wirkung zwischen beiden halten. Der Künstlernatur steht vor Allem das philosophische Begreifen des Schönen prinzipiell entgegen; hierüber ist nach §. 68. 69. 392. kein Beweis mehr zu führen. Es gibt für den Künstler weder einen Uebergang vom reinen Begriffe des Schönen zu einer einzelnen künstlerischen Schöpfung, noch während einer solchen eine Förderung durch jenen; überdieß hat er so wenig, als das Organ, auch die Zeit, sich mit der strengen Kunstphilosophie zu befassen. Allein gleich- zeitig mit dem Anbau der letztern ergeht sich sowohl die Literatur, als auch der sonstige allgemeine Verkehr in jener unendlich zersplitterten Masse einzelner Reflexionen, in welcher die Einheit des zusammenfassenden, ein gegebenes Kunstobject unter den Begriff seines Gebietes richtig subsumi- renden Gedankens nur da und dort hervortritt, wie ein Zufälliges in dieser oder jener Persönlichkeit sich darstellt und auch von einer solchen nicht in jedem einzelnen Falle des Urtheils angewandt wird: ein Durch- einander unzählicher Stimmen, welches auf den Künstler nothwendig ver- wirrend wirkt. Aus diesem Gewirre trifft eine einzelne Reflexion der Kritik auf ein einzelnes seiner Werke oder einen einzelnen Theil desselben; sie ist vielleicht richtig, aber er nimmt sie nicht an, weil seine Total-An- schauung nicht erfaßt, der spezielle Gebrauch seiner technischen Mittel nicht verstanden ist. Es ist überhaupt das Wesen der Reflexion schon an sich, das ihm nicht weniger widerstrebt, als der höhere philosophische Begriff: die Art, wie sich Sinnliches und verständig Allgemeines in ihren Kate- gorieen mischen, ist für seinen Instinct zu abstract, für seinen guten Wil- len, einmal von der Kritik zu lernen, zu unsinnlich und für die tiefere Einsicht, von der er nur wissenschaftlich nicht Rechnung ablegen kann, wieder zu sinnlich. Dieß führt auf eine allgemeine, tiefe Schwierigkeit. Die wahre Kritik müßte auf der lebendigsten Anschauung, dem richtigsten Instincte, der innigsten Vertrautheit mit den Gewohnheiten, Bedingungen, Geheimnissen des künstlerischen Thuns beruhen. Wer sich so legitimirt, von dem wird der Künstler auch Kritik annehmen, selbst ein Göthe, der die Kritik im Allgemeinen so wenig achtete; allein im Ganzen und Großen setzt die Kritik und die Kunstphilosophie zwar eine entwickelte Kunstwelt und ein unmittelbar lebendiges Verständniß derselben voraus, aber auf- steigend zum allgemeinen Abstracten läßt sie diesen Boden hinter sich und die Zeit ihrer Blüthe ist nicht zugleich die Zeit eines vollen, frischen Kunstsinns. So kann eine Kunstphilosophie in ihren allgemeinen Sätzen richtig und doch im Speziellen von dem lebendigen Sinne der Anschau- ung verlassen sein. Es ist dieß allerdings ein Mangel der Wissenschaft selbst als solcher, aber er hebt sie darum nicht auf, er soll sie nur zu der Vollendung treiben, wo die tiefste Abstraction zur innigsten Durchdrin- gung mit der Natur zurückkehrt. Bei all diesem haben wir der schlechten
wirkung zwiſchen beiden halten. Der Künſtlernatur ſteht vor Allem das philoſophiſche Begreifen des Schönen prinzipiell entgegen; hierüber iſt nach §. 68. 69. 392. kein Beweis mehr zu führen. Es gibt für den Künſtler weder einen Uebergang vom reinen Begriffe des Schönen zu einer einzelnen künſtleriſchen Schöpfung, noch während einer ſolchen eine Förderung durch jenen; überdieß hat er ſo wenig, als das Organ, auch die Zeit, ſich mit der ſtrengen Kunſtphiloſophie zu befaſſen. Allein gleich- zeitig mit dem Anbau der letztern ergeht ſich ſowohl die Literatur, als auch der ſonſtige allgemeine Verkehr in jener unendlich zerſplitterten Maſſe einzelner Reflexionen, in welcher die Einheit des zuſammenfaſſenden, ein gegebenes Kunſtobject unter den Begriff ſeines Gebietes richtig ſubſumi- renden Gedankens nur da und dort hervortritt, wie ein Zufälliges in dieſer oder jener Perſönlichkeit ſich darſtellt und auch von einer ſolchen nicht in jedem einzelnen Falle des Urtheils angewandt wird: ein Durch- einander unzählicher Stimmen, welches auf den Künſtler nothwendig ver- wirrend wirkt. Aus dieſem Gewirre trifft eine einzelne Reflexion der Kritik auf ein einzelnes ſeiner Werke oder einen einzelnen Theil deſſelben; ſie iſt vielleicht richtig, aber er nimmt ſie nicht an, weil ſeine Total-An- ſchauung nicht erfaßt, der ſpezielle Gebrauch ſeiner techniſchen Mittel nicht verſtanden iſt. Es iſt überhaupt das Weſen der Reflexion ſchon an ſich, das ihm nicht weniger widerſtrebt, als der höhere philoſophiſche Begriff: die Art, wie ſich Sinnliches und verſtändig Allgemeines in ihren Kate- gorieen miſchen, iſt für ſeinen Inſtinct zu abſtract, für ſeinen guten Wil- len, einmal von der Kritik zu lernen, zu unſinnlich und für die tiefere Einſicht, von der er nur wiſſenſchaftlich nicht Rechnung ablegen kann, wieder zu ſinnlich. Dieß führt auf eine allgemeine, tiefe Schwierigkeit. Die wahre Kritik müßte auf der lebendigſten Anſchauung, dem richtigſten Inſtincte, der innigſten Vertrautheit mit den Gewohnheiten, Bedingungen, Geheimniſſen des künſtleriſchen Thuns beruhen. Wer ſich ſo legitimirt, von dem wird der Künſtler auch Kritik annehmen, ſelbſt ein Göthe, der die Kritik im Allgemeinen ſo wenig achtete; allein im Ganzen und Großen ſetzt die Kritik und die Kunſtphiloſophie zwar eine entwickelte Kunſtwelt und ein unmittelbar lebendiges Verſtändniß derſelben voraus, aber auf- ſteigend zum allgemeinen Abſtracten läßt ſie dieſen Boden hinter ſich und die Zeit ihrer Blüthe iſt nicht zugleich die Zeit eines vollen, friſchen Kunſtſinns. So kann eine Kunſtphiloſophie in ihren allgemeinen Sätzen richtig und doch im Speziellen von dem lebendigen Sinne der Anſchau- ung verlaſſen ſein. Es iſt dieß allerdings ein Mangel der Wiſſenſchaft ſelbſt als ſolcher, aber er hebt ſie darum nicht auf, er ſoll ſie nur zu der Vollendung treiben, wo die tiefſte Abſtraction zur innigſten Durchdrin- gung mit der Natur zurückkehrt. Bei all dieſem haben wir der ſchlechten
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wirkung zwiſchen beiden halten. Der Künſtlernatur ſteht vor Allem das
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nach §. 68. 69. 392. kein Beweis mehr zu führen. Es gibt für den
Künſtler weder einen Uebergang vom reinen Begriffe des Schönen zu
einer einzelnen künſtleriſchen Schöpfung, noch während einer ſolchen eine
Förderung durch jenen; überdieß hat er ſo wenig, als das Organ, auch
die Zeit, ſich mit der ſtrengen Kunſtphiloſophie zu befaſſen. Allein gleich-
zeitig mit dem Anbau der letztern ergeht ſich ſowohl die Literatur, als
auch der ſonſtige allgemeine Verkehr in jener unendlich zerſplitterten Maſſe
einzelner Reflexionen, in welcher die Einheit des zuſammenfaſſenden, ein
gegebenes Kunſtobject unter den Begriff ſeines Gebietes richtig ſubſumi-
renden Gedankens nur da und dort hervortritt, wie ein Zufälliges in
dieſer oder jener Perſönlichkeit ſich darſtellt und auch von einer ſolchen
nicht in jedem einzelnen Falle des Urtheils angewandt wird: ein Durch-
einander unzählicher Stimmen, welches auf den Künſtler nothwendig ver-
wirrend wirkt. Aus dieſem Gewirre trifft eine einzelne Reflexion der
Kritik auf ein einzelnes ſeiner Werke oder einen einzelnen Theil deſſelben;
ſie iſt vielleicht richtig, aber er nimmt ſie nicht an, weil ſeine Total-An-
ſchauung nicht erfaßt, der ſpezielle Gebrauch ſeiner techniſchen Mittel nicht
verſtanden iſt. Es iſt überhaupt das Weſen der Reflexion ſchon an ſich,
das ihm nicht weniger widerſtrebt, als der höhere philoſophiſche Begriff:
die Art, wie ſich Sinnliches und verſtändig Allgemeines in ihren Kate-
gorieen miſchen, iſt für ſeinen Inſtinct zu abſtract, für ſeinen guten Wil-
len, einmal von der Kritik zu lernen, zu unſinnlich und für die tiefere
Einſicht, von der er nur wiſſenſchaftlich nicht Rechnung ablegen kann, wieder
zu ſinnlich. Dieß führt auf eine allgemeine, tiefe Schwierigkeit.
Die wahre Kritik müßte auf der lebendigſten Anſchauung, dem richtigſten
Inſtincte, der innigſten Vertrautheit mit den Gewohnheiten, Bedingungen,
Geheimniſſen des künſtleriſchen Thuns beruhen. Wer ſich ſo legitimirt,
von dem wird der Künſtler auch Kritik annehmen, ſelbſt ein Göthe, der
die Kritik im Allgemeinen ſo wenig achtete; allein im Ganzen und Großen
ſetzt die Kritik und die Kunſtphiloſophie zwar eine entwickelte Kunſtwelt
und ein unmittelbar lebendiges Verſtändniß derſelben voraus, aber auf-
ſteigend zum allgemeinen Abſtracten läßt ſie dieſen Boden hinter ſich und
die Zeit ihrer Blüthe iſt nicht zugleich die Zeit eines vollen, friſchen
Kunſtſinns. So kann eine Kunſtphiloſophie in ihren allgemeinen Sätzen
richtig und doch im Speziellen von dem lebendigen Sinne der Anſchau-
ung verlaſſen ſein. Es iſt dieß allerdings ein Mangel der Wiſſenſchaft
ſelbſt als ſolcher, aber er hebt ſie darum nicht auf, er ſoll ſie nur zu der
Vollendung treiben, wo die tiefſte Abſtraction zur innigſten Durchdrin-
gung mit der Natur zurückkehrt. Bei all dieſem haben wir der ſchlechten
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,1. Reutlingen u. a., 1851, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0301_1851/81>, abgerufen am 13.06.2024.
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