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Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 1. Leipzig, 1867.

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Parömiakon (1838) erscheinen. Bei allen diesen Arbeiten war der pädagogische Gesichtspunkt hauptsächlich leitend; hier mehr der schulpädagogische, dort der allgemeine volkspädagogische. Bei den Sprichwörtern aus Megerle's Schriften, die leider durch eine Unzahl von Druckfehlern entstellt sind, trat der literaturgeschichtliche schon mehr hervor. Immer noch war ich aber über den eigentlichen Zweck meiner Arbeiten nicht völlig ins Klare gekommen. Ich fühlte blos, dass die Sprichwörter ein Schatz seien, der benutzt werden müsse; und ich fing an, sie zur Belehrung fürs Volk zu bearbeiten. Es ist davon unter dem Titel Sprichwörterschatz (1836) ein Band erschienen. Diese Arbeiten führten mich aber allmählich tiefer in das Wesen des Sprichworts und seine Literatur ein. Die mir zu Händen kommenden Sammlungen erschienen mir sämmtlich dürftig; und dennoch sah ich, dass auch Sprichwörterbearbeitungen für einen bestimmten Zweck an dem Mangel geordneten Stoffs scheitern müssten. Und so kam mir denn, besonders angeregt durch Wagner's Sprichwörter-Lexikon (Quedlinburg 1813), der Gedanke, alle andern Arbeiten aufzugeben und mir vorerst ausschliesslich die Aufgabe zu stellen, die deutschen Sprichwörter zu sammeln und, wie Wagner, wenn auch nicht in strenger Folge, gethan, lexikalisch zu ordnen, nachdem ich mich durch Aufstellung und Verwerfung verschiedener anderer Gruppirungen und Ordnungspläne überzeugt hatte, dass es für schnelle Auffindung wie Einordnung keinen bessern Weg gibt.1

Beginnen nun zwar meine Arbeiten auf dem deutschen Sprichwörterfelde mit dem Jahre 1830, so habe ich mir doch erst nach 1836 ausschliesslich die Lösung der Aufgabe gestellt, den gesammten deutschen Sprichwörterschatz in lexikalischer Ordnung zusammenzustellen und so concentrirt dem Volke und seiner Literatur zu übergeben. Anfänglich dachte ich natürlich nicht an die noch ausschliesslich im Volksmunde lebenden Sprichwörter; ich verfuhr vielmehr, wie die meisten Sammler thun, die aus den vorhandenen Sammlungen neue machen, ich suchte mir alles, was gedruckt war, zu verschaffen und schrieb aus. Die Literatur von Nopitsch (Nürnberg 1822) leistete mir dabei den Hauptdienst. Ich lernte dann auch in Breslau Herrn Professor Hoffmann von Fallersleben kennen, durch den ich alles erhielt, was die breslauer Universitätsbibliothek im Gebiet der Sprichwörterliteratur besass.

Nach etwa sechs Jahren unausgesetzten stillen Sammelns besass ich ein druckfähiges Manuscript in Stärke von über 700 Bogen, das aber, "weil es zu stark sei", glücklicherweise niemand drucken mochte. Ich sage glücklicherweise, denn es wäre eine sehr unvollkommene Arbeit gewesen. Die Sprichwörterliteratur, wie die volksthümliche überhaupt, war damals sehr wenig gepflegt, und so fehlte auch der Sinn und das Verständniss des Publikums dafür. Ich selbst war in den Gegenstand noch viel zu wenig, in die Mundarten gar nicht eingedrungen; auch liess mir meine amtliche Stellung nur die Sonntage oder ein paar stille Abend- oder Nachtstunden dafür übrig. Zwar würde die Sammlung gegen Wagner mit seinen 3700 und gegen das 1837 erschienene Körte'sche Werk (Leipzig) mit 7200 Sprichwörtern der Zahl nach ein nicht unerheblicher Fortschritt gewesen sein; aber sie wäre doch weit hinter den Ansprüchen zurückgeblieben, welche ein tieferes Eingehen in die betreffende Literatur später machte. Ich liess das Manuscript durchschiessen und sammelte weiter; natürlich oft mit Unterbrechung, wie sie schon meine Stellung als Lehrer an einer öffentlichen Schule wie zugleich an einer Privatanstalt gebot.

Indess wie die Gebrüder Grimm, wenn der Vergleich erlaubt ist, die erforderliche Musse zur Bearbeitung ihres Wörterbuch (vgl. Vorwort, I, 1) durch die hannoversche Regierung erhielten, so ward sie mir durch die preussische, die mich bei ihrem bekannten Bestreben, die Verfassung in ihrer Weise auszubauen, die Gesetze anzuwenden, den Beamten-, besonders den Lehrerstand zu "purificiren" und das Volksschulwesen zu heben, aus meinem Lehramte entfernte, weil ich mich auf den politischen Standpunkt nicht zu erheben vermag, dass Menschen- und Bürgerrechte in der Beamtenpflicht auf-, d. h. untergehen.2 Während indess die Gebrüder Grimm in Preussen eine freundliche Aufnahme fanden, hätte ich beinahe als geborener Preusse in meinem Vaterlande keine Stätte gefunden.

1 Herr Haug, dem, wie ich an einem andern Orte bemerkt, das Sprichwörter-Lexikon reiche Beiträge verdankt, spricht sich in einem an mich gerichteten Briefe (November 1863) über die Schwierigkeiten, Sprichwörter zu ordnen, dahin aus: "Das Ordnen der gesammelten Sprichwörter kostet mich mehr Zeit, als das Sammeln selbst. Lange mühte ich mich ab, eine stoffliche Eintheilung durchzuführen, die Sprüche nach ihren Grundgedanken zu ordnen. Dabei wollte ich die eigentlichen Sprüche von den übrigen Redensarten ganz trennen und dann unter jenen wieder die Sitten- und Klugheitsregeln von den blossen Abstractionen der Lebens-, Menschen-, Gesundheits- und Naturkenntniss (z. B. von den satirischen Charakteristiken einzelner Stämme und Stände), unter diesen die plastischen Vergleichungen, die Metaphern mit halbwegs dichterischem Werth von den andern Redensarten, die gar nichts für sich haben, als dass sie (wie etwa: Punktum, Streusand drauf) eben stehende Redensarten sind, trennen. Doch da drängten sich so viele neue untergeordnete Eintheilungs- und Gesichtspunkte, so viel Unterrubriken zur gleichzeitigen Beachtung auf und ergaben sich unter den Redensarten so viele Zwittererscheinungen, die in mehrere Kategorien zugleich passten, dass ich an der halb fertigen Arbeit erlahmte. Nicht besser erging mir's mit der ethnographischen oder geographischen Eintheilung, nach der ich die Sprüche mit einem und demselben Verbreitungsbezirk zusammenstellen wollte, um einen Beitrag zur psychologischen Charakteristik des betreffenden Stammes zu gewinnen. Ist es doch rein unmöglich, bei allen oder auch nur bei den meisten Redensarten jenen Bezirk oder vollends die eigentliche Heimat, die Wiege festzustellen, da selbst die Mundart eines Spruchs noch keinen Beweis dafür abgibt, dass der letztere gerade in ihr geboren wurde. Mit mancher andern Methode versuchte ich's noch; aber zuletzt entschloss ich mich, müde des ewigen erfolglosen Suchens, nach dem rechten Wege, zu der äusserlichen, formalen, alphabetisch-sprachlichen Anordnung."
2 Vgl. Wie es mir erging, in Diesterweg's Pädagogisches Jahrbuch (Berlin 1851), I, 93 fg., und dessen Rheinische Blätter (Frankfurt a. M. 1864), XIII, 99 fg.

Parömiakon (1838) erscheinen. Bei allen diesen Arbeiten war der pädagogische Gesichtspunkt hauptsächlich leitend; hier mehr der schulpädagogische, dort der allgemeine volkspädagogische. Bei den Sprichwörtern aus Megerle's Schriften, die leider durch eine Unzahl von Druckfehlern entstellt sind, trat der literaturgeschichtliche schon mehr hervor. Immer noch war ich aber über den eigentlichen Zweck meiner Arbeiten nicht völlig ins Klare gekommen. Ich fühlte blos, dass die Sprichwörter ein Schatz seien, der benutzt werden müsse; und ich fing an, sie zur Belehrung fürs Volk zu bearbeiten. Es ist davon unter dem Titel Sprichwörterschatz (1836) ein Band erschienen. Diese Arbeiten führten mich aber allmählich tiefer in das Wesen des Sprichworts und seine Literatur ein. Die mir zu Händen kommenden Sammlungen erschienen mir sämmtlich dürftig; und dennoch sah ich, dass auch Sprichwörterbearbeitungen für einen bestimmten Zweck an dem Mangel geordneten Stoffs scheitern müssten. Und so kam mir denn, besonders angeregt durch Wagner's Sprichwörter-Lexikon (Quedlinburg 1813), der Gedanke, alle andern Arbeiten aufzugeben und mir vorerst ausschliesslich die Aufgabe zu stellen, die deutschen Sprichwörter zu sammeln und, wie Wagner, wenn auch nicht in strenger Folge, gethan, lexikalisch zu ordnen, nachdem ich mich durch Aufstellung und Verwerfung verschiedener anderer Gruppirungen und Ordnungspläne überzeugt hatte, dass es für schnelle Auffindung wie Einordnung keinen bessern Weg gibt.1

Beginnen nun zwar meine Arbeiten auf dem deutschen Sprichwörterfelde mit dem Jahre 1830, so habe ich mir doch erst nach 1836 ausschliesslich die Lösung der Aufgabe gestellt, den gesammten deutschen Sprichwörterschatz in lexikalischer Ordnung zusammenzustellen und so concentrirt dem Volke und seiner Literatur zu übergeben. Anfänglich dachte ich natürlich nicht an die noch ausschliesslich im Volksmunde lebenden Sprichwörter; ich verfuhr vielmehr, wie die meisten Sammler thun, die aus den vorhandenen Sammlungen neue machen, ich suchte mir alles, was gedruckt war, zu verschaffen und schrieb aus. Die Literatur von Nopitsch (Nürnberg 1822) leistete mir dabei den Hauptdienst. Ich lernte dann auch in Breslau Herrn Professor Hoffmann von Fallersleben kennen, durch den ich alles erhielt, was die breslauer Universitätsbibliothek im Gebiet der Sprichwörterliteratur besass.

Nach etwa sechs Jahren unausgesetzten stillen Sammelns besass ich ein druckfähiges Manuscript in Stärke von über 700 Bogen, das aber, „weil es zu stark sei“, glücklicherweise niemand drucken mochte. Ich sage glücklicherweise, denn es wäre eine sehr unvollkommene Arbeit gewesen. Die Sprichwörterliteratur, wie die volksthümliche überhaupt, war damals sehr wenig gepflegt, und so fehlte auch der Sinn und das Verständniss des Publikums dafür. Ich selbst war in den Gegenstand noch viel zu wenig, in die Mundarten gar nicht eingedrungen; auch liess mir meine amtliche Stellung nur die Sonntage oder ein paar stille Abend- oder Nachtstunden dafür übrig. Zwar würde die Sammlung gegen Wagner mit seinen 3700 und gegen das 1837 erschienene Körte'sche Werk (Leipzig) mit 7200 Sprichwörtern der Zahl nach ein nicht unerheblicher Fortschritt gewesen sein; aber sie wäre doch weit hinter den Ansprüchen zurückgeblieben, welche ein tieferes Eingehen in die betreffende Literatur später machte. Ich liess das Manuscript durchschiessen und sammelte weiter; natürlich oft mit Unterbrechung, wie sie schon meine Stellung als Lehrer an einer öffentlichen Schule wie zugleich an einer Privatanstalt gebot.

Indess wie die Gebrüder Grimm, wenn der Vergleich erlaubt ist, die erforderliche Musse zur Bearbeitung ihres Wörterbuch (vgl. Vorwort, I, 1) durch die hannoversche Regierung erhielten, so ward sie mir durch die preussische, die mich bei ihrem bekannten Bestreben, die Verfassung in ihrer Weise auszubauen, die Gesetze anzuwenden, den Beamten-, besonders den Lehrerstand zu „purificiren“ und das Volksschulwesen zu heben, aus meinem Lehramte entfernte, weil ich mich auf den politischen Standpunkt nicht zu erheben vermag, dass Menschen- und Bürgerrechte in der Beamtenpflicht auf-, d. h. untergehen.2 Während indess die Gebrüder Grimm in Preussen eine freundliche Aufnahme fanden, hätte ich beinahe als geborener Preusse in meinem Vaterlande keine Stätte gefunden.

1 Herr Haug, dem, wie ich an einem andern Orte bemerkt, das Sprichwörter-Lexikon reiche Beiträge verdankt, spricht sich in einem an mich gerichteten Briefe (November 1863) über die Schwierigkeiten, Sprichwörter zu ordnen, dahin aus: „Das Ordnen der gesammelten Sprichwörter kostet mich mehr Zeit, als das Sammeln selbst. Lange mühte ich mich ab, eine stoffliche Eintheilung durchzuführen, die Sprüche nach ihren Grundgedanken zu ordnen. Dabei wollte ich die eigentlichen Sprüche von den übrigen Redensarten ganz trennen und dann unter jenen wieder die Sitten- und Klugheitsregeln von den blossen Abstractionen der Lebens-, Menschen-, Gesundheits- und Naturkenntniss (z. B. von den satirischen Charakteristiken einzelner Stämme und Stände), unter diesen die plastischen Vergleichungen, die Metaphern mit halbwegs dichterischem Werth von den andern Redensarten, die gar nichts für sich haben, als dass sie (wie etwa: Punktum, Streusand drauf) eben stehende Redensarten sind, trennen. Doch da drängten sich so viele neue untergeordnete Eintheilungs- und Gesichtspunkte, so viel Unterrubriken zur gleichzeitigen Beachtung auf und ergaben sich unter den Redensarten so viele Zwittererscheinungen, die in mehrere Kategorien zugleich passten, dass ich an der halb fertigen Arbeit erlahmte. Nicht besser erging mir's mit der ethnographischen oder geographischen Eintheilung, nach der ich die Sprüche mit einem und demselben Verbreitungsbezirk zusammenstellen wollte, um einen Beitrag zur psychologischen Charakteristik des betreffenden Stammes zu gewinnen. Ist es doch rein unmöglich, bei allen oder auch nur bei den meisten Redensarten jenen Bezirk oder vollends die eigentliche Heimat, die Wiege festzustellen, da selbst die Mundart eines Spruchs noch keinen Beweis dafür abgibt, dass der letztere gerade in ihr geboren wurde. Mit mancher andern Methode versuchte ich's noch; aber zuletzt entschloss ich mich, müde des ewigen erfolglosen Suchens, nach dem rechten Wege, zu der äusserlichen, formalen, alphabetisch-sprachlichen Anordnung.“
2 Vgl. Wie es mir erging, in Diesterweg's Pädagogisches Jahrbuch (Berlin 1851), I, 93 fg., und dessen Rheinische Blätter (Frankfurt a. M. 1864), XIII, 99 fg.
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[VIII/0006] Parömiakon (1838) erscheinen. Bei allen diesen Arbeiten war der pädagogische Gesichtspunkt hauptsächlich leitend; hier mehr der schulpädagogische, dort der allgemeine volkspädagogische. Bei den Sprichwörtern aus Megerle's Schriften, die leider durch eine Unzahl von Druckfehlern entstellt sind, trat der literaturgeschichtliche schon mehr hervor. Immer noch war ich aber über den eigentlichen Zweck meiner Arbeiten nicht völlig ins Klare gekommen. Ich fühlte blos, dass die Sprichwörter ein Schatz seien, der benutzt werden müsse; und ich fing an, sie zur Belehrung fürs Volk zu bearbeiten. Es ist davon unter dem Titel Sprichwörterschatz (1836) ein Band erschienen. Diese Arbeiten führten mich aber allmählich tiefer in das Wesen des Sprichworts und seine Literatur ein. Die mir zu Händen kommenden Sammlungen erschienen mir sämmtlich dürftig; und dennoch sah ich, dass auch Sprichwörterbearbeitungen für einen bestimmten Zweck an dem Mangel geordneten Stoffs scheitern müssten. Und so kam mir denn, besonders angeregt durch Wagner's Sprichwörter-Lexikon (Quedlinburg 1813), der Gedanke, alle andern Arbeiten aufzugeben und mir vorerst ausschliesslich die Aufgabe zu stellen, die deutschen Sprichwörter zu sammeln und, wie Wagner, wenn auch nicht in strenger Folge, gethan, lexikalisch zu ordnen, nachdem ich mich durch Aufstellung und Verwerfung verschiedener anderer Gruppirungen und Ordnungspläne überzeugt hatte, dass es für schnelle Auffindung wie Einordnung keinen bessern Weg gibt. 1 Beginnen nun zwar meine Arbeiten auf dem deutschen Sprichwörterfelde mit dem Jahre 1830, so habe ich mir doch erst nach 1836 ausschliesslich die Lösung der Aufgabe gestellt, den gesammten deutschen Sprichwörterschatz in lexikalischer Ordnung zusammenzustellen und so concentrirt dem Volke und seiner Literatur zu übergeben. Anfänglich dachte ich natürlich nicht an die noch ausschliesslich im Volksmunde lebenden Sprichwörter; ich verfuhr vielmehr, wie die meisten Sammler thun, die aus den vorhandenen Sammlungen neue machen, ich suchte mir alles, was gedruckt war, zu verschaffen und schrieb aus. Die Literatur von Nopitsch (Nürnberg 1822) leistete mir dabei den Hauptdienst. Ich lernte dann auch in Breslau Herrn Professor Hoffmann von Fallersleben kennen, durch den ich alles erhielt, was die breslauer Universitätsbibliothek im Gebiet der Sprichwörterliteratur besass. Nach etwa sechs Jahren unausgesetzten stillen Sammelns besass ich ein druckfähiges Manuscript in Stärke von über 700 Bogen, das aber, „weil es zu stark sei“, glücklicherweise niemand drucken mochte. Ich sage glücklicherweise, denn es wäre eine sehr unvollkommene Arbeit gewesen. Die Sprichwörterliteratur, wie die volksthümliche überhaupt, war damals sehr wenig gepflegt, und so fehlte auch der Sinn und das Verständniss des Publikums dafür. Ich selbst war in den Gegenstand noch viel zu wenig, in die Mundarten gar nicht eingedrungen; auch liess mir meine amtliche Stellung nur die Sonntage oder ein paar stille Abend- oder Nachtstunden dafür übrig. Zwar würde die Sammlung gegen Wagner mit seinen 3700 und gegen das 1837 erschienene Körte'sche Werk (Leipzig) mit 7200 Sprichwörtern der Zahl nach ein nicht unerheblicher Fortschritt gewesen sein; aber sie wäre doch weit hinter den Ansprüchen zurückgeblieben, welche ein tieferes Eingehen in die betreffende Literatur später machte. Ich liess das Manuscript durchschiessen und sammelte weiter; natürlich oft mit Unterbrechung, wie sie schon meine Stellung als Lehrer an einer öffentlichen Schule wie zugleich an einer Privatanstalt gebot. Indess wie die Gebrüder Grimm, wenn der Vergleich erlaubt ist, die erforderliche Musse zur Bearbeitung ihres Wörterbuch (vgl. Vorwort, I, 1) durch die hannoversche Regierung erhielten, so ward sie mir durch die preussische, die mich bei ihrem bekannten Bestreben, die Verfassung in ihrer Weise auszubauen, die Gesetze anzuwenden, den Beamten-, besonders den Lehrerstand zu „purificiren“ und das Volksschulwesen zu heben, aus meinem Lehramte entfernte, weil ich mich auf den politischen Standpunkt nicht zu erheben vermag, dass Menschen- und Bürgerrechte in der Beamtenpflicht auf-, d. h. untergehen. 2 Während indess die Gebrüder Grimm in Preussen eine freundliche Aufnahme fanden, hätte ich beinahe als geborener Preusse in meinem Vaterlande keine Stätte gefunden. 1 Herr Haug, dem, wie ich an einem andern Orte bemerkt, das Sprichwörter-Lexikon reiche Beiträge verdankt, spricht sich in einem an mich gerichteten Briefe (November 1863) über die Schwierigkeiten, Sprichwörter zu ordnen, dahin aus: „Das Ordnen der gesammelten Sprichwörter kostet mich mehr Zeit, als das Sammeln selbst. Lange mühte ich mich ab, eine stoffliche Eintheilung durchzuführen, die Sprüche nach ihren Grundgedanken zu ordnen. Dabei wollte ich die eigentlichen Sprüche von den übrigen Redensarten ganz trennen und dann unter jenen wieder die Sitten- und Klugheitsregeln von den blossen Abstractionen der Lebens-, Menschen-, Gesundheits- und Naturkenntniss (z. B. von den satirischen Charakteristiken einzelner Stämme und Stände), unter diesen die plastischen Vergleichungen, die Metaphern mit halbwegs dichterischem Werth von den andern Redensarten, die gar nichts für sich haben, als dass sie (wie etwa: Punktum, Streusand drauf) eben stehende Redensarten sind, trennen. Doch da drängten sich so viele neue untergeordnete Eintheilungs- und Gesichtspunkte, so viel Unterrubriken zur gleichzeitigen Beachtung auf und ergaben sich unter den Redensarten so viele Zwittererscheinungen, die in mehrere Kategorien zugleich passten, dass ich an der halb fertigen Arbeit erlahmte. Nicht besser erging mir's mit der ethnographischen oder geographischen Eintheilung, nach der ich die Sprüche mit einem und demselben Verbreitungsbezirk zusammenstellen wollte, um einen Beitrag zur psychologischen Charakteristik des betreffenden Stammes zu gewinnen. Ist es doch rein unmöglich, bei allen oder auch nur bei den meisten Redensarten jenen Bezirk oder vollends die eigentliche Heimat, die Wiege festzustellen, da selbst die Mundart eines Spruchs noch keinen Beweis dafür abgibt, dass der letztere gerade in ihr geboren wurde. Mit mancher andern Methode versuchte ich's noch; aber zuletzt entschloss ich mich, müde des ewigen erfolglosen Suchens, nach dem rechten Wege, zu der äusserlichen, formalen, alphabetisch-sprachlichen Anordnung.“ 2 Vgl. Wie es mir erging, in Diesterweg's Pädagogisches Jahrbuch (Berlin 1851), I, 93 fg., und dessen Rheinische Blätter (Frankfurt a. M. 1864), XIII, 99 fg.

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Zitationshilfe: Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 1. Leipzig, 1867, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wander_sprichwoerterlexikon01_1867/6>, abgerufen am 10.05.2024.