Drama's die nothwendigen Bedingungen desselben erfüllt, das Verlangen, ihnen zu entsprechen, mit Erfolg belohnt.
Ein gemeinschaftlicher Drang zum dramatischen Kunstwerke kann nur in Denjenigen vorhanden sein, welche gemeinschaftlich das Kunstwerk wirklich darstellen: diese sind, nach unsren Begriffen, die Schauspielergenossen¬ schaft. Solche Genossenschaften sehen wir am Schlusse des Mittelalters unmittelbar aus dem Volke hervorgehen: Diejenigen, die später sich ihrer bemeisterten und vom Standpunkte der absoluten Dichtkunst aus, ihnen das Gesetz machten, erwarben sich das Verdienst, in Grund und Boden das verdorben zu haben, was Derjenige, der unmittelbar aus solch einer Genossenschaft hervor¬ ging, mit ihr und für sie dichtete, zum Stau¬ nen aller Zeiten erschaffen hatte. Aus der innig¬ sten, wahrhaftesten Natur des Volkes heraus dichtete Shakespeare für seine Schauspielgenossen das Drama, das uns um so staunenswürdiger erscheint, als wir durch die Macht der nackten Rede allein und ohne alle Hülfe ver¬ wandter Kunstarten es erstehen sehen: nur eine Hülfe ward ihm zu Theil, die Phantasie seines Publikum'g das mit lebhafter Theilnahme sich der Begeisterung der Genossen des Dichters zuwandte. Ein uner¬ hörtes Genie, und eine nie wieder erschienene Gunst glücklicher Umstände, ersetzten gemeinschaftlich, was ihnen
Drama's die nothwendigen Bedingungen deſſelben erfüllt, das Verlangen, ihnen zu entſprechen, mit Erfolg belohnt.
Ein gemeinſchaftlicher Drang zum dramatiſchen Kunſtwerke kann nur in Denjenigen vorhanden ſein, welche gemeinſchaftlich das Kunſtwerk wirklich darſtellen: dieſe ſind, nach unſren Begriffen, die Schauſpielergenoſſen¬ ſchaft. Solche Genoſſenſchaften ſehen wir am Schluſſe des Mittelalters unmittelbar aus dem Volke hervorgehen: Diejenigen, die ſpäter ſich ihrer bemeiſterten und vom Standpunkte der abſoluten Dichtkunſt aus, ihnen das Geſetz machten, erwarben ſich das Verdienſt, in Grund und Boden das verdorben zu haben, was Derjenige, der unmittelbar aus ſolch einer Genoſſenſchaft hervor¬ ging, mit ihr und für ſie dichtete, zum Stau¬ nen aller Zeiten erſchaffen hatte. Aus der innig¬ ſten, wahrhafteſten Natur des Volkes heraus dichtete Shakeſpeare für ſeine Schauſpielgenoſſen das Drama, das uns um ſo ſtaunenswürdiger erſcheint, als wir durch die Macht der nackten Rede allein und ohne alle Hülfe ver¬ wandter Kunſtarten es erſtehen ſehen: nur eine Hülfe ward ihm zu Theil, die Phantaſie ſeines Publikum'g das mit lebhafter Theilnahme ſich der Begeiſterung der Genoſſen des Dichters zuwandte. Ein uner¬ hörtes Genie, und eine nie wieder erſchienene Gunſt glücklicher Umſtände, erſetzten gemeinſchaftlich, was ihnen
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Drama's die nothwendigen Bedingungen deſſelben erfüllt,
das Verlangen, ihnen zu entſprechen, mit Erfolg belohnt.
Ein gemeinſchaftlicher Drang zum dramatiſchen
Kunſtwerke kann nur in Denjenigen vorhanden ſein, welche
gemeinſchaftlich das Kunſtwerk wirklich darſtellen: dieſe
ſind, nach unſren Begriffen, die Schauſpielergenoſſen¬
ſchaft. Solche Genoſſenſchaften ſehen wir am Schluſſe
des Mittelalters unmittelbar aus dem Volke hervorgehen:
Diejenigen, die ſpäter ſich ihrer bemeiſterten und vom
Standpunkte der abſoluten Dichtkunſt aus, ihnen das
Geſetz machten, erwarben ſich das Verdienſt, in Grund
und Boden das verdorben zu haben, was Derjenige,
der unmittelbar aus ſolch einer Genoſſenſchaft hervor¬
ging, mit ihr und für ſie dichtete, zum Stau¬
nen aller Zeiten erſchaffen hatte. Aus der innig¬
ſten, wahrhafteſten Natur des Volkes heraus dichtete
Shakeſpeare für ſeine Schauſpielgenoſſen das Drama,
das uns um ſo ſtaunenswürdiger erſcheint, als wir durch
die Macht der nackten Rede allein und ohne alle Hülfe ver¬
wandter Kunſtarten es erſtehen ſehen: nur eine Hülfe
ward ihm zu Theil, die Phantaſie ſeines Publikum'g
das mit lebhafter Theilnahme ſich der Begeiſterung
der Genoſſen des Dichters zuwandte. Ein uner¬
hörtes Genie, und eine nie wieder erſchienene Gunſt
glücklicher Umſtände, erſetzten gemeinſchaftlich, was ihnen
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/131>, abgerufen am 11.06.2024.
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