Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
es, wie wir aus mehreren Beispielen zu §. 613 ersehen, die den frucht-
es, wie wir aus mehreren Beiſpielen zu §. 613 erſehen, die den frucht- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0106" n="432"/> es, wie wir aus mehreren Beiſpielen zu §. 613 erſehen, die den frucht-<lb/> baren Moment mitten im Toben, im höchſten Ausbruch des Zorns oder<lb/> Leidens ſuchen. Wir müſſen uns nun klarer machen, was in dieſem<lb/> Falle eigentlich ſeine Aufgabe iſt. Wir haben (§. 603 mit Anm.) er-<lb/> kannt, daß in der Bildnerkunſt in gewiſſem Sinn das Häßliche ſelbſt<lb/> ſchön ſein muß. In ein Furchtbares (oder Komiſches) muß es zwar<lb/> auch der Bildner auflöſen, aber dieſem ſelbſt kann er nicht die ahnungs-<lb/> volle geiſtige Tiefe geben, wie es die Mittel anderer Künſte erlauben;<lb/> alſo bietet ihm dieſer Umweg nicht die Rettung aus dem an ſich Häß-<lb/> lichen, wie den letzteren. Daher bleibt ihm, wenn er einmal das Bild<lb/> des vollen Sturmes wagt, nur der Weg, daß er <hi rendition="#g">gleichzeitig</hi> „mit der<lb/> wüthend aufgewühlten Oberfläche des Meeres ſeine ſtille Tiefe ſehen laſſe,<lb/> d. h. in der höchſten Leidenſchaft eine große und geſetzte Seele zeige“<lb/> (Winkelmanns berühmte Worte vom Laokoon Werke Bd. <hi rendition="#aq">I</hi>, S. 31). In<lb/> dieſem geiſtigen Rettungsmittel der Schönheit iſt nun das Wahre jener<lb/> äußerlichen Auskunft erhalten: die innere Kraft der Seele mäßigt die<lb/> Leidenſchaft auf ihrer Höhe ſo, daß es iſt, <hi rendition="#g">als wäre</hi> dieſe Höhe ſchon<lb/> überſtiegen, der äußerſte Moment ſchon abgelaufen und ein ſpäterer ein-<lb/> getreten. Dieſes Mittel muß nun aber, da hier vom <hi rendition="#g">Style</hi> die Rede<lb/> iſt, in einer beſtimmten Behandlung der Formen ſich Ausdruck geben.<lb/> Jedoch ſind verſchiedene Fälle denkbar: das einemal wird es mehr darauf<lb/> ankommen, poſitiv in der Art der ganzen Bewegung die Herrſchaft des<lb/> Geiſtes über den Affect auszuſprechen, obwohl auch dieß nicht in ab-<lb/> ſtracter, ſondern in der Weiſe, daß dieſe Geiſtesherrſchaft ſelbſt wieder<lb/> wie eine zum Eigenthum der Geſtalt gewordene Naturkraft erſcheint; das<lb/> andremal muß der Adel der Form ohne dieſen beſtimmten Ausdruck<lb/> dämpfend wirken, und in einem dritten Fall vereinigt ſich Beides. Um<lb/> dieſe Fälle zu unterſcheiden, muß die Sache genauer ins Auge gefaßt<lb/> werden. Wir ſind hier auf die Lehre vom Erhabenen der Leidenſchaft<lb/> und vom Pathetiſchen im <hi rendition="#aq">I.</hi> Theile (§. 105. 106. 110 — 116) zurückge-<lb/> führt. Dort ſind die Bezeichnungen genauer genommen: Leidenſchaft be-<lb/> deutet ſinnlich-ſeeliſche Erregung ohne Rückſicht auf das Sittliche des<lb/> Inhalts, das Pathetiſche aber das Aufbrauſen oder das Leiden des mit<lb/> ethiſchem Gehalt erfüllten Willens. Das Erhabene des böſen Willens,<lb/> das dort in die Mitte zwiſchen dieſe beiden Formen geſtellt iſt, fällt für<lb/> das Ideal der Plaſtik nothwendig weg. In der erſteren Form nun iſt<lb/> es überhaupt leichter, die Grazie plaſtiſcher Schönheit zu wahren, denn<lb/> jener ϑυμὸς, halbſinnliche Zorn des Kriegers, Ringers u. ſ. w. reißt<lb/> die gediegene Kraft der Seele nicht aus ihrem Centrum, er wüchſe denn<lb/> zu thieriſcher Wuth an, die der Künſtler einfach meidet. In der zweiten<lb/> Form iſt das poſitiv Pathetiſche der leichtere Stoff, denn da iſt der Wille<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [432/0106]
es, wie wir aus mehreren Beiſpielen zu §. 613 erſehen, die den frucht-
baren Moment mitten im Toben, im höchſten Ausbruch des Zorns oder
Leidens ſuchen. Wir müſſen uns nun klarer machen, was in dieſem
Falle eigentlich ſeine Aufgabe iſt. Wir haben (§. 603 mit Anm.) er-
kannt, daß in der Bildnerkunſt in gewiſſem Sinn das Häßliche ſelbſt
ſchön ſein muß. In ein Furchtbares (oder Komiſches) muß es zwar
auch der Bildner auflöſen, aber dieſem ſelbſt kann er nicht die ahnungs-
volle geiſtige Tiefe geben, wie es die Mittel anderer Künſte erlauben;
alſo bietet ihm dieſer Umweg nicht die Rettung aus dem an ſich Häß-
lichen, wie den letzteren. Daher bleibt ihm, wenn er einmal das Bild
des vollen Sturmes wagt, nur der Weg, daß er gleichzeitig „mit der
wüthend aufgewühlten Oberfläche des Meeres ſeine ſtille Tiefe ſehen laſſe,
d. h. in der höchſten Leidenſchaft eine große und geſetzte Seele zeige“
(Winkelmanns berühmte Worte vom Laokoon Werke Bd. I, S. 31). In
dieſem geiſtigen Rettungsmittel der Schönheit iſt nun das Wahre jener
äußerlichen Auskunft erhalten: die innere Kraft der Seele mäßigt die
Leidenſchaft auf ihrer Höhe ſo, daß es iſt, als wäre dieſe Höhe ſchon
überſtiegen, der äußerſte Moment ſchon abgelaufen und ein ſpäterer ein-
getreten. Dieſes Mittel muß nun aber, da hier vom Style die Rede
iſt, in einer beſtimmten Behandlung der Formen ſich Ausdruck geben.
Jedoch ſind verſchiedene Fälle denkbar: das einemal wird es mehr darauf
ankommen, poſitiv in der Art der ganzen Bewegung die Herrſchaft des
Geiſtes über den Affect auszuſprechen, obwohl auch dieß nicht in ab-
ſtracter, ſondern in der Weiſe, daß dieſe Geiſtesherrſchaft ſelbſt wieder
wie eine zum Eigenthum der Geſtalt gewordene Naturkraft erſcheint; das
andremal muß der Adel der Form ohne dieſen beſtimmten Ausdruck
dämpfend wirken, und in einem dritten Fall vereinigt ſich Beides. Um
dieſe Fälle zu unterſcheiden, muß die Sache genauer ins Auge gefaßt
werden. Wir ſind hier auf die Lehre vom Erhabenen der Leidenſchaft
und vom Pathetiſchen im I. Theile (§. 105. 106. 110 — 116) zurückge-
führt. Dort ſind die Bezeichnungen genauer genommen: Leidenſchaft be-
deutet ſinnlich-ſeeliſche Erregung ohne Rückſicht auf das Sittliche des
Inhalts, das Pathetiſche aber das Aufbrauſen oder das Leiden des mit
ethiſchem Gehalt erfüllten Willens. Das Erhabene des böſen Willens,
das dort in die Mitte zwiſchen dieſe beiden Formen geſtellt iſt, fällt für
das Ideal der Plaſtik nothwendig weg. In der erſteren Form nun iſt
es überhaupt leichter, die Grazie plaſtiſcher Schönheit zu wahren, denn
jener ϑυμὸς, halbſinnliche Zorn des Kriegers, Ringers u. ſ. w. reißt
die gediegene Kraft der Seele nicht aus ihrem Centrum, er wüchſe denn
zu thieriſcher Wuth an, die der Künſtler einfach meidet. In der zweiten
Form iſt das poſitiv Pathetiſche der leichtere Stoff, denn da iſt der Wille
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |