das Wortmetrum emancipirt, sie selber erst hinstellt als besondere, Maß und Gesetz in sich tragende, nicht anderwärts her borgende Kunstgattung. Zur vollständigen Realisirung des Taktes gehört jedoch noch ein weiteres Moment, das des rhythmischen Accentes, welches daher vorerst in Betracht zu ziehen ist, ehe das Genauere über den Takt und seine Formen besprochen werden kann.
2. Die Tonbewegung, und zwar auch die ganz gleichmäßig und sym- metrisch geordnete, hätte keine Stetigkeit, keinen Fluß, sie zerfiele immer noch in isolirte Tonatome, sie wäre hart, schroff, eckig (und auch praktisch fast unausführbar), sie wäre ebendamit ohne Leben, Schwung und Kraft, sowie ohne ganz und vollkommen distincte Gliederung, wenn in ihr nicht auch dasjenige Moment, das der §. als periodischen Wechsel accen- tuirter und nicht accentuirter Takttheile bezeichnet, als beherrschende Grundform zur Anwendung käme. Es tritt hier wieder das für die Musik so wichtige Gesetz der Periodicität auf, das Gesetz periodischer Abwechslung von Hebung und Senkung, Stoß und Ruhe, Vorschreiten und Nachlassen der Bewegung. An sich ist jeder Ton ein Ansatz zur Bewegung, ein Hineingreifen in's Tonsystem, ein Stoß auf den tönenden Körper und damit auch auf Gehör und Gefühl selbst; aber anders gestaltet sich die Sache in der Tonreihe, diese kann nicht eine Reihe solcher Stöße sein, sie wäre sonst ein unerträgliches, hackendes, am Ende in sich selbst erlahmendes Einerlei, und es versteht sich daher für ale Musik ganz von selbst, die Tonreihe zu theilen in Töne, auf welchen die unverminderte ursprüngliche Kraft des Stoßes oder der Accent liegt, und in solche, bei denen dieselbe so bis zum Verschwinden gemildert ist, daß sie neben dem auf den ersten Ton fallenden Accent gar nicht mehr als solcher bemerkt, sondern der zweite (dritte u. s. w.) Ton ganz als accentlos vernommen wird. Damit sind von selbst alle jene Uebelstände beseitigt; die Tonreihe geht dahin, sich anmuthig wiegend in dem steten Wechsel von Spannung und Nachlaß, Hebung und Senkung, sich immer wieder beruhigend und doch stets neue Kraft sammelnd, neue Anläufe nehmend, ebenso schön in sich zusammenhängend als lebendig bewegt durch die Reciprocität, mit welcher die stoßende Kraft zur Ruhe des Nachlasses und diese wieder zur Erregung des Stoßes hinübereilt. Aus- nahmsweise kann natürlich auch die stoßweise Fortbewegung für den Ausdruck gewisser innerer Bewegungen gefordert, aber Regel kann sie nicht sein. -- Dieser Rhythmus des Accentwechsels steht aber nun in einem sehr wesent- lichen Verhältniß zur Taktmäßigkeit. Er ist zwar durch sie nicht schlechthin bedingt, er kann auch ohne sie als einfacher Tonfall, wie z. B. in der Rede, zur Erscheinung kommen, aber er bedarf derselben doch, um vollkommen Realität zu erhalten; erst wenn der Wechsel regelmäßiger Taktschläge durch eine ganze Tonreihe hindurch wiederkehrt, kann auch der Accentwechsel sich
das Wortmetrum emancipirt, ſie ſelber erſt hinſtellt als beſondere, Maß und Geſetz in ſich tragende, nicht anderwärts her borgende Kunſtgattung. Zur vollſtändigen Realiſirung des Taktes gehört jedoch noch ein weiteres Moment, das des rhythmiſchen Accentes, welches daher vorerſt in Betracht zu ziehen iſt, ehe das Genauere über den Takt und ſeine Formen beſprochen werden kann.
2. Die Tonbewegung, und zwar auch die ganz gleichmäßig und ſym- metriſch geordnete, hätte keine Stetigkeit, keinen Fluß, ſie zerfiele immer noch in iſolirte Tonatome, ſie wäre hart, ſchroff, eckig (und auch praktiſch faſt unausführbar), ſie wäre ebendamit ohne Leben, Schwung und Kraft, ſowie ohne ganz und vollkommen diſtincte Gliederung, wenn in ihr nicht auch dasjenige Moment, das der §. als periodiſchen Wechſel accen- tuirter und nicht accentuirter Takttheile bezeichnet, als beherrſchende Grundform zur Anwendung käme. Es tritt hier wieder das für die Muſik ſo wichtige Geſetz der Periodicität auf, das Geſetz periodiſcher Abwechslung von Hebung und Senkung, Stoß und Ruhe, Vorſchreiten und Nachlaſſen der Bewegung. An ſich iſt jeder Ton ein Anſatz zur Bewegung, ein Hineingreifen in’s Tonſyſtem, ein Stoß auf den tönenden Körper und damit auch auf Gehör und Gefühl ſelbſt; aber anders geſtaltet ſich die Sache in der Tonreihe, dieſe kann nicht eine Reihe ſolcher Stöße ſein, ſie wäre ſonſt ein unerträgliches, hackendes, am Ende in ſich ſelbſt erlahmendes Einerlei, und es verſteht ſich daher für ale Muſik ganz von ſelbſt, die Tonreihe zu theilen in Töne, auf welchen die unverminderte urſprüngliche Kraft des Stoßes oder der Accent liegt, und in ſolche, bei denen dieſelbe ſo bis zum Verſchwinden gemildert iſt, daß ſie neben dem auf den erſten Ton fallenden Accent gar nicht mehr als ſolcher bemerkt, ſondern der zweite (dritte u. ſ. w.) Ton ganz als accentlos vernommen wird. Damit ſind von ſelbſt alle jene Uebelſtände beſeitigt; die Tonreihe geht dahin, ſich anmuthig wiegend in dem ſteten Wechſel von Spannung und Nachlaß, Hebung und Senkung, ſich immer wieder beruhigend und doch ſtets neue Kraft ſammelnd, neue Anläufe nehmend, ebenſo ſchön in ſich zuſammenhängend als lebendig bewegt durch die Reciprocität, mit welcher die ſtoßende Kraft zur Ruhe des Nachlaſſes und dieſe wieder zur Erregung des Stoßes hinübereilt. Aus- nahmsweiſe kann natürlich auch die ſtoßweiſe Fortbewegung für den Ausdruck gewiſſer innerer Bewegungen gefordert, aber Regel kann ſie nicht ſein. — Dieſer Rhythmus des Accentwechſels ſteht aber nun in einem ſehr weſent- lichen Verhältniß zur Taktmäßigkeit. Er iſt zwar durch ſie nicht ſchlechthin bedingt, er kann auch ohne ſie als einfacher Tonfall, wie z. B. in der Rede, zur Erſcheinung kommen, aber er bedarf derſelben doch, um vollkommen Realität zu erhalten; erſt wenn der Wechſel regelmäßiger Taktſchläge durch eine ganze Tonreihe hindurch wiederkehrt, kann auch der Accentwechſel ſich
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[904/0142]
das Wortmetrum emancipirt, ſie ſelber erſt hinſtellt als beſondere, Maß
und Geſetz in ſich tragende, nicht anderwärts her borgende Kunſtgattung.
Zur vollſtändigen Realiſirung des Taktes gehört jedoch noch ein weiteres
Moment, das des rhythmiſchen Accentes, welches daher vorerſt in Betracht
zu ziehen iſt, ehe das Genauere über den Takt und ſeine Formen beſprochen
werden kann.
2. Die Tonbewegung, und zwar auch die ganz gleichmäßig und ſym-
metriſch geordnete, hätte keine Stetigkeit, keinen Fluß, ſie zerfiele immer
noch in iſolirte Tonatome, ſie wäre hart, ſchroff, eckig (und auch praktiſch
faſt unausführbar), ſie wäre ebendamit ohne Leben, Schwung und Kraft,
ſowie ohne ganz und vollkommen diſtincte Gliederung, wenn in ihr nicht
auch dasjenige Moment, das der §. als periodiſchen Wechſel accen-
tuirter und nicht accentuirter Takttheile bezeichnet, als beherrſchende
Grundform zur Anwendung käme. Es tritt hier wieder das für die Muſik
ſo wichtige Geſetz der Periodicität auf, das Geſetz periodiſcher Abwechslung
von Hebung und Senkung, Stoß und Ruhe, Vorſchreiten und Nachlaſſen
der Bewegung. An ſich iſt jeder Ton ein Anſatz zur Bewegung, ein
Hineingreifen in’s Tonſyſtem, ein Stoß auf den tönenden Körper und
damit auch auf Gehör und Gefühl ſelbſt; aber anders geſtaltet ſich die
Sache in der Tonreihe, dieſe kann nicht eine Reihe ſolcher Stöße ſein, ſie
wäre ſonſt ein unerträgliches, hackendes, am Ende in ſich ſelbſt erlahmendes
Einerlei, und es verſteht ſich daher für ale Muſik ganz von ſelbſt, die
Tonreihe zu theilen in Töne, auf welchen die unverminderte urſprüngliche
Kraft des Stoßes oder der Accent liegt, und in ſolche, bei denen dieſelbe
ſo bis zum Verſchwinden gemildert iſt, daß ſie neben dem auf den erſten
Ton fallenden Accent gar nicht mehr als ſolcher bemerkt, ſondern der zweite
(dritte u. ſ. w.) Ton ganz als accentlos vernommen wird. Damit ſind von
ſelbſt alle jene Uebelſtände beſeitigt; die Tonreihe geht dahin, ſich anmuthig
wiegend in dem ſteten Wechſel von Spannung und Nachlaß, Hebung und
Senkung, ſich immer wieder beruhigend und doch ſtets neue Kraft ſammelnd,
neue Anläufe nehmend, ebenſo ſchön in ſich zuſammenhängend als lebendig
bewegt durch die Reciprocität, mit welcher die ſtoßende Kraft zur Ruhe des
Nachlaſſes und dieſe wieder zur Erregung des Stoßes hinübereilt. Aus-
nahmsweiſe kann natürlich auch die ſtoßweiſe Fortbewegung für den Ausdruck
gewiſſer innerer Bewegungen gefordert, aber Regel kann ſie nicht ſein. —
Dieſer Rhythmus des Accentwechſels ſteht aber nun in einem ſehr weſent-
lichen Verhältniß zur Taktmäßigkeit. Er iſt zwar durch ſie nicht ſchlechthin
bedingt, er kann auch ohne ſie als einfacher Tonfall, wie z. B. in der Rede,
zur Erſcheinung kommen, aber er bedarf derſelben doch, um vollkommen
Realität zu erhalten; erſt wenn der Wechſel regelmäßiger Taktſchläge durch
eine ganze Tonreihe hindurch wiederkehrt, kann auch der Accentwechſel ſich
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,4. Stuttgart, 1857, S. 904. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030204_1857/142>, abgerufen am 01.11.2024.
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