sie auf mich zu fallen; waren bei trübem Himmel und nach einem Regen die Pflastersteine sehr bald trocken und dadurch sehr weißscheinend geworden, so schien es mir, daß sie mir bis an den Hals gingen, und daß ich durch sie, wie durch dicken Schlamm, waten müßte; und bei Nacht hörte ich das Echo meiner Tritte an den Mauern so stark, daß es mir vorkam, als wenn immer jemand mir auf dem Fuße nachfolgte. Mein Geist war übrigens stark genug, meine Urtheile richtig zu erhalten, aber die ängstlichen Gefühle konnte er nicht abhalten. Ich finde, daß mein Zustand gegen den meiner Gro߬ mutter, die Gespenster zu sehen glaubte, ohne ängstlich zu sein, sich zu meinem auf ähnliche Art verhielt, wie der des Nachtwandlers gegen den, den seine Träume noch nach dem Erwachen ängstigen. Sie wurde durch die geglaubten Erscheinungen gar nicht anders afficirt, als wenn es gewohnte Sinneneindrücke gewesen wären, ob sie in die Reihe der objektiven Kausalverbindung paßten, das kümmerte sie nicht. Der Nachtwandler verliert seine ganze That aus dem Gedächtniß, hier bleibt zwar die Erscheinung und die dadurch veranlaßten Hand¬ lungen im Gedächtniß, aber sie bleiben außer dem Ge¬ biet der Reflexion. Das ängstliche Gefühl, was in mir entstand, war gar keine Folge der Erscheinungen, die ich hatte, denn ich hätte mich nicht gefürchtet, wenn ich sie gleich als wirkliche Dinge genommen hätte, son¬ dern der Reflexion, daß sie nicht wirklich sein sollten.
ſie auf mich zu fallen; waren bei truͤbem Himmel und nach einem Regen die Pflaſterſteine ſehr bald trocken und dadurch ſehr weißſcheinend geworden, ſo ſchien es mir, daß ſie mir bis an den Hals gingen, und daß ich durch ſie, wie durch dicken Schlamm, waten muͤßte; und bei Nacht hoͤrte ich das Echo meiner Tritte an den Mauern ſo ſtark, daß es mir vorkam, als wenn immer jemand mir auf dem Fuße nachfolgte. Mein Geiſt war uͤbrigens ſtark genug, meine Urtheile richtig zu erhalten, aber die aͤngſtlichen Gefuͤhle konnte er nicht abhalten. Ich finde, daß mein Zuſtand gegen den meiner Gro߬ mutter, die Geſpenſter zu ſehen glaubte, ohne aͤngſtlich zu ſein, ſich zu meinem auf aͤhnliche Art verhielt, wie der des Nachtwandlers gegen den, den ſeine Traͤume noch nach dem Erwachen aͤngſtigen. Sie wurde durch die geglaubten Erſcheinungen gar nicht anders afficirt, als wenn es gewohnte Sinneneindruͤcke geweſen waͤren, ob ſie in die Reihe der objektiven Kauſalverbindung paßten, das kuͤmmerte ſie nicht. Der Nachtwandler verliert ſeine ganze That aus dem Gedaͤchtniß, hier bleibt zwar die Erſcheinung und die dadurch veranlaßten Hand¬ lungen im Gedaͤchtniß, aber ſie bleiben außer dem Ge¬ biet der Reflexion. Das aͤngſtliche Gefuͤhl, was in mir entſtand, war gar keine Folge der Erſcheinungen, die ich hatte, denn ich haͤtte mich nicht gefuͤrchtet, wenn ich ſie gleich als wirkliche Dinge genommen haͤtte, ſon¬ dern der Reflexion, daß ſie nicht wirklich ſein ſollten.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0243"n="229"/>ſie auf mich zu fallen; waren bei truͤbem Himmel und<lb/>
nach einem Regen die Pflaſterſteine ſehr bald trocken<lb/>
und dadurch ſehr weißſcheinend geworden, ſo ſchien es<lb/>
mir, daß ſie mir bis an den Hals gingen, und daß<lb/>
ich durch ſie, wie durch dicken Schlamm, waten muͤßte;<lb/>
und bei Nacht hoͤrte ich das Echo meiner Tritte an den<lb/>
Mauern ſo ſtark, daß es mir vorkam, als wenn immer<lb/>
jemand mir auf dem Fuße nachfolgte. Mein Geiſt war<lb/>
uͤbrigens ſtark genug, meine Urtheile richtig zu erhalten,<lb/>
aber die aͤngſtlichen Gefuͤhle konnte er nicht abhalten.<lb/>
Ich finde, daß mein Zuſtand gegen den meiner Gro߬<lb/>
mutter, die Geſpenſter zu ſehen glaubte, ohne aͤngſtlich<lb/>
zu ſein, ſich zu meinem auf aͤhnliche Art verhielt, wie<lb/>
der des Nachtwandlers gegen den, den ſeine Traͤume<lb/>
noch nach dem Erwachen aͤngſtigen. Sie wurde durch<lb/>
die geglaubten Erſcheinungen gar nicht anders afficirt,<lb/>
als wenn es gewohnte Sinneneindruͤcke geweſen waͤren,<lb/>
ob ſie in die Reihe der objektiven Kauſalverbindung<lb/>
paßten, das kuͤmmerte ſie nicht. Der Nachtwandler<lb/>
verliert ſeine ganze That aus dem Gedaͤchtniß, hier bleibt<lb/>
zwar die Erſcheinung und die dadurch veranlaßten Hand¬<lb/>
lungen im Gedaͤchtniß, aber ſie bleiben außer dem Ge¬<lb/>
biet der Reflexion. Das aͤngſtliche Gefuͤhl, was in mir<lb/>
entſtand, war gar keine Folge der Erſcheinungen, die<lb/>
ich hatte, denn ich haͤtte mich nicht gefuͤrchtet, wenn<lb/>
ich ſie gleich als wirkliche Dinge genommen haͤtte, ſon¬<lb/>
dern der Reflexion, daß ſie nicht wirklich ſein ſollten.<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[229/0243]
ſie auf mich zu fallen; waren bei truͤbem Himmel und
nach einem Regen die Pflaſterſteine ſehr bald trocken
und dadurch ſehr weißſcheinend geworden, ſo ſchien es
mir, daß ſie mir bis an den Hals gingen, und daß
ich durch ſie, wie durch dicken Schlamm, waten muͤßte;
und bei Nacht hoͤrte ich das Echo meiner Tritte an den
Mauern ſo ſtark, daß es mir vorkam, als wenn immer
jemand mir auf dem Fuße nachfolgte. Mein Geiſt war
uͤbrigens ſtark genug, meine Urtheile richtig zu erhalten,
aber die aͤngſtlichen Gefuͤhle konnte er nicht abhalten.
Ich finde, daß mein Zuſtand gegen den meiner Gro߬
mutter, die Geſpenſter zu ſehen glaubte, ohne aͤngſtlich
zu ſein, ſich zu meinem auf aͤhnliche Art verhielt, wie
der des Nachtwandlers gegen den, den ſeine Traͤume
noch nach dem Erwachen aͤngſtigen. Sie wurde durch
die geglaubten Erſcheinungen gar nicht anders afficirt,
als wenn es gewohnte Sinneneindruͤcke geweſen waͤren,
ob ſie in die Reihe der objektiven Kauſalverbindung
paßten, das kuͤmmerte ſie nicht. Der Nachtwandler
verliert ſeine ganze That aus dem Gedaͤchtniß, hier bleibt
zwar die Erſcheinung und die dadurch veranlaßten Hand¬
lungen im Gedaͤchtniß, aber ſie bleiben außer dem Ge¬
biet der Reflexion. Das aͤngſtliche Gefuͤhl, was in mir
entſtand, war gar keine Folge der Erſcheinungen, die
ich hatte, denn ich haͤtte mich nicht gefuͤrchtet, wenn
ich ſie gleich als wirkliche Dinge genommen haͤtte, ſon¬
dern der Reflexion, daß ſie nicht wirklich ſein ſollten.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/243>, abgerufen am 31.10.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.