Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 5. Leipzig, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

Fräulein Schöndörffer unterrichtete er indess noch bis zum 23. März 1850 weiter; er hatte seit 1827 ununterbrochen an dieser Schule gewirkt. Es wurde dafür gesorgt, dass Wander nicht ein zweites mal in sein Lehramt eingeführt wurde; war es doch erwiesen, dass er sich gegen die bestehende Staatsregierung und gegen die Autorität der christlichen Kirche aufgelehnt hatte.

Auf den Rath seines Arztes ging Wander im August 1850 für eine Zeit nach Amerika. Er nahm den Weg über Dresden, Leipzig und Hamburg; in Bremen, wo er mehrere Freunde aus Schlesien traf, die aus politischen Gründen einen Ausflug nach Texas machten, schiffte er sich auf der "Adolphine" nach Baltimore ein. Hier brachte er in der Familie eines aus Wien ausgewanderten Offiziers, dessen ältesten Knaben er unterrichtete, den Winter zu. Dadurch wurde er vielfach in höhere Gesellschaftskreise eingeführt und mit dem amerikanischen Leben bekannt. Im Frühjahr ging er nach Washington und Virginien; von Richmond nach Pittsburg, Cincinnati, Columbus, Cleveland, Buffalo. Vom Niagara ging er nach Neuyork, Philadelphia, um sich hierauf von Baltimore aus wieder nach Deutschland einzuschiffen. Der "Orion" trug ihn über das Meer zurück und am 23. August 1851 traf er wieder in Hirschberg ein.

Seine Ankunft war augenblicklich allgemein bekannt. Kaum hatte er seine Frau begrüsst, trat auch schon ein Executor ein, der ihm laut Urtheils vom 7. Mai 1850 funfzig Thaler Strafe wegen Abhaltung einer Volksversammlung abverlangte. Ein gleiches Urtheil traf ihn de dato 28. April 1851. Am 8. September wurde er sogar von einem Gerichtsdiener zu vierwöchentlicher Haft abgeholt, da er in einem Zeitungsartikel den hirschberger Landrath beleidigt hatte.

Da Wander jeder Erwerb vorläufig abgeschnitten war, entschloss er sich, die auferlegten Geldstrafen durch die Haft abzubüssen. In dieser Lage lernte er einen Freund kennen, der ihm von freien Stücken schrieb: "Ich wollte nach London zur Weltausstellung reisen und hatte 150 Thaler dafür bestimmt. Ich bin nicht gereist. Nehmen Sie hiermit 50 Thaler und seien Sie die 8 Wochen frei. Ich gewinne dabei noch 100 Thaler!"

In Hirschberg wurde es für Wander immer unerträglicher. Er entschloss sich deshalb, anderwärts mit seiner Familie ein bürgerliches Geschäft zu betreiben. Er miethete am 3. April 1852 ein Local in Löwenberg und traf Vorbereitungen zur Errichtung einer Materialhandlung. Da wurde ihm eröffnet, dass ihm eine Niederlassung in Löwenberg nicht gestattet werden könne; nur seine Familie durfte bleiben. Nachdem ihn auch Bunzlau und Lauban auf die Dauer nicht aufgenommen, brachte er die letzten Monate des Jahres in Hirschberg zu und erlangte endlich von der Ortspolizeibehörde des nahen Hermsdorf unter dem Kynast die schriftliche Erlaubniss, sich dort niederlassen zu dürfen. Nun kaufte Wander ein kleines Haus, in dem ein Spezereigeschäft betrieben wurde. Seine Frau und sein zweiter Sohn sollten es fortführen. Statt des lange erwarteten Steuerscheins erschien aber am 6. Juni der Ortsrichter mit dem Gerichtsschreiber und publicirte ein Decret des Landraths, nach welchem der Frau Wander's der Gewerbebetrieb nicht zu gestatten und der Laden zu schliessen sei - ganz gegen eine frühere Erklärung des Landrathamtes. Trotzdem wurde das Geschäft doch betrieben und zwar, da kein Gewerbeschein ertheilt ward, bis Ende April 1854 steuerfrei. Auch in Hermsdorf musste sich Wander am 17. Mai 1853 noch eine Haussuchung empfindlichster Art gefallen lassen, für die er erst im Jahre 1859 Genugthuung erhielt.

Eine grosse Veränderung ging im Jahre 1853 in Wander's Familie vor sich. Sein ältester Sohn Oskar starb in Löwenberg; die beiden andern, Hugo und Kuno gingen mit dem Onke (s. Vorrede zu Band 1, S. XXIII) nach den Vereinigten Staaten.

Wander nahm nun eine einstweilen beiseite gelegte Sache wieder zur Hand, die ihm viel Freude und Trost brachte für alles, was er gelitten: er vergrub sich in das Sprichwort. Nach sechs Jahren rastlosen Fleisses konnte er der Verlagshandlung F. A. Brockhaus in Leipzig das riesige Manuscript des "Deutschen Sprichwörter-Lexikon" vorlegen, das indess während des Drucks noch viel umfangreicher geworden ist. Wer zählt die Stunden, die Wander dem Sprichwort geopfert! Ausserdem schrieb er von Hermsdorf aus die meisten Leitartikel für die "Hirschberger Zeitung". Am 25. Januar 1871 starb ihm seine Frau. Noch drei Jahre blieb er in Hermsdorf, dann vertauschte er seinen Wohnsitz mit Quirl, einem Dorfe zwischen Hirschberg und Schmiedeberg und diesem näher. Es wurde immer friedlicher, immer schöner um ihn her. Der "Schmiedeberger Sprecher" war das Sprachrohr, durch das er seine frischen Anschauungen in die Welt

Fräulein Schöndörffer unterrichtete er indess noch bis zum 23. März 1850 weiter; er hatte seit 1827 ununterbrochen an dieser Schule gewirkt. Es wurde dafür gesorgt, dass Wander nicht ein zweites mal in sein Lehramt eingeführt wurde; war es doch erwiesen, dass er sich gegen die bestehende Staatsregierung und gegen die Autorität der christlichen Kirche aufgelehnt hatte.

Auf den Rath seines Arztes ging Wander im August 1850 für eine Zeit nach Amerika. Er nahm den Weg über Dresden, Leipzig und Hamburg; in Bremen, wo er mehrere Freunde aus Schlesien traf, die aus politischen Gründen einen Ausflug nach Texas machten, schiffte er sich auf der „Adolphine“ nach Baltimore ein. Hier brachte er in der Familie eines aus Wien ausgewanderten Offiziers, dessen ältesten Knaben er unterrichtete, den Winter zu. Dadurch wurde er vielfach in höhere Gesellschaftskreise eingeführt und mit dem amerikanischen Leben bekannt. Im Frühjahr ging er nach Washington und Virginien; von Richmond nach Pittsburg, Cincinnati, Columbus, Cleveland, Buffalo. Vom Niagara ging er nach Neuyork, Philadelphia, um sich hierauf von Baltimore aus wieder nach Deutschland einzuschiffen. Der „Orion“ trug ihn über das Meer zurück und am 23. August 1851 traf er wieder in Hirschberg ein.

Seine Ankunft war augenblicklich allgemein bekannt. Kaum hatte er seine Frau begrüsst, trat auch schon ein Executor ein, der ihm laut Urtheils vom 7. Mai 1850 funfzig Thaler Strafe wegen Abhaltung einer Volksversammlung abverlangte. Ein gleiches Urtheil traf ihn de dato 28. April 1851. Am 8. September wurde er sogar von einem Gerichtsdiener zu vierwöchentlicher Haft abgeholt, da er in einem Zeitungsartikel den hirschberger Landrath beleidigt hatte.

Da Wander jeder Erwerb vorläufig abgeschnitten war, entschloss er sich, die auferlegten Geldstrafen durch die Haft abzubüssen. In dieser Lage lernte er einen Freund kennen, der ihm von freien Stücken schrieb: „Ich wollte nach London zur Weltausstellung reisen und hatte 150 Thaler dafür bestimmt. Ich bin nicht gereist. Nehmen Sie hiermit 50 Thaler und seien Sie die 8 Wochen frei. Ich gewinne dabei noch 100 Thaler!“

In Hirschberg wurde es für Wander immer unerträglicher. Er entschloss sich deshalb, anderwärts mit seiner Familie ein bürgerliches Geschäft zu betreiben. Er miethete am 3. April 1852 ein Local in Löwenberg und traf Vorbereitungen zur Errichtung einer Materialhandlung. Da wurde ihm eröffnet, dass ihm eine Niederlassung in Löwenberg nicht gestattet werden könne; nur seine Familie durfte bleiben. Nachdem ihn auch Bunzlau und Lauban auf die Dauer nicht aufgenommen, brachte er die letzten Monate des Jahres in Hirschberg zu und erlangte endlich von der Ortspolizeibehörde des nahen Hermsdorf unter dem Kynast die schriftliche Erlaubniss, sich dort niederlassen zu dürfen. Nun kaufte Wander ein kleines Haus, in dem ein Spezereigeschäft betrieben wurde. Seine Frau und sein zweiter Sohn sollten es fortführen. Statt des lange erwarteten Steuerscheins erschien aber am 6. Juni der Ortsrichter mit dem Gerichtsschreiber und publicirte ein Decret des Landraths, nach welchem der Frau Wander's der Gewerbebetrieb nicht zu gestatten und der Laden zu schliessen sei – ganz gegen eine frühere Erklärung des Landrathamtes. Trotzdem wurde das Geschäft doch betrieben und zwar, da kein Gewerbeschein ertheilt ward, bis Ende April 1854 steuerfrei. Auch in Hermsdorf musste sich Wander am 17. Mai 1853 noch eine Haussuchung empfindlichster Art gefallen lassen, für die er erst im Jahre 1859 Genugthuung erhielt.

Eine grosse Veränderung ging im Jahre 1853 in Wander's Familie vor sich. Sein ältester Sohn Oskar starb in Löwenberg; die beiden andern, Hugo und Kuno gingen mit dem Onke (s. Vorrede zu Band 1, S. XXIII) nach den Vereinigten Staaten.

Wander nahm nun eine einstweilen beiseite gelegte Sache wieder zur Hand, die ihm viel Freude und Trost brachte für alles, was er gelitten: er vergrub sich in das Sprichwort. Nach sechs Jahren rastlosen Fleisses konnte er der Verlagshandlung F. A. Brockhaus in Leipzig das riesige Manuscript des „Deutschen Sprichwörter-Lexikon“ vorlegen, das indess während des Drucks noch viel umfangreicher geworden ist. Wer zählt die Stunden, die Wander dem Sprichwort geopfert! Ausserdem schrieb er von Hermsdorf aus die meisten Leitartikel für die „Hirschberger Zeitung“. Am 25. Januar 1871 starb ihm seine Frau. Noch drei Jahre blieb er in Hermsdorf, dann vertauschte er seinen Wohnsitz mit Quirl, einem Dorfe zwischen Hirschberg und Schmiedeberg und diesem näher. Es wurde immer friedlicher, immer schöner um ihn her. Der „Schmiedeberger Sprecher“ war das Sprachrohr, durch das er seine frischen Anschauungen in die Welt

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div type="preface" n="1">
        <p><pb facs="#f0011" n="XIII"/>
Fräulein Schöndörffer unterrichtete er indess noch bis zum 23. März 1850 weiter; er hatte seit 1827 ununterbrochen an dieser Schule gewirkt. Es wurde dafür gesorgt, dass Wander nicht ein zweites mal in sein Lehramt eingeführt wurde; war es doch erwiesen, dass er sich gegen die bestehende Staatsregierung und gegen die Autorität der christlichen Kirche aufgelehnt hatte.</p><lb/>
        <p>Auf den Rath seines Arztes ging Wander im August 1850 für eine Zeit nach Amerika. Er nahm den Weg über Dresden, Leipzig und Hamburg; in Bremen, wo er mehrere Freunde aus Schlesien traf, die aus politischen Gründen einen Ausflug nach Texas machten, schiffte er sich auf der &#x201E;Adolphine&#x201C; nach Baltimore ein. Hier brachte er in der Familie eines aus Wien ausgewanderten Offiziers, dessen ältesten Knaben er unterrichtete, den Winter zu. Dadurch wurde er vielfach in höhere Gesellschaftskreise eingeführt und mit dem amerikanischen Leben bekannt. Im Frühjahr ging er nach Washington und Virginien; von Richmond nach Pittsburg, Cincinnati, Columbus, Cleveland, Buffalo. Vom Niagara ging er nach Neuyork, Philadelphia, um sich hierauf von Baltimore aus wieder nach Deutschland einzuschiffen. Der &#x201E;Orion&#x201C; trug ihn über das Meer zurück und am 23. August 1851 traf er wieder in Hirschberg ein.</p><lb/>
        <p>Seine Ankunft war augenblicklich allgemein bekannt. Kaum hatte er seine Frau begrüsst, trat auch schon ein Executor ein, der ihm laut Urtheils vom 7. Mai 1850 funfzig Thaler Strafe wegen Abhaltung einer Volksversammlung abverlangte. Ein gleiches Urtheil traf ihn de dato 28. April 1851. Am 8. September wurde er sogar von einem Gerichtsdiener zu vierwöchentlicher Haft abgeholt, da er in einem Zeitungsartikel den hirschberger Landrath beleidigt hatte.</p><lb/>
        <p>Da Wander jeder Erwerb vorläufig abgeschnitten war, entschloss er sich, die auferlegten Geldstrafen durch die Haft abzubüssen. In dieser Lage lernte er einen <hi rendition="#i">Freund</hi> kennen, der ihm von freien Stücken schrieb: &#x201E;Ich wollte nach London zur Weltausstellung reisen und hatte 150 Thaler dafür bestimmt. Ich bin nicht gereist. Nehmen Sie hiermit 50 Thaler und seien Sie die 8 Wochen frei. Ich gewinne dabei noch 100 Thaler!&#x201C;</p><lb/>
        <p>In Hirschberg wurde es für Wander immer unerträglicher. Er entschloss sich deshalb, anderwärts mit seiner Familie ein bürgerliches Geschäft zu betreiben. Er miethete am 3. April 1852 ein Local in Löwenberg und traf Vorbereitungen zur Errichtung einer Materialhandlung. Da wurde ihm eröffnet, dass ihm eine Niederlassung in Löwenberg nicht gestattet werden könne; nur seine Familie durfte bleiben. Nachdem ihn auch Bunzlau und Lauban auf die Dauer nicht aufgenommen, brachte er die letzten Monate des Jahres in Hirschberg zu und erlangte endlich von der Ortspolizeibehörde des nahen Hermsdorf unter dem Kynast die schriftliche Erlaubniss, sich dort niederlassen zu dürfen. Nun kaufte Wander ein kleines Haus, in dem ein Spezereigeschäft betrieben wurde. Seine Frau und sein zweiter Sohn sollten es fortführen. Statt des lange erwarteten Steuerscheins erschien aber am 6. Juni der Ortsrichter mit dem Gerichtsschreiber und publicirte ein Decret des Landraths, nach welchem der Frau Wander's der Gewerbebetrieb nicht zu gestatten und der Laden zu schliessen sei &#x2013; ganz gegen eine frühere Erklärung des Landrathamtes. Trotzdem wurde das Geschäft doch betrieben und zwar, da kein Gewerbeschein ertheilt ward, bis Ende April 1854 steuerfrei. Auch in Hermsdorf musste sich Wander am 17. Mai 1853 noch eine Haussuchung empfindlichster Art gefallen lassen, für die er erst im Jahre 1859 Genugthuung erhielt.</p><lb/>
        <p>Eine grosse Veränderung ging im Jahre 1853 in Wander's Familie vor sich. Sein ältester Sohn Oskar starb in Löwenberg; die beiden andern, Hugo und Kuno gingen mit dem Onke (s. Vorrede zu Band 1, S. XXIII) nach den Vereinigten Staaten.</p><lb/>
        <p>Wander nahm nun eine einstweilen beiseite gelegte Sache wieder zur Hand, die ihm viel Freude und Trost brachte für alles, was er gelitten: er vergrub sich in das Sprichwort. Nach sechs Jahren rastlosen Fleisses konnte er der Verlagshandlung F. A. Brockhaus in Leipzig das riesige Manuscript des &#x201E;Deutschen Sprichwörter-Lexikon&#x201C; vorlegen, das indess während des Drucks noch viel umfangreicher geworden ist. Wer zählt die Stunden, die Wander dem Sprichwort geopfert! Ausserdem schrieb er von Hermsdorf aus die meisten Leitartikel für die &#x201E;Hirschberger Zeitung&#x201C;. Am 25. Januar 1871 starb ihm seine Frau. Noch drei Jahre blieb er in Hermsdorf, dann vertauschte er seinen Wohnsitz mit Quirl, einem Dorfe zwischen Hirschberg und Schmiedeberg und diesem näher. Es wurde immer friedlicher, immer schöner um ihn her. Der &#x201E;Schmiedeberger Sprecher&#x201C; war das Sprachrohr, durch das er seine frischen Anschauungen in die Welt
</p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[XIII/0011] Fräulein Schöndörffer unterrichtete er indess noch bis zum 23. März 1850 weiter; er hatte seit 1827 ununterbrochen an dieser Schule gewirkt. Es wurde dafür gesorgt, dass Wander nicht ein zweites mal in sein Lehramt eingeführt wurde; war es doch erwiesen, dass er sich gegen die bestehende Staatsregierung und gegen die Autorität der christlichen Kirche aufgelehnt hatte. Auf den Rath seines Arztes ging Wander im August 1850 für eine Zeit nach Amerika. Er nahm den Weg über Dresden, Leipzig und Hamburg; in Bremen, wo er mehrere Freunde aus Schlesien traf, die aus politischen Gründen einen Ausflug nach Texas machten, schiffte er sich auf der „Adolphine“ nach Baltimore ein. Hier brachte er in der Familie eines aus Wien ausgewanderten Offiziers, dessen ältesten Knaben er unterrichtete, den Winter zu. Dadurch wurde er vielfach in höhere Gesellschaftskreise eingeführt und mit dem amerikanischen Leben bekannt. Im Frühjahr ging er nach Washington und Virginien; von Richmond nach Pittsburg, Cincinnati, Columbus, Cleveland, Buffalo. Vom Niagara ging er nach Neuyork, Philadelphia, um sich hierauf von Baltimore aus wieder nach Deutschland einzuschiffen. Der „Orion“ trug ihn über das Meer zurück und am 23. August 1851 traf er wieder in Hirschberg ein. Seine Ankunft war augenblicklich allgemein bekannt. Kaum hatte er seine Frau begrüsst, trat auch schon ein Executor ein, der ihm laut Urtheils vom 7. Mai 1850 funfzig Thaler Strafe wegen Abhaltung einer Volksversammlung abverlangte. Ein gleiches Urtheil traf ihn de dato 28. April 1851. Am 8. September wurde er sogar von einem Gerichtsdiener zu vierwöchentlicher Haft abgeholt, da er in einem Zeitungsartikel den hirschberger Landrath beleidigt hatte. Da Wander jeder Erwerb vorläufig abgeschnitten war, entschloss er sich, die auferlegten Geldstrafen durch die Haft abzubüssen. In dieser Lage lernte er einen Freund kennen, der ihm von freien Stücken schrieb: „Ich wollte nach London zur Weltausstellung reisen und hatte 150 Thaler dafür bestimmt. Ich bin nicht gereist. Nehmen Sie hiermit 50 Thaler und seien Sie die 8 Wochen frei. Ich gewinne dabei noch 100 Thaler!“ In Hirschberg wurde es für Wander immer unerträglicher. Er entschloss sich deshalb, anderwärts mit seiner Familie ein bürgerliches Geschäft zu betreiben. Er miethete am 3. April 1852 ein Local in Löwenberg und traf Vorbereitungen zur Errichtung einer Materialhandlung. Da wurde ihm eröffnet, dass ihm eine Niederlassung in Löwenberg nicht gestattet werden könne; nur seine Familie durfte bleiben. Nachdem ihn auch Bunzlau und Lauban auf die Dauer nicht aufgenommen, brachte er die letzten Monate des Jahres in Hirschberg zu und erlangte endlich von der Ortspolizeibehörde des nahen Hermsdorf unter dem Kynast die schriftliche Erlaubniss, sich dort niederlassen zu dürfen. Nun kaufte Wander ein kleines Haus, in dem ein Spezereigeschäft betrieben wurde. Seine Frau und sein zweiter Sohn sollten es fortführen. Statt des lange erwarteten Steuerscheins erschien aber am 6. Juni der Ortsrichter mit dem Gerichtsschreiber und publicirte ein Decret des Landraths, nach welchem der Frau Wander's der Gewerbebetrieb nicht zu gestatten und der Laden zu schliessen sei – ganz gegen eine frühere Erklärung des Landrathamtes. Trotzdem wurde das Geschäft doch betrieben und zwar, da kein Gewerbeschein ertheilt ward, bis Ende April 1854 steuerfrei. Auch in Hermsdorf musste sich Wander am 17. Mai 1853 noch eine Haussuchung empfindlichster Art gefallen lassen, für die er erst im Jahre 1859 Genugthuung erhielt. Eine grosse Veränderung ging im Jahre 1853 in Wander's Familie vor sich. Sein ältester Sohn Oskar starb in Löwenberg; die beiden andern, Hugo und Kuno gingen mit dem Onke (s. Vorrede zu Band 1, S. XXIII) nach den Vereinigten Staaten. Wander nahm nun eine einstweilen beiseite gelegte Sache wieder zur Hand, die ihm viel Freude und Trost brachte für alles, was er gelitten: er vergrub sich in das Sprichwort. Nach sechs Jahren rastlosen Fleisses konnte er der Verlagshandlung F. A. Brockhaus in Leipzig das riesige Manuscript des „Deutschen Sprichwörter-Lexikon“ vorlegen, das indess während des Drucks noch viel umfangreicher geworden ist. Wer zählt die Stunden, die Wander dem Sprichwort geopfert! Ausserdem schrieb er von Hermsdorf aus die meisten Leitartikel für die „Hirschberger Zeitung“. Am 25. Januar 1871 starb ihm seine Frau. Noch drei Jahre blieb er in Hermsdorf, dann vertauschte er seinen Wohnsitz mit Quirl, einem Dorfe zwischen Hirschberg und Schmiedeberg und diesem näher. Es wurde immer friedlicher, immer schöner um ihn her. Der „Schmiedeberger Sprecher“ war das Sprachrohr, durch das er seine frischen Anschauungen in die Welt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

zeno.org – Contumax GmbH & Co. KG: Bereitstellung der Texttranskription. (2020-09-18T09:51:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Andreas Nolda: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-09-18T09:51:52Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; Hervorhebungen I/J in Fraktur: keine Angabe; i/j in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: keine Angabe; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: nein

Verzeichnisse im Vorspann wurden nicht transkribiert. Errata aus den Berichtigungen im Nachspann wurden stillschweigend integriert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/wander_sprichwoerterlexikon05_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/wander_sprichwoerterlexikon05_1880/11
Zitationshilfe: Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Bd. 5. Leipzig, 1880, S. XIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/wander_sprichwoerterlexikon05_1880/11>, abgerufen am 15.05.2024.