Die Oeffentlichkeit, möge sie auch in noch so großer gesellschaftlicher Entstellung sich zeigen, hält sich immer nur an das Unmittelbare und sinnlich Wirkliche; ja die Wechselwirkung des Sinnlichen macht im Grunde nur das aus, was wir Oeffentlichkeit nennen. Hatte die hoch¬ müthig unfähige Dichtkunst sich von dieser unmittelbaren Wechselwirkung zurückgezogen, so hatten, in Bezug auf das Drama, die Schauspieler sich dieser allein bemächtigt. Sehr richtig gehört die theatralische Oeffentlichkeit eigent¬ lich auch nur der darstellenden Genossenschaft allein. Wo aber Alles sich egoistisch absonderte, wie der Dichter von dieser Genossenschaft, der er der Sache gemäß ursprünglich unmittelbar angehört, -- da trennte auch die Genossen¬ schaft das gemeinschaftliche Band, das sie einzig zu einer künstlerischen machte. Wollte der Dichter unbedingt nur sich auf der Bühne sehen, -- bestritt er somit von vorn herein der Genossenschaft ihre künstlerische Bedeutung, -- so löste aus ihr mit weit natürlicherer Berechtigung, auch der einzelne Darsteller sich los, um unbedingt wiederum nur sich geltend zu machen -- und hierin ward er vom Publikum, das unwillkürlich sich immer nur an die abso¬ lute Erscheinung hält, mit aufmunterndster Beistimmung unterstützt. -- Die Schauspielkunst wurde hierdurch zur Kunst des Schauspielers, zur persönlichen Virtuosität, d. h. derjenigen egoistischen Kunstäußerung, die unbedingt
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Die Oeffentlichkeit, möge ſie auch in noch ſo großer geſellſchaftlicher Entſtellung ſich zeigen, hält ſich immer nur an das Unmittelbare und ſinnlich Wirkliche; ja die Wechſelwirkung des Sinnlichen macht im Grunde nur das aus, was wir Oeffentlichkeit nennen. Hatte die hoch¬ müthig unfähige Dichtkunſt ſich von dieſer unmittelbaren Wechſelwirkung zurückgezogen, ſo hatten, in Bezug auf das Drama, die Schauſpieler ſich dieſer allein bemächtigt. Sehr richtig gehört die theatraliſche Oeffentlichkeit eigent¬ lich auch nur der darſtellenden Genoſſenſchaft allein. Wo aber Alles ſich egoiſtiſch abſonderte, wie der Dichter von dieſer Genoſſenſchaft, der er der Sache gemäß urſprünglich unmittelbar angehört, — da trennte auch die Genoſſen¬ ſchaft das gemeinſchaftliche Band, das ſie einzig zu einer künſtleriſchen machte. Wollte der Dichter unbedingt nur ſich auf der Bühne ſehen, — beſtritt er ſomit von vorn herein der Genoſſenſchaft ihre künſtleriſche Bedeutung, — ſo löſte aus ihr mit weit natürlicherer Berechtigung, auch der einzelne Darſteller ſich los, um unbedingt wiederum nur ſich geltend zu machen — und hierin ward er vom Publikum, das unwillkürlich ſich immer nur an die abſo¬ lute Erſcheinung hält, mit aufmunterndſter Beiſtimmung unterſtützt. — Die Schauſpielkunſt wurde hierdurch zur Kunſt des Schauſpielers, zur perſönlichen Virtuoſität, d. h. derjenigen egoiſtiſchen Kunſtäußerung, die unbedingt
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Die Oeffentlichkeit, möge ſie auch in noch ſo
großer geſellſchaftlicher Entſtellung ſich zeigen, hält ſich
immer nur an das Unmittelbare und ſinnlich Wirkliche; ja
die Wechſelwirkung des Sinnlichen macht im Grunde nur
das aus, was wir Oeffentlichkeit nennen. Hatte die hoch¬
müthig unfähige Dichtkunſt ſich von dieſer unmittelbaren
Wechſelwirkung zurückgezogen, ſo hatten, in Bezug auf das
Drama, die Schauſpieler ſich dieſer allein bemächtigt.
Sehr richtig gehört die theatraliſche Oeffentlichkeit eigent¬
lich auch nur der darſtellenden Genoſſenſchaft allein. Wo
aber Alles ſich egoiſtiſch abſonderte, wie der Dichter von
dieſer Genoſſenſchaft, der er der Sache gemäß urſprünglich
unmittelbar angehört, — da trennte auch die Genoſſen¬
ſchaft das gemeinſchaftliche Band, das ſie einzig zu einer
künſtleriſchen machte. Wollte der Dichter unbedingt nur
ſich auf der Bühne ſehen, — beſtritt er ſomit von vorn
herein der Genoſſenſchaft ihre künſtleriſche Bedeutung, —
ſo löſte aus ihr mit weit natürlicherer Berechtigung, auch
der einzelne Darſteller ſich los, um unbedingt wiederum
nur ſich geltend zu machen — und hierin ward er vom
Publikum, das unwillkürlich ſich immer nur an die abſo¬
lute Erſcheinung hält, mit aufmunterndſter Beiſtimmung
unterſtützt. — Die Schauſpielkunſt wurde hierdurch zur
Kunſt des Schauſpielers, zur perſönlichen Virtuoſität,
d. h. derjenigen egoiſtiſchen Kunſtäußerung, die unbedingt
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Wagner, Richard: Das Kunstwerk der Zukunft. Leipzig, 1850, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wagner_zukunft_1850/139>, abgerufen am 10.06.2024.
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