Verstand und Geschmack gegen die neue Schule zu ver¬ fechten unternommen hatte, und in diesem Kampfe das possierlichste Schauspiel und die traurigsten Blößen gab. Doch galt er bei vielen Leuten noch als eine Stütze der guten Litteratur, und weil er uns unbedingt für Jün¬ ger der neuen Schule erklärte, so mußten wir es auch sein, obgleich weder durch litterarische Richtung noch durch persönliches Anschließen irgend einer von uns bis jetzt dahin zu rechnen war, sondern bei Einigen viel¬ mehr noch Abneigung und Widerwillen bestand. Der Fall, daß ich Partheifarbe tragen sollte, die mir fremd war, hat sich in der Folge oft wiederholt, und wird sich da immer einfinden, wo ein redlicher Sinn dem eignen Lichte folgt, ohne dieses so stark leuchten lassen zu können, daß Andre ihm folgen; denn nichts will die Welt schwerer glauben, als daß man nicht sein Heil in der Menge suche, und daher, wenn man nicht Dienste austheilen kann, solche nehme.
Ich kann es noch heute (1831), da achtundzwanzig Jahre seitdem verflossen sind, mit tiefster Wahrheit ebenso wie damals betheuern, daß mir diese ungünsti¬ gen und zum Theil höhnischen Kritiken wenig Kummer machten, sie empörten mich eher, aber mich niederschla¬ gen konnten sie nicht. Der ächten Lebensquelle in mir war ich versichert; daß sie strömte, war nicht meine Willkür, ob meine Gedichte für sich selbst vor dem Publi¬ kum bestehen konnten, oder nur zu dem Gedichte mei¬
Verſtand und Geſchmack gegen die neue Schule zu ver¬ fechten unternommen hatte, und in dieſem Kampfe das poſſierlichſte Schauſpiel und die traurigſten Bloͤßen gab. Doch galt er bei vielen Leuten noch als eine Stuͤtze der guten Litteratur, und weil er uns unbedingt fuͤr Juͤn¬ ger der neuen Schule erklaͤrte, ſo mußten wir es auch ſein, obgleich weder durch litterariſche Richtung noch durch perſoͤnliches Anſchließen irgend einer von uns bis jetzt dahin zu rechnen war, ſondern bei Einigen viel¬ mehr noch Abneigung und Widerwillen beſtand. Der Fall, daß ich Partheifarbe tragen ſollte, die mir fremd war, hat ſich in der Folge oft wiederholt, und wird ſich da immer einfinden, wo ein redlicher Sinn dem eignen Lichte folgt, ohne dieſes ſo ſtark leuchten laſſen zu koͤnnen, daß Andre ihm folgen; denn nichts will die Welt ſchwerer glauben, als daß man nicht ſein Heil in der Menge ſuche, und daher, wenn man nicht Dienſte austheilen kann, ſolche nehme.
Ich kann es noch heute (1831), da achtundzwanzig Jahre ſeitdem verfloſſen ſind, mit tiefſter Wahrheit ebenſo wie damals betheuern, daß mir dieſe unguͤnſti¬ gen und zum Theil hoͤhniſchen Kritiken wenig Kummer machten, ſie empoͤrten mich eher, aber mich niederſchla¬ gen konnten ſie nicht. Der aͤchten Lebensquelle in mir war ich verſichert; daß ſie ſtroͤmte, war nicht meine Willkuͤr, ob meine Gedichte fuͤr ſich ſelbſt vor dem Publi¬ kum beſtehen konnten, oder nur zu dem Gedichte mei¬
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[54/0068]
Verſtand und Geſchmack gegen die neue Schule zu ver¬
fechten unternommen hatte, und in dieſem Kampfe das
poſſierlichſte Schauſpiel und die traurigſten Bloͤßen gab.
Doch galt er bei vielen Leuten noch als eine Stuͤtze der
guten Litteratur, und weil er uns unbedingt fuͤr Juͤn¬
ger der neuen Schule erklaͤrte, ſo mußten wir es auch
ſein, obgleich weder durch litterariſche Richtung noch
durch perſoͤnliches Anſchließen irgend einer von uns bis
jetzt dahin zu rechnen war, ſondern bei Einigen viel¬
mehr noch Abneigung und Widerwillen beſtand. Der
Fall, daß ich Partheifarbe tragen ſollte, die mir fremd
war, hat ſich in der Folge oft wiederholt, und wird
ſich da immer einfinden, wo ein redlicher Sinn dem
eignen Lichte folgt, ohne dieſes ſo ſtark leuchten laſſen
zu koͤnnen, daß Andre ihm folgen; denn nichts will
die Welt ſchwerer glauben, als daß man nicht ſein Heil
in der Menge ſuche, und daher, wenn man nicht Dienſte
austheilen kann, ſolche nehme.
Ich kann es noch heute (1831), da achtundzwanzig
Jahre ſeitdem verfloſſen ſind, mit tiefſter Wahrheit
ebenſo wie damals betheuern, daß mir dieſe unguͤnſti¬
gen und zum Theil hoͤhniſchen Kritiken wenig Kummer
machten, ſie empoͤrten mich eher, aber mich niederſchla¬
gen konnten ſie nicht. Der aͤchten Lebensquelle in mir
war ich verſichert; daß ſie ſtroͤmte, war nicht meine
Willkuͤr, ob meine Gedichte fuͤr ſich ſelbſt vor dem Publi¬
kum beſtehen konnten, oder nur zu dem Gedichte mei¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/68>, abgerufen am 10.11.2024.
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