Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,2. Stuttgart, 1853.
tigen Männergestalten Assyriens und Persiens, die Organe der Hand-
tigen Männergeſtalten Aſſyriens und Perſiens, die Organe der Hand- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0148" n="474"/> tigen Männergeſtalten Aſſyriens und Perſiens, die Organe der Hand-<lb/> lung und Bewegung, Arm und Bein, werden höchſt gewaltig mit ſchar-<lb/> fer Angabe der Muſkel, auch der Gelenke, namentlich des Knies, gebil-<lb/> det. Es iſt dieß in gewiſſem Sinn immer noch architektoniſch, verglichen<lb/> mit dem oberſten der Gegenſätze in §. 636 ein erſter Schritt nach dem<lb/> Naturaliſtiſchen hin, doch nicht nach dem Individuellen, denn dieſe Be-<lb/> handlung kehrt in conventioneller Gleichheit des Styles wieder. Alle<lb/> dieſe Völker bilden nun in ihrem plaſtiſchen Styl einen vollen Gegenſatz<lb/> gegen die Indier. Hier herrſcht in der Bildung der Geſtalt an ſich die<lb/> Welle des Runden, alſo eigentlich die Fettbildung, die Knochengerüſt und<lb/> Muſkel fließend überkleidet; wie ſehr das Weiche geſucht wird, zeigt ins-<lb/> beſondere die ſchlanke Hüfte und das breite Becken der weiblichen Geſtalt.<lb/> Man kann dieſen Charakter des Runden, Wellenförmigen, Weichen als<lb/> Anmuth beſtimmen, wenn man vom tieferen Weſen derſelben, das im<lb/> Seelen-Ausdruck ſich offenbart, abſieht; doch liegt auch ohne dieſen im<lb/> edlen Fluſſe der Formen ein Reiz, der nicht blos ſinnlich iſt, und zudem<lb/> fehlt das Spiel der Bewegung nicht. Im ruhigen Stande iſt ſchon die Mannig-<lb/> faltigkeit der Contraſte vorhanden, der Kopf zur Seite geneigt, die Arme ge-<lb/> löst, die Hände natürlich zufällig hängend oder ſpielend, die Hüfte nach einer<lb/> Seite ausgebogen und auf den einen Fuß geſtemmt, während der andere<lb/> ruht; ſelbſt die Verkürzung iſt hier verſtanden: die Füße ſind nicht bei<lb/> Vornſtellung des Geſichts nach der Seite geſtellt; nun tritt aber auch eigentliche,<lb/> entſchiedene, ſtarke Bewegung auf, die Götter, Genien, Geiſter ſind im<lb/> herrſchenden Hautrelief in leidenſchaftliche, phantaſtiſche Handlung geſetzt,<lb/> es ſtellt ſich dabei mehr Compoſition, eine Ahnung ſchönerer Gruppen-<lb/> bildung ein; aber die Bewegung hat keinen innern Halt, weil Knochen,<lb/> Sehne, Muſkel hinter dem Weichen verſchwindet, und man meint, die<lb/> Figuren wollen die Glieder von ſich werfen. Man erkennt in dieſer auf-<lb/> löſenden Atmoſphäre einen Zug zum Maleriſchen und Empfindungsvollen;<lb/> zugleich iſt durch dieſe wärmere Bewegtheit in das Ideale etwas Natu-<lb/> raliſtiſches eingedrungen und in gewiſſem Sinn dieſer Gegenſatz ſammt<lb/> dem des leblos Göttlichen und belebten blos Menſchlichen gelöst, aber<lb/> das Individuelle fehlt auch hier und der letzte Gegenſatz iſt ja nicht ver-<lb/> mittelt, ſondern verſchwemmt, denn wir haben geſehen, daß der göttliche<lb/> und menſchliche Kreis zwar ineinander ſcheinen, aber doch auseinander-<lb/> gehalten ſein ſollen (§. 630). — Der §. hat das Indiſche wegen des<lb/> Charakters urſprünglicher Unterſcheidungsloſigkeit, der in der ganzen Welt-<lb/> anſchauung liegt, vorangeſtellt; geſchichtlich ſtellen die drei geſchilderten<lb/> Style keinen innern Verlauf dar; der indiſche ſteht für ſich, der aſſyriſch<lb/> perſiſche und der ägyptiſche ſind verwandt, doch ohne tieferen gegenſeiti-<lb/> gen Einfluß. Daher ſehen wir lauter Einſeitigkeiten: der Weichheit fehlt<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [474/0148]
tigen Männergeſtalten Aſſyriens und Perſiens, die Organe der Hand-
lung und Bewegung, Arm und Bein, werden höchſt gewaltig mit ſchar-
fer Angabe der Muſkel, auch der Gelenke, namentlich des Knies, gebil-
det. Es iſt dieß in gewiſſem Sinn immer noch architektoniſch, verglichen
mit dem oberſten der Gegenſätze in §. 636 ein erſter Schritt nach dem
Naturaliſtiſchen hin, doch nicht nach dem Individuellen, denn dieſe Be-
handlung kehrt in conventioneller Gleichheit des Styles wieder. Alle
dieſe Völker bilden nun in ihrem plaſtiſchen Styl einen vollen Gegenſatz
gegen die Indier. Hier herrſcht in der Bildung der Geſtalt an ſich die
Welle des Runden, alſo eigentlich die Fettbildung, die Knochengerüſt und
Muſkel fließend überkleidet; wie ſehr das Weiche geſucht wird, zeigt ins-
beſondere die ſchlanke Hüfte und das breite Becken der weiblichen Geſtalt.
Man kann dieſen Charakter des Runden, Wellenförmigen, Weichen als
Anmuth beſtimmen, wenn man vom tieferen Weſen derſelben, das im
Seelen-Ausdruck ſich offenbart, abſieht; doch liegt auch ohne dieſen im
edlen Fluſſe der Formen ein Reiz, der nicht blos ſinnlich iſt, und zudem
fehlt das Spiel der Bewegung nicht. Im ruhigen Stande iſt ſchon die Mannig-
faltigkeit der Contraſte vorhanden, der Kopf zur Seite geneigt, die Arme ge-
löst, die Hände natürlich zufällig hängend oder ſpielend, die Hüfte nach einer
Seite ausgebogen und auf den einen Fuß geſtemmt, während der andere
ruht; ſelbſt die Verkürzung iſt hier verſtanden: die Füße ſind nicht bei
Vornſtellung des Geſichts nach der Seite geſtellt; nun tritt aber auch eigentliche,
entſchiedene, ſtarke Bewegung auf, die Götter, Genien, Geiſter ſind im
herrſchenden Hautrelief in leidenſchaftliche, phantaſtiſche Handlung geſetzt,
es ſtellt ſich dabei mehr Compoſition, eine Ahnung ſchönerer Gruppen-
bildung ein; aber die Bewegung hat keinen innern Halt, weil Knochen,
Sehne, Muſkel hinter dem Weichen verſchwindet, und man meint, die
Figuren wollen die Glieder von ſich werfen. Man erkennt in dieſer auf-
löſenden Atmoſphäre einen Zug zum Maleriſchen und Empfindungsvollen;
zugleich iſt durch dieſe wärmere Bewegtheit in das Ideale etwas Natu-
raliſtiſches eingedrungen und in gewiſſem Sinn dieſer Gegenſatz ſammt
dem des leblos Göttlichen und belebten blos Menſchlichen gelöst, aber
das Individuelle fehlt auch hier und der letzte Gegenſatz iſt ja nicht ver-
mittelt, ſondern verſchwemmt, denn wir haben geſehen, daß der göttliche
und menſchliche Kreis zwar ineinander ſcheinen, aber doch auseinander-
gehalten ſein ſollen (§. 630). — Der §. hat das Indiſche wegen des
Charakters urſprünglicher Unterſcheidungsloſigkeit, der in der ganzen Welt-
anſchauung liegt, vorangeſtellt; geſchichtlich ſtellen die drei geſchilderten
Style keinen innern Verlauf dar; der indiſche ſteht für ſich, der aſſyriſch
perſiſche und der ägyptiſche ſind verwandt, doch ohne tieferen gegenſeiti-
gen Einfluß. Daher ſehen wir lauter Einſeitigkeiten: der Weichheit fehlt
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