Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.nachsinnend, der eben dem heutigen Tage zieme. Ein altes Buch, das in der Tischschieblade des Thurmstübchens lag und Choräle aus früheren Jahrhunderten enthielt, setzte ihn durch die reiche Auswahl in Verlegenheit. Die wenigsten waren ihm heute fröhlich und festlich genug. "Verzage nicht, du Häuflein klein", wurde ohne weiteres verworfen, so gern er's auch als den Schlachtgesang Gustav Adolph's an andern Tagen vom Thurm geblasen hatte. "Ach Gott, vom Himmel sieh darein!" paßte ihm heute eben so wenig; die Tage, wo er den alten Choral aus eigner bedrängter Brust anstimmte, waren hoffentlich für alle Zeit vorüber. Lange verweilte er bei Paul Gerhardts "Auf, auf, mein Herz, mit Freuden, Nimm wahr, was heut geschicht! Wie kommt nach großen Leiden Nun ein so großes Licht!" Aber der Nachsatz: "Mein Heiland ward gelegt Da, wo man uns hinträgt" wollte ihm nicht gefallen. Er hatte es nie früher bemerkt, wie viel Grabgedanken die meisten Kirchenlieder enthalten. Endlich meinte er das rechte gefunden zu haben. Rist's altes Kraftlied: "Q fröhliche Stunden, o herrliche Zeit!" war ganz seiner Stimmung gemäß. Er nahm die Klarinette zur Hand und wollte eben ansetzen, als ihm die zweite Zeile: "Nun hat überwunden nachsinnend, der eben dem heutigen Tage zieme. Ein altes Buch, das in der Tischschieblade des Thurmstübchens lag und Choräle aus früheren Jahrhunderten enthielt, setzte ihn durch die reiche Auswahl in Verlegenheit. Die wenigsten waren ihm heute fröhlich und festlich genug. „Verzage nicht, du Häuflein klein“, wurde ohne weiteres verworfen, so gern er's auch als den Schlachtgesang Gustav Adolph's an andern Tagen vom Thurm geblasen hatte. „Ach Gott, vom Himmel sieh darein!“ paßte ihm heute eben so wenig; die Tage, wo er den alten Choral aus eigner bedrängter Brust anstimmte, waren hoffentlich für alle Zeit vorüber. Lange verweilte er bei Paul Gerhardts „Auf, auf, mein Herz, mit Freuden, Nimm wahr, was heut geschicht! Wie kommt nach großen Leiden Nun ein so großes Licht!“ Aber der Nachsatz: „Mein Heiland ward gelegt Da, wo man uns hinträgt“ wollte ihm nicht gefallen. Er hatte es nie früher bemerkt, wie viel Grabgedanken die meisten Kirchenlieder enthalten. Endlich meinte er das rechte gefunden zu haben. Rist's altes Kraftlied: „Q fröhliche Stunden, o herrliche Zeit!“ war ganz seiner Stimmung gemäß. Er nahm die Klarinette zur Hand und wollte eben ansetzen, als ihm die zweite Zeile: „Nun hat überwunden <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0069"/> nachsinnend, der eben dem heutigen Tage zieme. Ein altes Buch, das in der Tischschieblade des Thurmstübchens lag und Choräle aus früheren Jahrhunderten enthielt, setzte ihn durch die reiche Auswahl in Verlegenheit. Die wenigsten waren ihm heute fröhlich und festlich genug. „Verzage nicht, du Häuflein klein“, wurde ohne weiteres verworfen, so gern er's auch als den Schlachtgesang Gustav Adolph's an andern Tagen vom Thurm geblasen hatte. „Ach Gott, vom Himmel sieh darein!“ paßte ihm heute eben so wenig; die Tage, wo er den alten Choral aus eigner bedrängter Brust anstimmte, waren hoffentlich für alle Zeit vorüber. Lange verweilte er bei Paul Gerhardts</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Auf, auf, mein Herz, mit Freuden,</l> <l>Nimm wahr, was heut geschicht!</l> <l>Wie kommt nach großen Leiden</l> <l>Nun ein so großes Licht!“</l> </lg> <p>Aber der Nachsatz:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>„Mein Heiland ward gelegt</l> <l>Da, wo man uns hinträgt“</l> </lg> <p>wollte ihm nicht gefallen. Er hatte es nie früher bemerkt, wie viel Grabgedanken die meisten Kirchenlieder enthalten. Endlich meinte er das rechte gefunden zu haben. Rist's altes Kraftlied: „Q fröhliche Stunden, o herrliche Zeit!“ war ganz seiner Stimmung gemäß. Er nahm die Klarinette zur Hand und wollte eben ansetzen, als ihm die zweite Zeile: „Nun hat überwunden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0069]
nachsinnend, der eben dem heutigen Tage zieme. Ein altes Buch, das in der Tischschieblade des Thurmstübchens lag und Choräle aus früheren Jahrhunderten enthielt, setzte ihn durch die reiche Auswahl in Verlegenheit. Die wenigsten waren ihm heute fröhlich und festlich genug. „Verzage nicht, du Häuflein klein“, wurde ohne weiteres verworfen, so gern er's auch als den Schlachtgesang Gustav Adolph's an andern Tagen vom Thurm geblasen hatte. „Ach Gott, vom Himmel sieh darein!“ paßte ihm heute eben so wenig; die Tage, wo er den alten Choral aus eigner bedrängter Brust anstimmte, waren hoffentlich für alle Zeit vorüber. Lange verweilte er bei Paul Gerhardts
„Auf, auf, mein Herz, mit Freuden, Nimm wahr, was heut geschicht! Wie kommt nach großen Leiden Nun ein so großes Licht!“
Aber der Nachsatz:
„Mein Heiland ward gelegt Da, wo man uns hinträgt“
wollte ihm nicht gefallen. Er hatte es nie früher bemerkt, wie viel Grabgedanken die meisten Kirchenlieder enthalten. Endlich meinte er das rechte gefunden zu haben. Rist's altes Kraftlied: „Q fröhliche Stunden, o herrliche Zeit!“ war ganz seiner Stimmung gemäß. Er nahm die Klarinette zur Hand und wollte eben ansetzen, als ihm die zweite Zeile: „Nun hat überwunden
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Zitationshilfe: | Robert, Waldmüller [d. i. Charles Edouard Duboc]: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 203–295. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/waldmueller_allein_1910/69>, abgerufen am 14.06.2024. |