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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857.

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jedem Accord aus, sei es nun durch Aenderung einzelner seiner Töne oder
aller zusammen in jeder Richtung fortgeschritten werden kann, wenn der
Fortgang nur natürlich ist, welche Natürlichkeit namentlich, obwohl nicht
ausschließlich, dann vorhanden ist, wenn wenigstens an Einer Stelle der
Fortgang eine (stetige) Halbtonbewegung (S. 853) ist; von diesem Gesetz
macht der volle Dreiklang keine Ausnahme, aber er unterscheidet sich doch
dadurch, daß er auch für sich gültig und befriedigend ist, und er behält auch
als überleitender Accord einen Charakter natürlicher und ruhiger Harmonie,
den andere Accorde nicht haben. Unselbständig, überleitend ist bereits der
Dreiklang ohne obere Octav, weniger noch in seiner ursprünglichen Lage c e g,
die unter gewissen Bedingungen einen ganz guten Schluß und einen durch-
aus befriedigenden Anfang gibt, aber schon mehr in seinen "Umkehrungen,"
die durch Hinabsetzung der Terz oder Quint unter die Tonica entstehen,
e c g (Sextaccord), g c e (Quartsextaccord); der letztere Accord z. B. kann
nicht für sich selbst bestehen, er drängt zu dem Dominantdreiklang g h d,
weil dieser die einfachere natürlichere Form des im Terzintervall aufgebauten
Accords für sich hat, nothwendig hinab, oder breitet sich die in ihm bereits
vorhandene höhere Hebung (die Sext) vollends aus zum Dominant-
septimenaccord
g h d f, um von da die Bewegung zu g c e zurück oder
zu a c e oder andern nachfolgenden Accorden fortzusetzen. Der vorhin er-
wähnte Dominantdreiklang in seinen verschiedenen Lagen und Umkehrungen
ist derjenige Accord, zu welchem der auf der Tonica errichtete, "tonische"
Dreiklang am einfachsten und gewöhnlichsten übergeht, wie schon an sich
der Schritt von der Tonica zur Dominante von Natur der nächste ist; in
ganz einfachen Tonstücken können alle andern Accorde fehlen, und auch in
größeren Werken bestehen die letzten Takte oft aus nichts Anderem als
einem Wechsel dieser einfachsten und nächstliegenden Accorde; je einfacher
eine Tonreihe oder Melodie sein will, desto mehr darf sie nur Wendungen
machen, welche die Begleitung eben blos dieser Accorde erfordern. Ein
anderer Grund der engen Anziehung dieser zwei Accorde ist der, daß der
Dominantdreiklang (g h d, g d h) die große Septime oder den Leitton,
der auf die nur einen Halbton entlegene Tonica (c) weist, in sich enthält
und daher von ihm aus der Fortgang zu der letztern unmittelbar nah liegt.
Andere Fortgänge, wie z. B. vom tonischen Dreiklang zum Dreiklang auf
der zweiten oder vierten Stufe der Leiter oder von diesen auf jenen zurück,
sind nicht ausgeschlossen, aber sie sind nicht nothwendig und natürlich und
daher namentlich für den Schluß eines Tonstücks in der Regel nicht geeignet.
Ueberleitende Accorde sind nun aber weiter vor allen die Septimen- (und
Nonen-) Accorde, weil sie gebieterisch die Auflösung der in ihnen enthaltenen
Spannung verlangen. Der wichtigste und darum häufigste Septimenaccord
ist der Dominantseptimenaccord, von C aus g h d f, welcher ganz bestimmt

jedem Accord aus, ſei es nun durch Aenderung einzelner ſeiner Töne oder
aller zuſammen in jeder Richtung fortgeſchritten werden kann, wenn der
Fortgang nur natürlich iſt, welche Natürlichkeit namentlich, obwohl nicht
ausſchließlich, dann vorhanden iſt, wenn wenigſtens an Einer Stelle der
Fortgang eine (ſtetige) Halbtonbewegung (S. 853) iſt; von dieſem Geſetz
macht der volle Dreiklang keine Ausnahme, aber er unterſcheidet ſich doch
dadurch, daß er auch für ſich gültig und befriedigend iſt, und er behält auch
als überleitender Accord einen Charakter natürlicher und ruhiger Harmonie,
den andere Accorde nicht haben. Unſelbſtändig, überleitend iſt bereits der
Dreiklang ohne obere Octav, weniger noch in ſeiner urſprünglichen Lage c e g,
die unter gewiſſen Bedingungen einen ganz guten Schluß und einen durch-
aus befriedigenden Anfang gibt, aber ſchon mehr in ſeinen „Umkehrungen,“
die durch Hinabſetzung der Terz oder Quint unter die Tonica entſtehen,
e c g (Sextaccord), g c e (Quartſextaccord); der letztere Accord z. B. kann
nicht für ſich ſelbſt beſtehen, er drängt zu dem Dominantdreiklang g h d,
weil dieſer die einfachere natürlichere Form des im Terzintervall aufgebauten
Accords für ſich hat, nothwendig hinab, oder breitet ſich die in ihm bereits
vorhandene höhere Hebung (die Sext) vollends aus zum Dominant-
ſeptimenaccord
g h d f, um von da die Bewegung zu g c e zurück oder
zu a c e oder andern nachfolgenden Accorden fortzuſetzen. Der vorhin er-
wähnte Dominantdreiklang in ſeinen verſchiedenen Lagen und Umkehrungen
iſt derjenige Accord, zu welchem der auf der Tonica errichtete, „toniſche“
Dreiklang am einfachſten und gewöhnlichſten übergeht, wie ſchon an ſich
der Schritt von der Tonica zur Dominante von Natur der nächſte iſt; in
ganz einfachen Tonſtücken können alle andern Accorde fehlen, und auch in
größeren Werken beſtehen die letzten Takte oft aus nichts Anderem als
einem Wechſel dieſer einfachſten und nächſtliegenden Accorde; je einfacher
eine Tonreihe oder Melodie ſein will, deſto mehr darf ſie nur Wendungen
machen, welche die Begleitung eben blos dieſer Accorde erfordern. Ein
anderer Grund der engen Anziehung dieſer zwei Accorde iſt der, daß der
Dominantdreiklang (g h d, g d h) die große Septime oder den Leitton,
der auf die nur einen Halbton entlegene Tonica (c) weist, in ſich enthält
und daher von ihm aus der Fortgang zu der letztern unmittelbar nah liegt.
Andere Fortgänge, wie z. B. vom toniſchen Dreiklang zum Dreiklang auf
der zweiten oder vierten Stufe der Leiter oder von dieſen auf jenen zurück,
ſind nicht ausgeſchloſſen, aber ſie ſind nicht nothwendig und natürlich und
daher namentlich für den Schluß eines Tonſtücks in der Regel nicht geeignet.
Ueberleitende Accorde ſind nun aber weiter vor allen die Septimen- (und
Nonen-) Accorde, weil ſie gebieteriſch die Auflöſung der in ihnen enthaltenen
Spannung verlangen. Der wichtigſte und darum häufigſte Septimenaccord
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[888/0126] jedem Accord aus, ſei es nun durch Aenderung einzelner ſeiner Töne oder aller zuſammen in jeder Richtung fortgeſchritten werden kann, wenn der Fortgang nur natürlich iſt, welche Natürlichkeit namentlich, obwohl nicht ausſchließlich, dann vorhanden iſt, wenn wenigſtens an Einer Stelle der Fortgang eine (ſtetige) Halbtonbewegung (S. 853) iſt; von dieſem Geſetz macht der volle Dreiklang keine Ausnahme, aber er unterſcheidet ſich doch dadurch, daß er auch für ſich gültig und befriedigend iſt, und er behält auch als überleitender Accord einen Charakter natürlicher und ruhiger Harmonie, den andere Accorde nicht haben. Unſelbſtändig, überleitend iſt bereits der Dreiklang ohne obere Octav, weniger noch in ſeiner urſprünglichen Lage c e g, die unter gewiſſen Bedingungen einen ganz guten Schluß und einen durch- aus befriedigenden Anfang gibt, aber ſchon mehr in ſeinen „Umkehrungen,“ die durch Hinabſetzung der Terz oder Quint unter die Tonica entſtehen, e c g (Sextaccord), g c e (Quartſextaccord); der letztere Accord z. B. kann nicht für ſich ſelbſt beſtehen, er drängt zu dem Dominantdreiklang g h d, weil dieſer die einfachere natürlichere Form des im Terzintervall aufgebauten Accords für ſich hat, nothwendig hinab, oder breitet ſich die in ihm bereits vorhandene höhere Hebung (die Sext) vollends aus zum Dominant- ſeptimenaccord g h d f, um von da die Bewegung zu g c e zurück oder zu a c e oder andern nachfolgenden Accorden fortzuſetzen. Der vorhin er- wähnte Dominantdreiklang in ſeinen verſchiedenen Lagen und Umkehrungen iſt derjenige Accord, zu welchem der auf der Tonica errichtete, „toniſche“ Dreiklang am einfachſten und gewöhnlichſten übergeht, wie ſchon an ſich der Schritt von der Tonica zur Dominante von Natur der nächſte iſt; in ganz einfachen Tonſtücken können alle andern Accorde fehlen, und auch in größeren Werken beſtehen die letzten Takte oft aus nichts Anderem als einem Wechſel dieſer einfachſten und nächſtliegenden Accorde; je einfacher eine Tonreihe oder Melodie ſein will, deſto mehr darf ſie nur Wendungen machen, welche die Begleitung eben blos dieſer Accorde erfordern. Ein anderer Grund der engen Anziehung dieſer zwei Accorde iſt der, daß der Dominantdreiklang (g h d, g d h) die große Septime oder den Leitton, der auf die nur einen Halbton entlegene Tonica (c) weist, in ſich enthält und daher von ihm aus der Fortgang zu der letztern unmittelbar nah liegt. Andere Fortgänge, wie z. B. vom toniſchen Dreiklang zum Dreiklang auf der zweiten oder vierten Stufe der Leiter oder von dieſen auf jenen zurück, ſind nicht ausgeſchloſſen, aber ſie ſind nicht nothwendig und natürlich und daher namentlich für den Schluß eines Tonſtücks in der Regel nicht geeignet. Ueberleitende Accorde ſind nun aber weiter vor allen die Septimen- (und Nonen-) Accorde, weil ſie gebieteriſch die Auflöſung der in ihnen enthaltenen Spannung verlangen. Der wichtigſte und darum häufigſte Septimenaccord iſt der Dominantſeptimenaccord, von C aus g h d f, welcher ganz beſtimmt

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 888. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/126>, abgerufen am 31.10.2024.