauslöſchliche Rachgier,
welche den Ruf ſeiner Regierung noch ſchwer ſchädigen ſollte.
Jacoby’s Schrift wurde an alle Provinziallandtage verſendet, ſie
fand aber dort vorerſt nur wenig Anklang; denn die Stände traten über-
all in gehobener Stimmung zuſammen. Durch die herzliche Sprache und
die reichen Gewährungen ſeines Propoſitionsdekrets gewann der König das
allgemeine Vertrauen für kurze Zeit wieder. Um ſeinen getreuen Pro-
vinzialſtänden zu beweiſen, wie ernſtlich er ſie ehre, welchen Werth er
auf das Erſprießliche ihrer Wirkſamkeit lege, geſtattete er ihnen ihre Pro-
tokolle zu veröffentlichen und verhieß ſie fortan regelmäßig aller zwei Jahre
zu berufen. Für die Zwiſchenzeit ſollten aus allen Landtagen Ausſchüſſe
gewählt werden, damit der Monarch ſich „ihres Rathes bedienen und
ihre Mitwirkung in wichtigen Landesangelegenheiten ſtattfinden laſſen“
*) König Friedrich Wilhelm an Schön, 23. 28. Febr., an Thile, 28. Febr. 1841.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/154>, abgerufen am 14.06.2024.
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