romantisch-ästhetischen Gefühlen war die Begeisterung für den Kölner Dom ursprünglich hervorgegangen; mit ihnen verbanden sich späterhin der rhei- nische Provinzialstolz und der katholische Glaubenseifer, die der Bischofs- streit so mächtig erregt hatte, und neuerdings, zumal seit dem Kriegslärm des Jahres 1840 auch das deutsche Nationalgefühl. Als Görres einst im Rheinischen Mercur aussprach, dieser unfertige Riesenbau sei ein Ver- mächtniß, das die großen alten Kaiserzeiten dem wiederbefreiten neuen Deutschland zur Vollendung hinterlassen hätten, da hörten ihn nur Wenige. Jetzt sprach Jedermann im gleichen Sinne: eben hier auf dem vielumstrittenen linken Ufer wollte man den Wälschen zeigen was Kraft und Einmuth der Germanen vermöchten. Wie die halbverschollene Kyffhäuser- sage erst in diesen Jahrzehnten durch Rückert's Gedicht neues Leben ge- wann, so kamen jetzt alterthümlich klingende Domsagen in Umlauf, von denen sich das Mittelalter nichts hatte träumen lassen, allesammt echte Kinder der vaterländischen Sehnsucht des jüngsten Geschlechts: der alte Krahn auf dem Stummel des Thurmes war "ein riesig Fragezeichen", ein Symbol der Zerrissenheit des Vaterlandes; erst wenn er dereinst ver- schwunden war und die beiden Thürme vollendet in die Lüfte ragten, dann sollte der Traum der Jahrhunderte, die Einheit Deutschlands in Erfüllung gehen.
Und nun geschah was einst Schenkendorf*) geweissagt:
Und gefunden ist der Meister Und der alte Bann gelöst, In die Herzen, in die Geister Neue Lust zum Werk geflößt
Der Dombaumeister Zwirner, ein Schlesier aus Schinkel's Schule über- reichte dem Könige einen wohldurchdachten fertigen Plan für den Ausbau des gesammten Domes, ein riesiges Unternehmen, das selbst Boisseree früherhin für unmöglich gehalten hatte. Unterdessen traten die Bürger Kölns zusammen das Werk zu fördern. Anfangs konnten sie sich nicht einigen, weil manche eifrige Katholiken meinten: so lange der Stuhl des Oberhirten im hohen Chore leer stehe dürfe man keine Hand regen. Da trat der junge August Reichensperger in's Mittel, selbst ein strenger Cle- ricaler aber zugleich ein guter Preuße und warmer Bewunderer der alten rheinischen Kunst; er mahnte seine Landsleute in einer beredten Flugschrift, alle Späne zu vergessen und den günstigen Augenblick des Thronwechsels zu benutzen. So ward der Widerstand überwunden und der große Dom- bauverein gegründet, der gleich der St. Peters-Brüderschaft des Mittel- alters für den Ausbau des Gotteshauses sammeln und arbeiten sollte. Nichts konnte dem Könige willkommener sein. Seit er einst, von Boisseree geführt, zum ersten male durch das Steinlaubwerk des Chorumgangs ge- wandert war, alle diese Jahre hindurch hatte ihn die Hoffnung den Wieder-
*) Vgl. o. II. 45.
Der Kölner Dom.
romantiſch-äſthetiſchen Gefühlen war die Begeiſterung für den Kölner Dom urſprünglich hervorgegangen; mit ihnen verbanden ſich ſpäterhin der rhei- niſche Provinzialſtolz und der katholiſche Glaubenseifer, die der Biſchofs- ſtreit ſo mächtig erregt hatte, und neuerdings, zumal ſeit dem Kriegslärm des Jahres 1840 auch das deutſche Nationalgefühl. Als Görres einſt im Rheiniſchen Mercur ausſprach, dieſer unfertige Rieſenbau ſei ein Ver- mächtniß, das die großen alten Kaiſerzeiten dem wiederbefreiten neuen Deutſchland zur Vollendung hinterlaſſen hätten, da hörten ihn nur Wenige. Jetzt ſprach Jedermann im gleichen Sinne: eben hier auf dem vielumſtrittenen linken Ufer wollte man den Wälſchen zeigen was Kraft und Einmuth der Germanen vermöchten. Wie die halbverſchollene Kyffhäuſer- ſage erſt in dieſen Jahrzehnten durch Rückert’s Gedicht neues Leben ge- wann, ſo kamen jetzt alterthümlich klingende Domſagen in Umlauf, von denen ſich das Mittelalter nichts hatte träumen laſſen, alleſammt echte Kinder der vaterländiſchen Sehnſucht des jüngſten Geſchlechts: der alte Krahn auf dem Stummel des Thurmes war „ein rieſig Fragezeichen“, ein Symbol der Zerriſſenheit des Vaterlandes; erſt wenn er dereinſt ver- ſchwunden war und die beiden Thürme vollendet in die Lüfte ragten, dann ſollte der Traum der Jahrhunderte, die Einheit Deutſchlands in Erfüllung gehen.
Und nun geſchah was einſt Schenkendorf*) geweiſſagt:
Und gefunden iſt der Meiſter Und der alte Bann gelöſt, In die Herzen, in die Geiſter Neue Luſt zum Werk geflößt
Der Dombaumeiſter Zwirner, ein Schleſier aus Schinkel’s Schule über- reichte dem Könige einen wohldurchdachten fertigen Plan für den Ausbau des geſammten Domes, ein rieſiges Unternehmen, das ſelbſt Boiſſeree früherhin für unmöglich gehalten hatte. Unterdeſſen traten die Bürger Kölns zuſammen das Werk zu fördern. Anfangs konnten ſie ſich nicht einigen, weil manche eifrige Katholiken meinten: ſo lange der Stuhl des Oberhirten im hohen Chore leer ſtehe dürfe man keine Hand regen. Da trat der junge Auguſt Reichensperger in’s Mittel, ſelbſt ein ſtrenger Cle- ricaler aber zugleich ein guter Preuße und warmer Bewunderer der alten rheiniſchen Kunſt; er mahnte ſeine Landsleute in einer beredten Flugſchrift, alle Späne zu vergeſſen und den günſtigen Augenblick des Thronwechſels zu benutzen. So ward der Widerſtand überwunden und der große Dom- bauverein gegründet, der gleich der St. Peters-Brüderſchaft des Mittel- alters für den Ausbau des Gotteshauſes ſammeln und arbeiten ſollte. Nichts konnte dem Könige willkommener ſein. Seit er einſt, von Boiſſeree geführt, zum erſten male durch das Steinlaubwerk des Chorumgangs ge- wandert war, alle dieſe Jahre hindurch hatte ihn die Hoffnung den Wieder-
*) Vgl. o. II. 45.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0187"n="173"/><fwplace="top"type="header">Der Kölner Dom.</fw><lb/>
romantiſch-äſthetiſchen Gefühlen war die Begeiſterung für den Kölner Dom<lb/>
urſprünglich hervorgegangen; mit ihnen verbanden ſich ſpäterhin der rhei-<lb/>
niſche Provinzialſtolz und der katholiſche Glaubenseifer, die der Biſchofs-<lb/>ſtreit ſo mächtig erregt hatte, und neuerdings, zumal ſeit dem Kriegslärm<lb/>
des Jahres 1840 auch das deutſche Nationalgefühl. Als Görres einſt<lb/>
im Rheiniſchen Mercur ausſprach, dieſer unfertige Rieſenbau ſei ein Ver-<lb/>
mächtniß, das die großen alten Kaiſerzeiten dem wiederbefreiten neuen<lb/>
Deutſchland zur Vollendung hinterlaſſen hätten, da hörten ihn nur<lb/>
Wenige. Jetzt ſprach Jedermann im gleichen Sinne: eben hier auf dem<lb/>
vielumſtrittenen linken Ufer wollte man den Wälſchen zeigen was Kraft und<lb/>
Einmuth der Germanen vermöchten. Wie die halbverſchollene Kyffhäuſer-<lb/>ſage erſt in dieſen Jahrzehnten durch Rückert’s Gedicht neues Leben ge-<lb/>
wann, ſo kamen jetzt alterthümlich klingende Domſagen in Umlauf, von<lb/>
denen ſich das Mittelalter nichts hatte träumen laſſen, alleſammt echte<lb/>
Kinder der vaterländiſchen Sehnſucht des jüngſten Geſchlechts: der alte<lb/>
Krahn auf dem Stummel des Thurmes war „ein rieſig Fragezeichen“,<lb/>
ein Symbol der Zerriſſenheit des Vaterlandes; erſt wenn er dereinſt ver-<lb/>ſchwunden war und die beiden Thürme vollendet in die Lüfte ragten,<lb/>
dann ſollte der Traum der Jahrhunderte, die Einheit Deutſchlands in<lb/>
Erfüllung gehen.</p><lb/><p>Und nun geſchah was einſt Schenkendorf<noteplace="foot"n="*)">Vgl. o. <hirendition="#aq">II.</hi> 45.</note> geweiſſagt:</p><lb/><lgtype="poem"><l>Und gefunden iſt der Meiſter</l><lb/><l>Und der alte Bann gelöſt,</l><lb/><l>In die Herzen, in die Geiſter</l><lb/><l>Neue Luſt zum Werk geflößt</l></lg><lb/><p>Der Dombaumeiſter Zwirner, ein Schleſier aus Schinkel’s Schule über-<lb/>
reichte dem Könige einen wohldurchdachten fertigen Plan für den Ausbau<lb/>
des geſammten Domes, ein rieſiges Unternehmen, das ſelbſt Boiſſeree<lb/>
früherhin für unmöglich gehalten hatte. Unterdeſſen traten die Bürger<lb/>
Kölns zuſammen das Werk zu fördern. Anfangs konnten ſie ſich nicht<lb/>
einigen, weil manche eifrige Katholiken meinten: ſo lange der Stuhl des<lb/>
Oberhirten im hohen Chore leer ſtehe dürfe man keine Hand regen. Da<lb/>
trat der junge Auguſt Reichensperger in’s Mittel, ſelbſt ein ſtrenger Cle-<lb/>
ricaler aber zugleich ein guter Preuße und warmer Bewunderer der alten<lb/>
rheiniſchen Kunſt; er mahnte ſeine Landsleute in einer beredten Flugſchrift,<lb/>
alle Späne zu vergeſſen und den günſtigen Augenblick des Thronwechſels<lb/>
zu benutzen. So ward der Widerſtand überwunden und der große Dom-<lb/>
bauverein gegründet, der gleich der St. Peters-Brüderſchaft des Mittel-<lb/>
alters für den Ausbau des Gotteshauſes ſammeln und arbeiten ſollte.<lb/>
Nichts konnte dem Könige willkommener ſein. Seit er einſt, von Boiſſeree<lb/>
geführt, zum erſten male durch das Steinlaubwerk des Chorumgangs ge-<lb/>
wandert war, alle dieſe Jahre hindurch hatte ihn die Hoffnung den Wieder-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[173/0187]
Der Kölner Dom.
romantiſch-äſthetiſchen Gefühlen war die Begeiſterung für den Kölner Dom
urſprünglich hervorgegangen; mit ihnen verbanden ſich ſpäterhin der rhei-
niſche Provinzialſtolz und der katholiſche Glaubenseifer, die der Biſchofs-
ſtreit ſo mächtig erregt hatte, und neuerdings, zumal ſeit dem Kriegslärm
des Jahres 1840 auch das deutſche Nationalgefühl. Als Görres einſt
im Rheiniſchen Mercur ausſprach, dieſer unfertige Rieſenbau ſei ein Ver-
mächtniß, das die großen alten Kaiſerzeiten dem wiederbefreiten neuen
Deutſchland zur Vollendung hinterlaſſen hätten, da hörten ihn nur
Wenige. Jetzt ſprach Jedermann im gleichen Sinne: eben hier auf dem
vielumſtrittenen linken Ufer wollte man den Wälſchen zeigen was Kraft und
Einmuth der Germanen vermöchten. Wie die halbverſchollene Kyffhäuſer-
ſage erſt in dieſen Jahrzehnten durch Rückert’s Gedicht neues Leben ge-
wann, ſo kamen jetzt alterthümlich klingende Domſagen in Umlauf, von
denen ſich das Mittelalter nichts hatte träumen laſſen, alleſammt echte
Kinder der vaterländiſchen Sehnſucht des jüngſten Geſchlechts: der alte
Krahn auf dem Stummel des Thurmes war „ein rieſig Fragezeichen“,
ein Symbol der Zerriſſenheit des Vaterlandes; erſt wenn er dereinſt ver-
ſchwunden war und die beiden Thürme vollendet in die Lüfte ragten,
dann ſollte der Traum der Jahrhunderte, die Einheit Deutſchlands in
Erfüllung gehen.
Und nun geſchah was einſt Schenkendorf *) geweiſſagt:
Und gefunden iſt der Meiſter
Und der alte Bann gelöſt,
In die Herzen, in die Geiſter
Neue Luſt zum Werk geflößt
Der Dombaumeiſter Zwirner, ein Schleſier aus Schinkel’s Schule über-
reichte dem Könige einen wohldurchdachten fertigen Plan für den Ausbau
des geſammten Domes, ein rieſiges Unternehmen, das ſelbſt Boiſſeree
früherhin für unmöglich gehalten hatte. Unterdeſſen traten die Bürger
Kölns zuſammen das Werk zu fördern. Anfangs konnten ſie ſich nicht
einigen, weil manche eifrige Katholiken meinten: ſo lange der Stuhl des
Oberhirten im hohen Chore leer ſtehe dürfe man keine Hand regen. Da
trat der junge Auguſt Reichensperger in’s Mittel, ſelbſt ein ſtrenger Cle-
ricaler aber zugleich ein guter Preuße und warmer Bewunderer der alten
rheiniſchen Kunſt; er mahnte ſeine Landsleute in einer beredten Flugſchrift,
alle Späne zu vergeſſen und den günſtigen Augenblick des Thronwechſels
zu benutzen. So ward der Widerſtand überwunden und der große Dom-
bauverein gegründet, der gleich der St. Peters-Brüderſchaft des Mittel-
alters für den Ausbau des Gotteshauſes ſammeln und arbeiten ſollte.
Nichts konnte dem Könige willkommener ſein. Seit er einſt, von Boiſſeree
geführt, zum erſten male durch das Steinlaubwerk des Chorumgangs ge-
wandert war, alle dieſe Jahre hindurch hatte ihn die Hoffnung den Wieder-
*) Vgl. o. II. 45.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/187>, abgerufen am 15.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.